Zwischen Romantisierung und Räuberpistole – Kritik am taz-Artikel: Von wegen „Sexarbeit“
Zum professionellen journalistischen Arbeiten gehört es, sich nicht emotional vereinnahmen zu lassen. Doch genau dies ist der taz-Autorin Elena Wolf bei der Beschreibung ihres Besuchs einer Ausstellung zum Thema Prostitution anscheinend passiert.
In ihren Augen wird das gesellschaftliche Bild von Sexarbeit romantisiert und das vermeintliche Elend wird nicht gesehen.
Die zehn in der Ausstellung dargestellten Sexarbeiterinnen gehören alle samt dem typischen Klientel an, welches sich in Beratungsstellen findet.
Federführend bei der Ausstellungs-Gestaltung war die Beratungsstelle Amalie aus Mannheim. Sie machen definitiv gute Arbeit, sind allerdings für ihren Blick durch die Opferbrille bekannt. Die Ausstellung zeigt das Bild, welches die Beratungsstelle Amalie in Mannheim erlebt.
Und diese Frauen sind ein nicht unbedeutender Teil der Sexarbeit – jene, die kaum Alternativen zur Sexarbeit haben.
Ein Gesamtbild über Sexarbeit zeigt das jedoch nicht.
Ich will nicht von Diskriminierung sprechen, aber Prostituierte werden hier pauschal zu Opfern erklärt. Ebenso wird Migrantinnen pauschal eine ausländerspezifische Hilflosigkeit zugeschrieben.
Andere Beratungsstellen beschreiben die selbe Ausgangslage ganz anders. Das Beratungsstellen-Netzwerk ProCoRe aus der Schweiz hat zum Beispiel eine wunderbare Podcast-Reihe, in der ihre Klientinnen zu Wort kommen. Wie dieser Beitrag zweier migrantischer Straßen-Sexarbeiterinnen, Maria und Katja, die über ihren Arbeitsalltag sprechen.
Noch einen erfreulich anderen Umgang mit dem Lebensalltag von Sexarbeitenden zeigt der Stern in der Fotostrecke Sex-Worker – Das ganz normale Leben: Mit Bildern von 10 Sexarbeitenden, die sich nicht mit den Bildern der Mannheimer Ausstellung decken.
Gerade beim Tabu-Thema Sexarbeit ist es sehr schwierig, den emotionalen Spagat zwischen Romantisierung und Räuberpistole zu bewältigen.
Medien haben eine besonders große Verantwortung dafür, wie sie Themen und Sachverhalte darstellen, denn sie prägen das Bild der Gesellschaft. Dies ist eine Herausforderung, mit der Journalist*innen sorgsam umgehen sollten.
Die taz-Autorin hat die von den Ausstellungsmachenden bezweckte einseitige Darstellung scheinbar vollständig übernommen. Schon ihre Unterüberschrift erscheint mir sehr problematisch: Wer sich auf die Fotos der Ausstellung „Gesichtslos – Frauen in der Prostitution“ einlässt, sieht: Für die meisten Frauen ist das Gewerbe Gewalt.
Dass es auch möglich ist, einen sachlichen Artikel über exakt dieselbe Ausstellung zu schreiben, beweist der SWR. Dort lautet der Titel: „Prostitution aus der Tabu-Zone holen und von Klischees befreien„. Beim SWR ist das Stigma der Schwerpunkt des Artikels.
Der Tenor der Ausstellung, dass Sexarbeitende mit weißen Masken gesichtslos gemacht werden, wird in den beiden Artikeln ähnlich bewertet. Es ist eine wichtige Kritik an der Stigmatisierung von Sexarbeitenden.
Das Thema mit den weißen Masken wurde übrigens auch von einem Sexworker-Kunstprojekt gewählt. Hier das Video „Underground Dance“, einer Political Art Performance in Berlin 2015.
Die Ausstellung und der taz-Artikel vermitteln den Eindruck, dass Sexarbeit zwangsläufig Verzweiflung, Elend, Gewalt und Traumatisierung mit sich bringt und dass es aus dieser Alternativlosigkeit kein Entrinnen gibt.
Ich bin der Meinung, dass an den speziellen Problemen in der Sexarbeit nur sinnvoll gearbeitet werden kann, wenn wir zunächst einen offenen Blick für die komplette Branche haben. Das Erkennen der Vielschichtigkeit ist wichtig. Erst dann können wir uns einzelnen Personen- oder Problemgruppen zuwenden.
Mitleid und Gefühlsduselei helfen keinem der marginalisierten Menschen in der Sexarbeit. Auch Verbote oder Freierbestrafung würde deren Leben nur schwerer machen.
Hierbei ist die aufklärerische Arbeit der Medien wichtig. Ich würde mir von Journalist*innen wünschen, dass sie gerade bei moralischen Themen nicht ihre Gefühle sprechen lassen, sondern auch dort versuchen sachlich zu berichten und aufzuklären. Sicher ist das nicht leicht, aber meiner Meinung nach gehört dies zum Handwerkszeug der schreibenden Zunft.
Persönlicher Kommentar von Johanna Weber, politische Sprecherin des BesD