Warum Sexarbeitende ihren Job nicht lieben müssen, um dafür Respekt zu verdienen
Nach einem besonders ätzenden Tag am Schreibtisch rufe ich gern mal: “Ich hasse es, Journalist zu sein!”. Dann klopft mir meist irgendwer aufmunternd auf die Schulter. “Ohje, wir alle haben solche Tage”, heißt es dann. Anders sieht es bei meinem Nebenjob aus. Nach einem unangenehmen Escort-Date oder einem verpfuschten Pornodreh überlege ich sehr genau, mit wem ich mein Erlebnis teile. Zu groß ist meine Sorge, jemand könnte es zum Anlass nehmen, mir meine Tätigkeit gleich ganz auszureden. Auch von guten Freunden habe ich schon Sprüche gehört wie: “Bist du dir sicher, dass die Arbeit die richtige für dich ist? Ich weiß ja nicht, ob es dir so gut tut.”
Überzogene Erwartungen an die Sexarbeit
Und auch generell habe ich den Eindruck: Auf der Sexarbeit lasten oft überzogene Erwartungen, die an andere Branchen so nicht gestellt werden: Die Betroffenen sollen ihre Arbeit stets gern tun, dabei sie selbst sein, es nicht des Geldes wegen tun — und sich am Ende noch politisch empowert fühlen. Wenn dem mal nicht so ist, wird das gern als Argument dafür herangezogen, Sexarbeit aus der Welt zu schaffen.
Doch woher kommt überhaupt der Anspruch, in der eigenen Tätigkeit komplett aufgehen zu müssen? Dahinter steckt das Märchen von der Sinnstiftung durch Arbeit. Wenn wir sämtliche Branchen abschaffen würden, in denen sich die Werktätigen manchmal nicht erfüllt oder glücklich fühlen, dann wären wir alle arbeitslos. Denn: Für einige Sexarbeitende ist ihr Job der Himmel auf Erden. Andere quälen sich und schielen sehnsüchtig auf die Uhr, wann endlich Feierabend ist. Und dann gibt es ein breites Mittelfeld an Sexarbeitenden, die ihre Arbeit so lala finden. Die mal gute, mal schlechte Tage haben. Überraschung: Genau so verhält es sich auch in jedem anderen Job.
Auch pragmatischer Konsens ist okay
Im Zuge der #metoo-Bewegung haben Feminist:innen vereinzelt betont: Sexueller Konsens müsse immer enthusiastisch sein — und genau das sei in der Prostitution eben oft nicht gegeben. Ich finde, das ist ein weltfremder Anspruch, sowohl im Privatleben als auch im Job. Zugegeben, ich würde auch gern alles aus ehrlicher Begeisterung und dem tiefsten Wunsch meines Herzens tun. Das ist aber nicht immer möglich. Wenn ich zu etwas ja sage, tue ich das meistens nicht mit einem inneren Jauchzen. Oft entscheide ich mich nüchtern für die Option, die mir nach sorgfältiger Abwägung der Vor- und Nachteile als bestmöglich erscheint. Auch zu privatem Sex sage ich in manchen Momenten eher “okay” als “oh ja, bitte”. Sex kann mittelmäßig und dennoch einvernehmlich sein.
Die Forderung nach stets begeisterter Zustimmung ist neoliberales Blendwerk — und ignoriert die gesellschaftlichen Zwänge, die unser Leben bestimmen. Seien wir mal ehrlich: Viele Kunden sind nicht gerade Traumliebhaber. Der Sex mit ihnen ist nur selten amazing. Auch Sex vor der Kamera ist oft eher anstrengend als grandios. Das muss er aber auch nicht sein. Für das nötige Entgelt gehe ich da gern Kompromisse ein. Mein Ja dazu ist auch dann etwas wert, wenn es eher pragmatisch als enthusiastisch daherkommt.
Sexarbeit muss nicht empowernd sein.
Manche Sexarbeitende lieben tatsächlich ihren Job. Einige erleben ihn gar als Empowerment. Einige genießen die gemeinsame Zeit mir ihren Kunden und haben Spaß am Sex. Andere erforschen durch die Arbeit ihre eigene Sexualität. Oder sie verbinden ihre Tätigkeit mit therapeutischen, künstlerischen oder spirituellen Ansätzen. Manche fangen an, die Geschlechterverhältnisse stärker zu hinterfragen oder sich politisch zu engagieren. Es ist wichtig, all diese unterschiedlichen Ausformungen und Beweggründe in die Debatte einzubeziehen. Denn sie erzählen von der Vielfalt einer Branche, von der viele Menschen ein eher klischiertes, einseitiges Bild haben.
Diese Erfahrungen sind jedoch nicht allgemeingültig für die breite Masse an Sexarbeitenden. Gerade die Sache mit dem Empowerment ist ein Nischenphänomen, das — wenn überhaupt— eher politisierte Sexarbeitende betrifft. Natürlich kann die Arbeit für manche empowernd sein. In öffentlichen Debatten, etwa in Talkshows oder Zeitungen, bezweifle ich aber, ob diese persönlichen Empowerment-Anekdoten immer zielführend sind. Sie spiegeln die Lebensrealität einer kleinen Gruppe von meist privilegierteren Sexworkern (wie mir selbst) wider. Medien stürzen sich mit Vorliebe auf solche Geschichten, weil sie griffig, sexy, unkonventionell wirken.
Sexarbeit verdient auch dann Respekt, wenn sie einfach nur ein Job und sonst nichts ist.
Die EMMA-Fraktion behauptet gern, Prostitution würde das Patriarchat stützen, Elend oder gar sexualisierte Gewalt befördern. Das ist Bullshit. Die Behauptung wird aber auch nicht wahrer, wenn man sie ins Gegenteil kehrt und Sexarbeit zur Wohlfühlzone oder zur politischen Erweckungsbewegung verklärt. Für viele ist Prostitution schlichtweg eine Möglichkeit zum Broterwerb, ohne aufregendes Gimmick. Deren (meist weniger glamouröse) Geschichten geraten schnell unter die Räder. Doch Sexarbeit verdient auch dann Respekt, wenn sie einfach nur ein Job und sonst nichts ist.
Die Erzählung vom Empowerment durch Sexarbeit sei “bis zur Satire überstrapaziert” und oftmals ein Ablenkungsmanöver, kritisieren die Sexarbeits-Aktivistinnen Juno Mac und Molly Smith in ihrem Buch Revolting Prostitutes: “Diese Beschwörungen persönlicher Gefühle lenken von einer deutlich komplizierteren Diskussion ab — über Kolonialismus, Kapitalismus und Patriarchat”.
Beschwichtigungsversuche für die Gegenseite?
Manche wollen die positiven Aspekte der Sexarbeit betonen, um den Verbotsaposteln etwas entgegen zu setzen. Da diese sich oft weigern, den Betroffenenen zuzuhören, bringt das nur bedingt etwas. Das Manöver kann leicht kippen. Blitzschnell finden sich Gegenbeispiele von Prostituierten, die tatsächlich leiden — und schon wird die rhetorische Offensive zum Eigentor. Manche Medienberichte deuten das ausbleibende Empowerment als ein Argument gegen Sexarbeit. Beispiel: “Ich dachte, Sexarbeit wäre empowernd und feministisch. Doch ich lag völlig falsch.”
Mein Eindruck ist: Außenstehende lassen sich durch diese persönlichen Geschichten selten davon überzeugen, dass Sexarbeit an sich eine legitime Form der Erwerbsarbeit ist. Stattdessen messen sie dann oft mit zweierlei Maß: Sie unterscheiden in wenige “selbstbestimmte Sexarbeiterinnen” auf der einen und zahlreiche “ausgebeutete Huren”, die man “retten” muss, auf der anderen Seite. Auch in den Medien taucht diese Zweiteilung häufig auf. Gerade politisch aktive Sexarbeitende werden von Journalist:innen schnell gegen ihren Willen in dieses Erzählmuster gesteckt. Dabei geht unter, dass alle Sexarbeitenden (trotz ihrer unterschiedlicher Lebensrealitäten) in derselben, hoch stigmatisierten Branche arbeiten. Ein Sexkaufverbot nach dem Schwedischen Modell würde sie letztlich alle in Gefahr bringen.
Sexarbeit ist keine politische Erweckungsbewegung. Es ist ein Job — nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Meine Skepsis hat noch einen anderen Grund: Nur weil ich bessere und sicherere Arbeitsbedingungen in der Sexarbeit will, heißt das noch lang nicht, dass ich Arbeit an sich sonderlich erstrebenswert finde. Natürlich ist es schön, wenn Menschen Spaß an ihrem Beruf haben. Doch das sollte kein Maßstab für die Daseinsberechtigung eines Jobs sein. Denn letztlich ist jede Lohnarbeit problematisch. Ich habe Bauchschmerzen, wenn Arbeit pauschal und unkritisch abgefeiert wird — auch dann, wenn es dabei um Sexarbeit geht. Wir sollten aufpassen, hier nicht der fatalen Idee auf den Leim zu gehen, nach der wir stets Lust und Erfüllung durch unsere Arbeit erfahren müssen.
Niemand drückt es so gut aus wie der Sexarbeiter und Autor Christian Schmacht: “Ich hasse den Empowerment-Mythos. Ich bin nicht empowert! Denn Sexarbeit ist Arbeit und Arbeit nervt!”, schreibt er in seiner Kolumne. „Aber wir dürfen unseren Job hassen, eklig oder nervig finden und trotzdem für bessere Arbeitsbedingungen kämpfen.“
Fröhlichsein als Marketingstrategie
Viele Sexarbeitende verwenden die “Ich liebe meinen Job”-Geschichte für die Eigenwerbung. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Sich selbst als lustvoll und lebensfroh zu präsentieren, ist oft Teil der Jobbeschreibung. In dieser Hinsicht ähnelt die Sexarbeit anderen kundennahen Dienstleistungsberufen. Auch Kellnerinnen und Stewardessen lernen, stets ein galantes “customer service smile” an den Tag zu legen. Gerade im höherpreisigen Segment der Sexarbeit ist einiges an Emotionsarbeit erforderlich: Bei der so genannten Girlfriend-Experience geht es beispielsweise darum, die Erfahrung eines romantischen Pärchenabends zu inszenieren — natürlich ohne den Zoff um die offen gelassene Zahnpastatube. Die vermeintliche Authentizität ist hier Teil der Performance. Denn wer will schon eine Escort buchen, die ständig von ihrem Kummer erzählt?
Die Inszenierung als lebensfroh ist wichtig fürs Marketing. Sie ist aber kein politisches Argument.
Man sollte aber nicht den Fehler machen, diese Werbung in eigener Sache mit einem politischen Argument zu verwechseln. Wenn es um die Legitimität von Sexarbeit geht, kommt es schlichtweg nicht darauf an, ob Einzelne ihren Job lieben oder nicht. Die Sexindustrie ist kein Schlaraffenland, und es bringt auch nichts, eines vorzugaukeln. Wie in anderen Branchen auch, läuft auch in der Sexindustrie vieles gewaltig schief. Gerade in den schlechter bezahlten Bereichen der Prostitution stapeln sich die sozialen Missstände.
Diese sind allerdings kein Alleinstellungsmerkmal der Sexarbeit. Wer sich isoliert auf die Probleme im Rotlicht einschießt, verkennt die globalen Verflechtungen: Elendsprostitution offenbart die klaffenden Lücken im sozialen Netz. Die prekäre Situation vieler osteuropäischer Sexarbeiterinnen lässt sich nicht ohne die nationalen Grenzregimes verstehen. Und die Erzählmuster im Porno sind so rassistisch und frauenfeindlich wie die Gesellschaft, die sie hervorbringt. Kurzum: Die Missstände in der Sexindustrie spiegeln stets die Verhältnisse wider, unter denen Arbeit stattfindet: Kapitalismus, Patriarchat, White Supremacy.
Das Gemeine an der Sache: Viele Sexarbeitende würden gern offener über diese Missstände sprechen. Das kann aber nicht gelingen inmitten einer Debatte, die die Legitimität und Selbstbestimmtheit ihres Jobs permanent anzweifelt. Prostitutionsgegner:innen klagen ein ganzes Berufsfeld an. Das führt dazu, dass sich die Betroffenen dann auch verhalten wie bei einem Verhör. Ganz nach dem Motto: Alles, was Sie äußern, kann gegen Sie verwendet werden (und wird es auch, wie die zahllosen persönlichen Attacken aus dem Lager der Sexkaufgegnerinnen beweisen). Da ist es manchmal besser, überhaupt nichts zu sagen — oder sich auf die Story von der “glücklichen Hure” zu beschränken.
Viele würden gern offener über ihre Probleme sprechen. Doch die Verbotsdebatte hemmt sie.
Wer Sexkauf verbieten will, hat kein Interesse daran, diese Probleme zu lösen, sondern will sie einfach nur unsichtbar machen. Von der Bildfläche tilgen. Ein Sexkaufverbot macht alles nur noch schlimmer: Es bringt Sexarbeitende nicht dazu, ihren Job zu wechseln. Stattdessen verschärft es die Probleme, die es angeblich lösen will. Wer sich aufrichtig für Sexarbeitende engagieren will, muss ihnen endlich zuhören — und dafür einstehen, dass ihre Arbeit nicht kriminalisiert wird.
Dieser Text stammt von dem Sexarbeiter, Filmemacher und Journalisten Theo Meow und wurde zuerst auf medium.com veröffentlicht.
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