Neue Studie: Auswirkung von Sexkaufverboten und End-Demand-Ansatz auf Menschen in der Sexarbeit
Der im September 2021 erschienene wissenschaftliche Artikel „The Impact of Twenty Years of End Demand Implementation on People who Trade Sex“ untersucht die Auswirkungen des sogenannten „End Demand“-Ansatzes. Autorin Kate D’Adamo war unter anderem für das Sex Workers Outreach Program und Sex Workers Actions New York, sowie als National Policy Advocate beim Sex Workers Project im Urban Justice Center tätig.
Kurz erklärt:
„End Demand“ bedeutet übersetzt „Beendet die Nachfrage“. Damit sind Gesetze und Regulierungen gemeint, die den Kauf von sexuellen Dienstleistungen und die Unterstützung des Verkaufes/der Anbieter*innen strafbar machen. Auf diese Weise soll ein Ende der Nachfrage von Seiten der Kund*innen zu einem Verschwinden von Sexarbeit führen. Der „End Demand“-Ansatz entspricht der Gesetzgebung die hier als Nordisches/Schwedisches Modell beziehungsweise als Sexkaufverbot bekannt ist.
Sexarbeit und die Menschen in der Sexarbeit werden in verschiedenen Ländern unterschiedlich behandelt, D’Adamo identifiziert vier Hauptformen:
1) Vollständige Kriminalisierung: Verkauf und Kauf von Sexdienstleistungen und jegliche Unterstützung von Menschen, die der Sexarbeit nachgehen, sind verboten und werden bestraft. Dabei ist es unabhängig, ob es sich dabei um Sexarbeit oder sexuelle Ausbeutung/Gewaltverbrechen handelt.
Beispiel: Ukraine
2) Legalisierung: Für den Verkauf und Kauf von Sexdienstleistungen und die Unterstützung von Menschen in der Sexarbeit werden (diskriminierende) Sondergesetze geschaffen, in deren Rahmen Sexarbeit legal betrieben werden kann.
Beispiel: Deutschland (Prostitutiertenschutzgesetz)
3) Entkriminalisierung: Die Sexarbeitsbranche wird wie jede andere Branche behandelt, mit branchengerechten Arbeitsnormen und strafrechtlichen Sanktionen gegen sexuelle Ausbeutung, Menschenhandel und andere Verbrechen.
Beispiel: Das bisher einzige Land, das – mit der Ausnahme einer Safer Sex Vorschrift – Sexarbeit vollständig entkriminalisiert hat, ist Neuseeland (Prostitution Reform Act)
4) Asymmetrische Kriminalisierung: Auch bekannt als Nordisches Model oder Sexkaufverbot. Diese Form des Umgang verfolgt den oben beschriebenen „End Demand“-Ansatz. Argumente für Beendigung der Nachfrage nach jeglichem kommerziellen Sex berufen sich darauf, dass dies der effektivste Weg sei, Menschenhandel und andere Gewaltverbrechen innerhalb der Sexarbeitsbranche zu bekämpfen. Eine weitere Besonderheit der asymmetrischen Kriminalisierung besteht in den oft dahinter stehenden moralisch beeinflussten Überzeugungen ihrer Vertreter*innen: Interessen von Sexarbeitenden, die den Ansatz ablehnen werden ignoriert oder ihre Existenz wird angezweifelt. Es wird darauf beharrt, dass Sexarbeitende selbst nicht kriminalisiert werden, obwohl das Verbot für den Kauf sexueller Dienstleistungen jegliche Transaktion de facto wieder illegal macht.
Blog-Lesetipp: „Spaltung, Angriff, Spott: Strategien der Prostitutionsgegner*innen“.
Beispiel: Zweiundzwanzig Jahre nachdem Schweden 1999 das „End Demand“-Modell der asymmetrischen Kriminalisierung des Sexgewerbes eingeführt hat, haben sechs weitere Länder das Modell in verschiedenen Varianten übernommen – Norwegen (2009), Island (2009), Kanada (2014), Frankreich (2016), Irland (2017, in Nordirland bereits 2015) und Israel (2018).
In ihrer Recherche beleuchtet D’Adamo die Auswirkung dieser asymmetrischen Kriminalisierung, die im Folgenden in aller Kürze zusammengefasst werden:
1) Auswirkung auf Kontrolle und Überwachung von Menschen in der Sexarbeit
Ergebnis: Da die polizeiliche Überwachung der Käufer*innen auch die Kontrolle und Überwachung der Sexarbeitsbranche und der kommerziellen Sexualtransaktionen beinhaltet, sind die Anbieter*innen sexueller Dienstleistungen nach wie vor der polizeilichen Überwachung und den damit verbundenen Nachteilen ausgesetzt.
2) Auswirkung auf Häufigkeit der Ausübung von Sexarbeit
Ergebnis: Der Umfang des Sexgewerbes hat sich entgegen anders lautender Aussagen von Sexarbeitsgegner*innen nicht wesentlich verändert. Allerdings wurde eine Verdrängung, Verlagerung und Verschiebung in den digitalen Raum, in weniger von der Polizei kontrollierte Gebiete und hin zur Indoor-Sexarbeit festgestellt.
3) Auswirkung auf Arbeitsbedingungen
Ergebnis: Die Kriminalisierung von Kunden führt zu negativen Veränderungen. Die Verlagerung von Sexarbeit um einer polizeilichen Entdeckung zu entgehen, bringt mehrere erhebliche Nachteile mit sich: Isolation von anderen Sexarbeitenden, Wegfall von Sicherheitsmechanismen durch Zusammenarbeit mit anderen Sexarbeitenden, Unerreichbarkeit durch Sozialarbeiter*innen, erhöhtes Risiko gewalttätiger Übergriffe, erhöhtes Risiko von sexuell übertragbaren Krankheiten.
4) Auswirkung auf Kundenverhalten
Ergebnis: Auf Teilen der Kundenseite sinkt die Bereitschaft sexuelle Dienstleistungen zu erwerben, was zu stärkerem Wettbewerb unter Sexarbeitenden und niedrigeren Preisen sowie Wohnungs- und Ernährungsunsicherheit führt. Weniger Kunden melden Informationen über mögliche Ausbeutung und Menschenhandel. Das „Screening“ potentieller Kunden wird durch deren Furcht vor Verhaftung und Entdeckung verkompliziert. Der durch die veränderten Dynamiken entstandene „Käufermarkt“ führt zu einer verschlechterten Verhandlungsposition von Sexarbeitenden und steigendem Risiko Opfer von Vergewaltigungen und anderen Straftaten zu werden.
5) Auswirkung auf Beziehung zu Strafverfolgungsbehörden
Ergebnis: Es konnte keine Verbesserung in der Beziehung zwischen Sexarbeitenden und Strafverfolgungsbehörden festgestellt werden. Diese werden von Sexarbeitenden als Bedrohung und Gefahrenquelle wahrgenommen, es wird von Übergriffen, Einschüchterung, Belästigung, Durchsuchung von Arbeitsplätzen, Erpressung und Drohungen berichtet.
6) Auswirkung auf Stigmatisierung von Sexarbeiter*innen
Ergebnis: Die Taktiken zur Umsetzung der „End Demand“ Ideen und Gesetze, beinhalten öffentliche Botschaften, die die Sexarbeitsbranche im Allgemeinen stigmatisieren und beschämen. Sexarbeitende berichten über eine zunehmende Stigmatisierung, sowohl von Seiten der Anti-Prostitutionsaktivist*innen, aber auch der allgemeinen Bevölkerung und sogar von unterstützenden Stellen. Erfahrungen von Sexarbeiter*innen werden oft absichtlich falsch dargestellt und teilweise offene Feindseligkeit erzeugt. Die Autorin schreibt dazu: „Sexarbeiter*innen erleben die „End Demand“-Rhetorik oft als eine Wiederholung der Entmenschlichung die gemeinhin mit den Erfahrungen des Menschenhandels verbunden werden.“
Interessant:
Zwei Consultants der ->International Organization for Migration schrieben in ihrem 2003 erschienenem Report ->„Is Trafficking in Human Beings Demand Driven? (2003)“ dass Männer, die Prostitution als Arbeit betrachten, eher um Frauen, die Opfer von Menschenhandel sind besorgt sind. Kunden, die am ehesten die Dienste von Menschenhändlern in Anspruch nahmen, teilten die abolitionistische Vorstellung, dass Frauen eine Ware sind und deren Bezahlung Eigentum und nicht Dienstleistungskauf bedeutet.
7) Auswirkung auf männliche, queere, trans, inter und non-binäre Sexarbeiter*innen
Ergebnis: Die Idee hinter „Beendet die Nachfrage“ basiert ausschließlich auf einer binären Vorstellung von Frauen als Opfern und Männern als Tätern. D’Adamo schreibt: „In diesem System werden alle Männer, die Sex kaufen, als Aggressoren und alle Frauen in der Sexarbeit als Opfer männlicher Gewalt und patriarchalischer Unterdrückung angesehen. Männliche Kunden werden pathologisiert und männliche, sowie trans Sexarbeitende werden unsichtbar gemacht“
8) Auswirkung auf Rassismus und Xenophobie gegenüber Sexarbeiter*innen
Ergebnis: Es wurde eine Zunahme der Stigmatisierung insbesondere mit rassistischen und fremdenfeindlichen Überlagerungen festgestellt. In den Medien werden zugewanderte Sexarbeiter*innen häufig mit Begriffen wie „Invasion“ und „Überschwemmung“ beschrieben und als Bedrohung dargestellt. Migrantische Sexarbeiterinnen berichten von rassistisch motivierten Angriffen und Profiling durch die Strafverfolgungsbehörden. Insbesondere Frauen aus der afrikanischen und asiatischen Diaspora berichten, dass racial profiling und die Unterstellung Sexarbeitende zu sein, dazu geführt hat, dass ihnen der Zugang zu Wohnungen, Motels oder anderen Orten verweigert wird.
9) Auswirkung auf die psychische Gesundheit von Sexarbeiter*innen
Ergebnis: Die durch die End-Demand-Ansatz ausgelösten Veränderungen der Arbeitsbedingungen erzeugen erhöhte Risiken, wirtschaftliche Unsicherheit und einen Anstieg der Stigmatisierung in der Gesellschaft. Diese sorgen für die die Zunahme von emotionalen Stress, Angst und Unsicherheit und Substanzkonsum als Bewältigungsmechanismus.
10) Auswirkung auf die Bekämpfung von Menschenhandels
Ergebnis: Es wurde noch nie ein schlüssiger Zusammenhang zwischen der Umsetzung des Nordischen Modells in einem Land und einem Rückgang des Menschenhandels in die Prostitution festgestellt, obwohl es in mehreren Ländern umgesetzt wurde. Wie bei jeder anderen Form der Arbeit auch, kann der/die Einzelne in der Sexarbeitsbranche aus eigener Entscheidung, aufgrund äußerer Umstände oder durch Zwang involviert werden. Plötzliche medizinische Ausgaben, der Verlust der Wohnung oder die finanziellen Bedürfnisse eines geliebten Menschen können die Situation einer Person und ihre Entscheidungen in Bezug auf Sexarbeit radikal verändern.
Nicht jeder Mensch, der sexuelle Dienstleistungen anbietet, empfindet seine Erfahrung mit der Sexarbeit als gewalttätig oder ausbeuterisch. Es ist wichtig, die Würde aller Menschen zu respektieren, ihre Selbstbestimmung zu schätzen und ihnen die Möglichkeit zu geben, ihre eigenen Erfahrungen zu beschreiben und einzuordnen.
Fazit:
In jedem Land sind die Ergebnisse eindeutig: Die Umsetzung der Gesetze zur Begrenzung der Nachfrage führt zu negativen und schädlichen Ergebnissen für Menschen in der Sexarbeit. Aus keinem Land kann berichtet werden, dass das Sexkaufverbot das Ausmaß des Sexgewerbes verringert, oder gar Menschenhandel und Ausbeutung beendet oder eingedämmt hat.
Die Umsetzung des Nordischen Modells führt nicht dazu, dass Sexarbeiter*innen sicherer oder gesünder werden oder das Gefühl haben, ihre Situation besser unter Kontrolle zu haben. Sexarbeiter*innen berichten hingegen über ein höheres Maß an Gefährdung, mehr Stigmatisierung und soziale Ausgrenzung.
D’Adamo schreibt: „Das Nordische Modell hat ausdrücklich zum Ziel, die Sexarbeit vollständig abzuschaffen, auch für diejenigen, die aus freien Stücken oder aufgrund der Umstände darin involviert sind, und basiert auf der Überzeugung, dass jegliche Sexarbeit von Natur aus schädlich ist, unabhängig davon, wie sich die Person, die Sex verkauft, identifiziert.“
Sie fordert, dass die Beiträge und Expertise von Sexarbeiter*innen gewürdigt und in die Entwicklung von Gesetzen die sie selbst betreffen mit einbezogen werden.
Der gesamte Artikel ist hier in englischer Sprache zu lesen. Die obenstehende Zusammenfassung der Studie stammt von Sexarbeiterin und BesD-Vorstandsmitglied Liliane Kraft alias Madame Simone.