10 Gründe gegen die 3Sat-Sendung – Prostitution: Kein Job wie jeder andere
von Johanna Weber
Ein Thema, das die Menschen lockt, aufwendig produziert und handwerklich auf den ersten Blick gut gemacht. Das Futter für einen Sendeplatz zur Primetime des öffentlich-rechtlichen Fernsehens.
Doch bei genauerer Betrachtung ist die Sendung eher ein gutes Beispiel für schlechten Journalismus.
Link zur Sendung -> https://www.3sat.de/wissen/wissenschaftsdoku/210304-prostitution-wido-104.html
1. Mit falschen Versprechungen zum Mitmachen animieren
Es sollte ein ausgewogener Beitrag werden, der alle Seiten der Branche gleichmäßig beleuchtet. Vor Monaten schon kam die Anfrage zum Interview an mich rein. Ich war zunächst skeptisch, hatte dann aber ein gutes Gefühl bei der jungen Nathalie Suthor, die diesen Beitrag produzieren wollte. Sie nahm mich in meinem Studio auf, und sie vermittelte den Eindruck, dass sie nicht nur gut zuhört, sondern auch versteht. Nie hätte ich gedacht, dass sie aus mir einen Lückenfüller für ihre Sendung macht, alleine um zu zeigen, dass sie mit allen Seiten gesprochen hat.
Mit den selben Argumenten wurden auch Kristina Marlen und die Soziologin Elfriede Steffan gelockt, die hier ihre Beschwerde an die Redaktion veröffentlicht hat. Auch den beiden Mitarbeiterinnen der Beratungsstelle Freiraum aus Essen ging es ebenso. Sie erhielten die Informationen, es ginge um ein differenzierte Darstellung von Sexarbeit.
2. Skandalöse Darstellung von sozialer Arbeit
Auch die beiden Sozialarbeiterinnen aus Essen haben der Redakteurin vertraut. Auch ihnen wurde im Vorhinein eine völlig andere Geschichte erzählt. Da sie immer daran interessiert sind, ein differenziertes Bild von Sexarbeit abbilden zu können, hat die Beratungsstelle daran gerne mitgewirkt. Die Beratungsstelle wies darauf hin, dass sie das Sexkaufverbot für eine Katastrophe halten. Es wurde in der Beratungsstelle gedreht und viele Hintergründe dargelegt. Doch nur der medienwirksame Besuch auf dem Straßenstrich wurde in der Reportage dargestellt.
Von dieser Stelle wird es ebenfalls eine Stellungnahme zu der Reportage geben um Dinge richtig zu stellen und den Unmut über die gezeigte Reportage zum Ausdruck zu bringen.
3. Einseitige Lobeshymnen auf Schweden
Als großen Erfolg sehen die beiden Sozialarbeiterinnen aus Stockholm, dass sich der Straßenstrich in 20 Jahren halbiert hat. Wie kann das eine Erfolgsmeldung sein? Es ist doch erstaunlich, dass es überhaupt noch einen Straßenstrich in Stockholm gibt, wo sich die Männer doch strafbar machen und die Polizei nicht nur bei deren Arbeitgeber*innen Bescheid sagt, sondern auch Zuhause bei ihren Ehefrauen.
Außer, dass die beiden schwedischen Sozialarbeiterinnen blond sind, kann ich keinen großen Unterschied zwischen ihnen und den beiden Kolleginnen aus Essen wahrnehmen. Die Tätigkeit scheint sehr ähnlich zu sein. Dies, obwohl es in Schweden doch eigentlich gar keine Prostitution mehr geben sollte. Die Bevölkerung lehnt das angeblich ab, und für jede Sexarbeiterin gibt es angeblich tolle Ausstiegprogramme. Ich verstehe nicht, wieso das als Vorbild dient. Es dürfte doch in Schweden entweder gar keine Sexarbeitenden oder nur noch glückliche geben. Wozu braucht es in dem Land noch Beratungsstellen für Sexarbeitende?
Von sexarbeitenden Männern und trans* Menschen ist dort eh nie die Rede. Opfer sein kann laut diesem Verständnis nur die Frau.
Im späteren Verlauf der Sendung kommt die rumänisch-stämmige Kollegin Jasmina zu Wort. Sie erzählt, dass sie über eine rumänische Internetseite nach Schweden zum Arbeiten gekommen sei. Wird Schweden uns nicht immer als das Land verkauft, in dem es keinen Menschenhandel und eigentlich so gut wie gar keine Prostitution mehr gibt?
Wie kann es denn sein, dass Schweden annonciert und Sexarbeitende aus dem Ausland anwirbt?
Hier hätte 3Sat wunderbar ansetzen können für Nachfragen und Recherchen.
4. Stigmatisierende Sprecher*innentexte
Die eingesprochenen Texte der Sprecher*innen sind bei solchen Dokumentationen sehr wichtig und prägend. Hier ist auf besondere Neutralität zu achten. Das war bei dieser Sendung nicht das Ziel, denn Formulierungen wie „sie begann ihren Körper zu verkaufen“ sind wertend. Es ist für Fernsehzuschauende kaum noch möglich, DAS neutral als Tätigkeit zu sehen. Diese Tätigkeit kann gute und schlechte Seiten haben, aber um die wirkliche Beleuchtung der beiden Seiten ging es hier nicht.
5. Opferdarstellung durch Bildsprache und Untertitel
Einseitige Beeinflussung auch in der Darstellung der rumänischen Kollegin, Anna. Ihr Gesicht wird nicht gezeigt. Verständlich, dass sie wegen der Stigmatisierung nicht auch noch öffentlich auftreten will. Die medial unerfahrene Frau auf einen Stuhl zu setzen und von hinten zu filmen, ist ein äußerst unglückliches Setting. Diese Art der Darstellung kennt man sonst eher von Gerichtsprozessen. Andere Sendungen zeigen, dass es geschickte Methoden gibt, solche beeinflussende Bildsprache zu vermeiden. Die anonymen Kolleg*innen werden dann z.B. beim Spazierengehen mit ihrem Hund gezeigt. Kamera schwenkt auf die Landschaft, den Hund, ihre Füße, die Zigarette in der Hand, und dabei erzählen sie aus ihrem Leben.
Ich gehe davon aus, dass die Stuhlsitzposition hier bewusst gewählt wurde, denn die mediale Opferzuschreibung geht noch ja weiter.
Die Rumänin spricht wirklich gut verständliches Deutsch. Warum muss es dazu Untertitel geben? Die Untertitel vermitteln das Gefühl, dass die osteuropäische EX-Prostituierte ja sonst nicht zu verstehen wäre. Das passt in das Bild, von der ausländerspezifischen Hilflosigkeit.
Sehr gut Deutsch spricht auch die später in der Sendung vorkommende Landsmännin, Jasmina, die im Alter von 15 Jahren angefangen hat in der Prostitution. Ja, es gibt diese Fälle, aber das ist selten, und es ist verboten. Und trotzdem gibt es das. Genau dieser Fall sollte uns doch eigentlich die Augen öffnen, dass es nicht härterer Gesetze bedarf, sondern dass in der Illegalität der Untergrund noch mehr blüht.
Wenn ich diesen beiden rumänischen Ex-Kolleginnen wirklich zuhöre, denke ich, dass nicht die Prostitution das größte Problem ist, sondern die Arbeitsbedingungen. Und das sollten wir verbessern.
6. Willkürliche Verwendung von Zahlen
„Gerade mal 40.400 der geschätzten 400.000 Prostituierten, sind als solche registriert. Vermutlich weil die meisten Opfer von Menschenhändlern sind“, schlussfolgert 3Sat. Immerhin wurde den 400.000 noch das Wort „geschätzt“ vorgeschoben, aber diese Zahl kursiert überall und es gibt keinen einzigen Nachweis, dass diese Zahl auch nur annähernd stimmt. Es ist meiner Meinung nach völlig unmöglich, dass 360.000 Sexarbeitende in Deutschland ohne Registrierung arbeiten laut ProstituiertenSchutzGesetz. Wo sollen die alle sein? Es ist ohne den sogenannten „Hurenausweis“ nicht möglich in sogenannten Prostitutionsstätten oder auch bei Escort-Services zu arbeiten. Es bleibt nur noch das eigenständige Arbeiten über das Internet.
Was lösen diese Zahlen hier aus?
„Nur 40.000 arbeiten legal, der Rest sind Zwangsprostituierte.“
Haben wir also mehr als 300.000 Zwangsprostituierte in Deutschland? Das LKA weist in ihren Lageberichten eindeutig weniger als 600 Opfer pro Jahr nach. Natürlich gibt es ein Dunkelfeld, aber so unfähig ist die deutsche Polizei auch nicht, dass ihnen fast 300.000 Zwangsprostituierte durch die Lappen gehen.
Weitere Zahlen werden in den Raum geworfen.
So z.B. soll verdi angeblich von 14,5 Milliarden Euro Umsatz pro Jahr in der Prostitutionsbranche wissen. Belege und Quellen finden sich auf der Webseite der Gewerkschaft nicht.
7. Expert*innen, die keine Expert*innen sind
Dass die Traumtherapeutin, Ingeborg Kraus, nur traumatisierte Prostituierte kennt, finde ich jetzt nicht so ungewöhnlich. Wer geht denn sonst zur Traumtherapeutin? Sie als Kennerin der Prostitutionsbranche darzustellen, ist ausgesprochen problematisch.
Der Polizist, Herr Sporer, gilt als offen frauenfeindlich und rassistisch. Migrantische Sexarbeitende stuft er ein als schwach, manipulierbar oder leicht zu beeinflussen. Auch spricht er von „Mädchen“, wenn er osteuropäische junge Frauen meint. Und er schreibt tatsächlich sogar in Stellungnahmen für die Bundesregierung von „gering ausgeprägter Persönlichkeit“ bei Prostituierten.
8. Zu viel Raum für persönliche Geschichten ohne Sachzusammenhang
Die Geschichte des Loverboy-Opfers Sandra Norak ist wirklich sehr tragisch. Es ist wichtig, dass Opfer sprechen dürfen, und es ist auch wichtig, dass sie Opfer sein dürfen. Die eigene Leidensgeschichte darf aber nicht mit Allgemeingültigkeit verwechselt werden.
Hier wird ihr der Anstrich von einer die „es geschafft hat dem Elend zu entkommen“ gegeben, durch die Darstellung vom Ex-Prostitutions-Opfer zur angehenden Staranwältin, die sich gegen das Unheil der Welt einsetzt. Ich möchte hier nicht falsch verstanden werden, denn ich finde den Weg von Sandra Norak, die Schulausbildung nachzuholen und dann zielorientiert zu studieren grundsätzlich sehr gut. Dies sollte Mut machen und zum Nacheifern anregen – allerdings nicht zum Verbot der Sexarbeit.
Die Evaluation des 3-jährigen Modellprojektes zum Umstieg aus der Sexarbeit hat übrigens ergeben, dass von 10 Sexarbeitenden, die aufhören wollen, 9 diesen „Ausstieg“ alleine schaffen, und nur eine braucht Unterstützung.
9. Emotionale Erzählungen werden nicht kommentiert
Der sichtlich aufgewühlte Frauenarzt erzählt davon, dass mit seinen Klientinnen aus der Beratungsstelle „schlimme Dinge“ gemacht werden. Damit es dann richtig ekelig wird fügt er noch das Bild von „Fäkalienspielchen“ hinzu. Was auch immer das sein soll. Und für alle, die es noch nicht begriffen haben wird noch ergänzt, das dies etwas ist, was in der Seele hängen bleibt.
Außerdem haben die Frauen 14-15 Freier am Tag, und dann haben sie natürlich Schmerzen.
Oh ha.
Ja, auch ich habe Kolleginnen kennengelernt, die weit mehr als 10 Kunden am Tag im Laufhaus gemacht haben. In der Regel haben sie das nur zu Beginn gemacht und dann
– entweder wieder aufgehört mit dem Job
– sich professionalisiert und höhere Preise genommen
– nur einen oder zwei Tage pro Woche im Laufhaus gearbeitet
– immer nur wochenweise gearbeitet
Und da sind wir schon bei dem Zauberworten:
a) Unterstützung beim Umstieg in andere Berufe
b) Professionalisierung
Ich weise darauf hin, dass auf dem Straßenstrich andere Regeln gelten. Oft geht es dabei aber nicht um Geschlechtsverkehr, sondern „Handarbeit“.
10. Einseitige Darstellung von Sexarbeitskunden
Die Behauptung, dass Freier keine Grenzen kennen, wird nicht hinterfragt. Wer sind denn eigentlich die Massen von brutalen, egoistischen, gefühllosen Männern? Und was ist mit unseren nicht-männlichen Kund*innen?
Der Blick auf die Kunden von Sexarbeitenden war ja gut eingeleitet durch das Interview mit dem Geläuterten. Ich denke, dass durchaus einige seiner genannten Punkte auf viele andere Kunden zutreffen. (1)
Was wird grundsätzlich für ein Bild von Männern in dem Film dargestellt?
Wiederholende Ansagen wie „Die machen mit uns was sie wollen“ oder „Ich musste mit jedem Mann machen, was die wollen.“ zeigen mir sehr deutlich, dass es da Handlungsbedarf gibt. Das heißt für mich aber nicht Strafgesetze, sondern Empowerment, Empowerment, Empowerment.
Ein*e Sexarbeiter*in sollte wissen oder lernen, dass sie den Kunden in der Hand hat und nicht umgekehrt. Wie jede gute Verkäuferin, sollte auch die Sexarbeiterin lernen, den Kunden zu lenken.
In meinen Abschlussworten finde ich mich zumindest wieder:
JA, ich mach das gerne.
NEIN, ich finde nicht jeden Kunden toll.
NEIN, ich habe nicht jeden Morgen Lust zur Arbeit zu gehen
aber
JA, ich möchte diesen Job machen.
Und ein NEIN anerkennen, heißt genauso auch ein JA anerkennen.
Also, Nathalie Suthor wird auf jeden Fall von der Presseliste des BesD gestrichen.
zu ( 1): ein sehr aufschlussreicher und unterhaltsam zu hörender Podcast zum Thema Kunden von Sexarbeitenden mit der Wissenschaftlerin, Harriet Langanke, die Freierforschung betrieben hat
-> Podcast – Alles über Sexualität
Hier ein schönes Beispiel wie es in Schweden wirklich ist als „Gegenbeispiel“:
https://www.youtube.com/watch?v=pocwgHezZhA
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