Historie
1999 war Schweden das erste Land der Welt, das den Kauf von Sexualdienstleistungen kriminalisierte. Das Schwedische Modell ist auch als Nordisches Modell, Freierbestrafung oder Sexkaufverbot bekannt.
Ausgehend von Prostitution als Gewalt gegen Frauen und als Hindernis für die Gleichstellung der Geschlechter wurde das Gesetz ursprünglich mit dem Ziel eingeführt, die Prostitution zu verringern. 2008 wurde das UN-Protokolls zum Menschenhandel im Jahr 2008 verabschiedet und in der letzten Minute erfolgte die Aufnahme von Art. 9, der die Staaten auffordert, „Nachfrage zu bremsen, betreffend aller Formen der Ausbeutung von Personen, insbesondere von Frauen und Kindern, die zu Menschenhandel führt”. Seither wird das schwedische Modell als Mittel zur Verhinderung des Menschenhandels in der Sexindustrie angepriesen.
Studien und Community-Reports zeigen, dass das Schwedische Modell zwar für viele Nachteile für Sexarbeitende sorgt, dabei aber weder weniger Sexarbeit stattfindet, noch Menschenhandel oder sexuelle Ausbeutung reduziert wird. Ungeachtet dessen wurden bisher in Norwegen und Island (2009), Kanada (2014), Nordirland (2015), Frankreich (2016), der Republik Irland (2017) und Israel (2018) Kaufverbote für sexuelle Dienstleistungen erlassen.
-> No model in practice: a Nordic model to respond to prostitution? (Kingston und Thomas, 2018)
-> What do sex workers think about the French Prostitution Act? (Le Bail u.a., 2018)
-> The Real Impact of the Swedish Model on Sex Workers (NSWP, 2015)
-> Sweden’s abolitionist discourse and law: Effects on the dynamics of Swedish sex work and on the lives of Sweden’s sex workers (Levy und Jakobsseon, 2014)
Berichte zur Sexarbeit unter dem Schwedischen Modell
Zum Diskurs der „modernen Sklaverei“, dem Bild des „hilflosen ausländischen Opfers“ und dem Umgang mit Kritik von Sexarbeiter*innen
Seit den 90er Jahren haben Sexarbeiter*innen und Sexwork-Organisationen mit der Entstehung und Stärkung einer globalen „Anti-Menschenhandel-Industrie“ zu kämpfen. Sexarbeits-Gegner*innen vertreten traditionell sehr konservative Standpunkte in Sachen Sexarbeit, Strafjustiz und Grenzkontrolle und sehen Sexarbeit generell als Ausdruck von Gewalt gegen Frauen.
–> Zur Unterscheidung zwischen Menschenhandel und Sexarbeit
In dem umfassenden Bericht der „Sex Workers Organising for Change“ zeigt sich anhand der Aussagen von Sexworker-Organisationen aus u.a. Südafrika, Spanien, Indien und Thailand, dass die Zusammenführung von Menschenhandel und Sexarbeit generell von außerhalb der Branche kommt und meist durch eine moralische Agenda angetrieben wird.
Sexarbeits-Gegner*innen und Medien verwenden oft vereinfachte Bilder und Erzählungen über Sexarbeiter*innen, insbesondere Migrant*innen.
Das stereotype Bild des Opfers ist das einer jungen, unschuldigen, ausländischen Frau, die betrogen und zur Prostitution im Ausland gezwungen wird. Sie wird geschlagen und ständig überwacht, so dass ihre einzige Hoffnung die Rettung der Polizei ist. Durch die teilweise fiktiven und enggefassten Darstellungen „idealer Opfer“ – vorzugsweise junge Migrantinnen – werden im Diskurs über „moderne Sklaverei“ rassistische Erzählungen verankert und Betroffene jegliche Entscheidungsmacht abgesprochen. Sexarbeit wird mit Menschenhandel verschmolzen, ohne die strukturellen und kausalen Faktoren von Ungleichheit in Frage zu stellen.
Weiterlesen: Informationen zu gängigen Argumenten von Sexarbeitsgegner*innen
Die Studie von Vuolajärvi zum Schwedischen Modell (2018) in Schweden, Norwegen und Finnland zeigt, dass insbesondere Migrant*innen unter kriminalisierenden Gesetzen leiden. Anstelle des erklärten Ziels. Frauen, die Sex verkaufen zu schützen, werden diese in der Praxis kontrolliert, ihre Arbeitsbedingungen werden erschwert und sie laufen Gefahr abgeschoben zu werden.
Viele Sexarbeiterorganisationen und Beratungsstellen unterstützen gezielt migrantische Sexarbeiter*innen, da diese mit spezifischen Herausforderungen zu kämpfen haben: Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, Prekarität aufgrund ihres Migrationsstatus, mangelnden Zugang zu Gesundheits- und anderen Diensten, Anfälligkeit für Ausbeutung und Gewalt sowie für das Risiko von Inhaftierungen und Abschiebungen.
-> Sex Workers Organising for Change: Self-representation, community mobilisation, and working conditions (Global Alliance Against Traffic in Women, 2018)
-> Governing in the Name of Caring – The Nordic Model of Prostitution and its Punitive Consequences for Migrants Who Sell Sex (Vuolajärvi, 2018)
-> Trafficking (in) Representations: Understanding the Recurrent Appeal of Victimhood and Slavery in Neoliberal Times (Andrijasevic und Mai, 2016)
-> Anti Trafficking Review: Special Issue Sexwork (2019)
Unterscheidung zwischen Sexarbeit und sexueller Ausbeutung/Menschenhandel
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International unterscheidet klar zwischen Sexarbeit und Menschenhandel, sexueller Ausbeutung, sexueller Gewalt und geschlechtsspezifischer Gewalt. Ausschlaggebend ist der Konsens der betreffenden Person – also die freiwillige und fortlaufende Zustimmung zur Ausübung sexueller Dienstleistungen.
Die Zustimmung zum Sex bedeutet nicht die Zustimmung zur Gewalt.
Wie alle andere Personen haben Sexarbeiter*innen das Recht, ihre Einwilligung, Sex zu haben oder zu verkaufen, jederzeit ändern oder widerrufen. Dies muss von allen Parteien respektiert werden. Wenn die Zustimmung nicht freiwillig und fortdauernd ist, oder auch wenn die geänderte oder aufgehobene Zustimmung einer Person nicht respektiert wird, stellt dies eine Vergewaltigung dar, ist eine Menschenrechtsverletzung und muss als Straftat behandelt werden.
Amnesty International plädiert dafür, die Ansichten, Perspektiven und Erfahrungen der Personen, die Sex verkaufen, bei jeder Betrachtung von Fragen im Zusammenhang mit ihrem Konsens zu priorisieren.
Die Analyse von Konsens ist fakten- und kontextspezifisch – die Entscheidung, Sex zu verkaufen, kann durch Armut und/oder Marginalisierung beeinflusst werden. Solche Situationen untergraben oder verneinen aber nicht die Zustimmung/den Konsens einer Person. Negative Umstände machen die Fähigkeit eines Individuums, Entscheidungen über sein eigenes Leben zu treffen, nicht zunichte – es sei denn, es handelt sich um besondere Umstände, die einer Nötigung gleichkommen, zum Beispiel wenn ein Individuum Bedrohungen, Gewalt oder Autoritätsmissbrauch ausgesetzt ist.
-> Zu Missständen in der Sexarbeit
In (Strafverfolgungs-)Behörden und unter Kunden existieren leider nachwievor problematische Annahmen über Sexarbeiter*innen und ihre Konsensfähigkeit. Dazu gehören die gegenteiligen aber gleichermaßen schädlichen Annahmen dass
- Sexarbeiter immer dem Sex zustimmen (weil sie häufig Sex im Rahmen ihrer Arbeit haben)
- Sexarbeiter*innen niemals dem Sex zustimmen können (weil niemand rational dem Verkauf von Sex zustimmen kann)
Beide Annahmen führen laut Amnesty International zu einer Verletzung der Menschenrechte von Sexarbeitern, insbesondere ihrer Sicherheit, ihres Zugangs zur Justiz und ihres Rechtsschutzes.
Zu den schädlichen Auswirkungen von Diskursen, Gesetzen und Richtlinien zur Bekämpfung des Menschenhandels auf verschiedene Teile der Sexarbeiter-Communities gibt es viele Studien. Diese werden oft von der Forderung nach einer Entkriminalisierung der Sexarbeit begleitet und stammen von Akademiker*innen, UN-Agenturen, Menschenrechtsorganisationen, medizinischen Fachkräften, LGBTI+-Organisationen, Organisationen zur Bekämpfung des Menschenhandels, und natürlich von Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern selbst.
-> Position bezüglich der Verpflichtung von Staaten, die Menschenrechte von Sexarbeiter*innen zu achten, zu schützen und zu gewährleisten (Amnesty International, 2016)
Probleme in der Sexarbeits-Branche
Arbeitsmigration und ausbeuterische Arbeitsverhältnisse
In Branchen wie Fischerei, Baugewerbe, Landwirtschaft, Lebensmittelverarbeitung, Pflege und im Sexdienstleistungsgewerbe machen Migrant*innen einen großen Teil der Beschäftigten aus. Die Sexarbeits-Branche ist ein klassisches Ziel für Arbeitsmigration. Viele der dort beschäftigten Menschen sind aufgrund ihres sozialen oder rechtlichen Status besonders verwundbar für Missbrauch, ausbeuterische Arbeitsverhältnisse, Menschenhandel und Gewalt.
Wie die Entscheidung als Haushaltskraft oder Erntehelfer*in zu arbeiten, kann auch die Entscheidung Sex zu verkaufen durch Armut und fehlenden Zugang zu gleichwertig bezahlten Alternativen beeinflusst sein.
Die Staaten sind verpflichtet, alle Personen vor Ausbeutung und den Bedingungen, die ein Ausbeutungsrisiko darstellen, zu schützen. Dabei müssen die Staaten jedoch auch die Handlungsfähigkeit und Kompetenz von Erwachsenen anerkennen und respektieren, die eine einvernehmliche Sexarbeit betreiben.
Amnesty International fordert Staaten auf, sich mit den Bedingungen befassen, die zu Ausbeutung führen, indem sie die Wahlmöglichkeiten der Sexarbeiter verbessern und deren Kontrolle über ihre eigenen Umstände verstärken.
Wie in anderen Dienstleistungsbranchen kann es in der Sexarbeit auch jenseits von Kriminalität zu physischen und psychischen Belastungen kommen. Zum Beispiel wenn man sich übernimmt; wenn man mehr arbeitet, als man wollte oder Dinge anbietet, die einen überfordern, kann es zu Burnouts kommen. Hier unterscheidet sich die Sexarbeit erneut nicht von Berufen, die ähnliche Emotionsarbeit erfordern, wie z.B. Altenpflege oder Krankenhauspersonal.
Im Bereich der Sexarbeit bestehen viele Lösungsansätze um Verbrechen einzudämmen und kriminellen Strukturen das Wasser abzugraben. Zahlreiche Menschenrechtsorganisationen, Organisationen zur Bekämpfung des Menschenhandels, Wissenschaftler*innen und Sexarbeitsverbände benennen den Zugang zu mehr Rechten für Beschäftigte und die Verbesserung ihrer Lebens- und Arbeitsbedingungen als wichtigste Instrumente im Kampf gegen Ausbeutung und Menschenhandel.
Lösungsansätze um Missstände zu bekämpfen
Um psychische und physische Ausbeutung gezielt zu bekämpfen, sind die finanzielle Förderung von niedrigschwelligen Hilfs- und Unterstützungsangebote, die Stärkung von Sexwork-Organisationen, die auf Peer-to-Peer-Basis helfen können, eine Gleichbehandlung vor dem Gesetz sowie eine Entstigmatisierung des Berufsstandes in der Gesellschaft die besten Werkzeuge.
Sexarbeiterorganisationen und Fachberatungsstellen unterstützen Sexarbeitende, um die spezifischen Herausforderungen anzugehen, mit denen sie konfrontiert sind. Vor allem bei migrantischen Sexarbeitenden, die immerhin einen Großteil der in der Sexarbeit tätigen Menschen bilden, kommt einiges zusammen: Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, Prekarität aufgrund ihres Migrationsstatus, mangelnden Zugang zu Gesundheits- und anderen Diensten, Anfälligkeit für Ausbeutung und Gewalt sowie für das Risiko von Inhaftierungen und Abschiebungen.
2019 präsentierte TAMPEP in Genf ein Positionspapier mit Handlungsempfehlungen zur Förderung der Rechte von migrantischen Sexarbeiter*innen und zur Bekämpfung des Menschenhandels.
- Opfer von Menschenhandel sollten nicht als Zeug*innen ausgebeutet werden.
- Regierungen sollten die Bekämpfung der Armut von Frauen, die Förderung der Bildung von Mädchen und den Schutz von Frauenrechten im Rahmen einer globalen Strategie zur Bekämpfung des Menschenhandels einbetten.
- Sexarbeit und Zwangsarbeit sollten als zwei voneinander getrennte Phänomene betrachtet werden. Gesetze zur Bekämpfung des Menschenhandels dürfen nicht dazu verwendet werden, Sexarbeiter*innen – insbesondere ausländische Sexarbeiter*innen – anzugreifen und ihre Rechte zu beschränken.
- Die Realität von (Arbeits-)Migration ist anzuerkennen, auch wenn es sich um Sexarbeit handelt. Gesetze und Strategien, die Migration und Sexarbeit kriminalisieren, sollten aufgehoben werden. Um die Unabhängigkeit von migrantischen Sexarbeiter*innen zu erhöhen und deren Ausbeutung zu verhindern sollten die Möglichkeiten geboten werden, Aufenthaltserlaubnis sowie Arbeitserlaubnis zu erlangen.
- Die Achtung und der Schutz der Menschenrechte von migrantischen Sexarbeiter*innen sollte gefördert werden.
- Eine klare Trennung zwischen der Durchsetzung der Einwanderungspolitik und der Bereitstellung von wesentlichen Versorgungsleistungen sollte gefördert werden. Solange Einwanderungsregeln mehr Gewicht haben als Grundrechte, sind Arbeitsmigrant*innen ohne legalen Aufenthaltsstatus von grundlegenden Leistungen, der Meldung von Straftaten und von Rechtsbeistand abgeschnitten.
- Restriktive Einwanderungsgesetze und Anti-Prostitutionsgesetze sollten als wesentliche Faktoren in der Förderung von Menschenhandel und damit zusammenhängenden Missbrauch erkannt werden.
-> Handlungsempfehlungen zur Förderung der Rechte von migrantischen Sexarbeiter*innen und zur Bekämpfung des Menschenhandels (TAMPEP, 2019)
-> Governing in the Name of Caring – The Nordic Model of Prostitution and its Punitive Consequences for Migrants Who Sell Sex (Vuolajärvi, 2018)
Vorwürfe und Antworten: Informationen zu gängigen Argumenten von Sexarbeitsgegner*innen
Vorwurf: Die Sexarbeits-Bewegung als Zuhälterlobby
„Sogenannte Sexarbeits-Bewegungen bestehen aus den immer gleichen, privilegierten Prostituierten, die als Strohfrauen der Zuhälterlobby ihr Gesicht in die Medien halten um „freiwillige Sexarbeit“ zu bewerben. Sie tun so, als wäre Prostitution ein „ganz normaler Beruf“ und arbeiten damit dem patriarchalen System der Ausbeutung zu.“
Sexarbeitsgegner*innen plädieren – unter Berufung auf die Verhinderung von Gewalt und Menschenhandel und den Schutz von Frauenrechten – für eine verstärkte Kriminalisierung von Sexarbeit bzw. für ein Verbot des Kaufs von Sexdienstleistungen. Die meisten lehnen die Begriffe „Sexarbeit“ und „Sexarbeiter*in“ ab und bezeichnen regelmäßig Frauen in der Sexarbeit als „Ware“ und „Opfer“. Generell nehmen sie Sexarbeit per se als Menschenrechtsverletzung, objektifizierend und frauenverachtend wahr. Auch Gesetze, die den Kauf von sexuellen Dienstleistungen kriminalisieren (siehe: Schwedisches Modell) werden vordergründig im Namen der Gleichstellung der Geschlechter, des Schutzes verletzlicher Personen und der Verhinderung von sexueller Ausbeutung verabschiedet.
Sexarbeitende plädieren – unter Berufung auf die Bekämpfung von Gewalt und Menschenhandel und die Stärkung der Menschenrechte und Arbeitsrechte aller Menschen in der Sexarbeit – für die Anerkennung von Sexarbeit als Arbeit. Sie kämpfen für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen, die Durchsetzung der Menschen- und Arbeitsrechte von Sexarbeitenden und die Entkriminalisierung von Sexarbeit. Sie wehren sich gegen Diskriminierung und Gewalt gegen Sexarbeitende, auch durch Strafverfolgungsbehörden. Sie stellen die Stigmatisierung von Sexarbeit und Menschen in der Sexarbeit in Frage und lehnen Sondergesetze wie das Schwedische Modell als kontraproduktiv ab (siehe: Berichte aus betroffenen Ländern).
Diskussionen werden dementsprechend oft von beiden Seiten als extrem anstrengend empfunden.
Leseempfehlungen:
-> „Warum Podiumsdiskussionen über Sexarbeit nie eine gute Idee sind“
-> Die Hurenbewegung als Teil der Zweiten Frauenbewegung (M. Heying, Autorin von „Huren in Bewegung: Kämpfe von Sexarbeiterinnen in Deutschland und Italien, 1980 bis 2001“ 2019)
Vorwurf: Profitgier, Rücksichtlosigkeit, Ahnungslosigkeit, psychische Probleme
„Sexarbeiter*innen, insbesondere jene die sich öffentlich äußern oder aktivistisch tätig sind naiv/schlecht informiert über die Realitäten der Prostitution ODER verblendet/psychisch krank/verleugnen die Wahrheit ODER im Bunde mit der Zuhälterlobby aus Bordellbesitzern und Menschenhändlern die ihre Propaganda mit-finanzieren ODER nur an ihrer Selbstbestimmung interessiert, die sie ohne Rücksicht auf das Leid von vielen Frauen auf deren Rücken ausleben ODER Alibi-Prostituierte, die nicht oder nicht mehr selbst Geschlechtsverkehr anbieten, aber einen Prostitutionsbetrieb leiten und am patriarchalen System der Ausbeutung von Frauen mit-profitieren.“
Sexarbeitende besetzen im abolitionistischen/sexarbeitsfeindlichen Diskurs eine Sonderposition, aus der kaum ein Ausweichen möglich scheint. Einerseits gelten sie als als Prostituierte per se als passive Opfer, die (wenn nötig vor sich selbst) gerettet werden sollen. Andererseits werden sie im Fall von Widerstand als unerwünschte, „abweichende“ Ärgermacher*innen, Profiteure oder Lügner*innen diskreditiert (s. Levy/Jakobsseon).
Im Community Guide des Global Network of Sex Work Projects werden verschiedene Strategien, wie Aussagen von Sexarbeitenden untergraben werden, sichtbar gemacht:
- Es wird angenommen, dass Sexarbeiter*nnen durch ihre Erfahrungen mit Sexarbeit (oder durch Missbrauch, den sie vor ihrem Eintritt in die Sexarbeit erlebt haben) so traumatisiert sind, dass sie ihre Situation nicht wirklich verstehen können.
- Es wird angenommen, dass Sexarbeiter*innen aktiv lügen, wenn sie über ihre eigenen Meinungen, Erfahrungen, Motive und Leben sprechen – da Sexarbeit allgemein problematisch und traumatisierend sei und Sexarbeiter*innen die „wahre“ Natur ihrer Arbeit verbergen wollen würden.
- Erweist es sich als unmöglich, Sexarbeitende zum Schweigen zu bringen, wird angenommen, dass Perspektiven, die sich vom eigenen Verständnis unterscheiden nicht repräsentativ für Sexarbeiter*innen im Allgemeinen sind. Diese Art der Stummschaltung dient besonders dazu trans, nicht-binäre und männliche Sexarbeiter*innen zum Schweigen zu bringen.
- Das Schwedische Modell beruht darauf, Sexarbeit als eine Form männlicher Gewalt gegen Frauen zu betrachten, daher werden die Existenzen von nicht-cis weiblichen Sexarbeitenden ignoriert.
- Bei Einzelpersonen und Organisationen, die sich auf einen auf Rechten basierenden Ansatz für Sexarbeit konzentrieren (im Gegensatz zum Abolitionismus) wird oft angenommen, dass diese Zuhälter und Menschenhändler unterstützen.
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-> The Real Impact of the Swedish Model on Sex Workers (NSWP, 2015)
-> Sweden’s abolitionist discourse and law: Effects on the dynamics of Swedish sex work and on the lives of Sweden’s sex workers (Levy und Jakobsseon, 2014)