Kommentar zum Artikel „Ich ekelte mich vor Euch und Euren Phantasien“
Die Welt veröffentlichte am 13.01.14 einen Artikel von einer Dänischen Kollegin geschrieben mit dem Titel:
„Ich ekelte mich vor Euch und Euren Fantasien“
„Lieber Sex-Käufer,
falls Du glaubst, dass ich jemals Lust auf Dich hatte, liegst Du schrecklich falsch. Nicht ein einziges Mal bin ich mit Lust zu meinem Job gegangen. Das Einzige, was mich beschäftigt hat, war, schnelles Geld zu verdienen. Verwechsle das nicht mit leicht, denn leicht war das nicht. Aber schnell, ja. Weil ich viele Tricks lernte, wie Du so schnell wie möglich kommst – sodass ich Dich, auf mir, unter mir oder hinter mir, so schnell wie möglich wieder loswerden konnte.
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Berufsverband-Mitglied Sascha Bergthal schrieb dazu:
Sehr geehrte Frau Rahm,
ich antworte Ihnen, weil Ihr „Offener Brief“ mich entsetzt hat. Allerdings nicht in der Weise, wie es vielleicht in Ihrer Absicht gelegen haben mag, dass ich schockiert wäre über das, was die von Ihnen angesprochenen Freier Ihnen etwa angetan hätten, sondern abgestoßen war ich vielmehr vom Tonfall und der Haltung Ihres Schreibens und von Ihrer sogenannten „Abrechnung“ mit Ihren früheren Kunden. Ein solch selbstmitleidiger Opfergestus, wie er in Ihrem Brief zum Ausdruck kommt, steht keinem an, auch nicht, wenn er oder sie in der Prostitution gearbeitet hat und deshalb wohl mit einer Art unmittelbarem Verständnis von Seiten der öffentlichen Meinung rechnen kann.
Ich möchte mich kurz vorstellen, um die simple Replik zurückzuweisen, ich wüsste ja nicht, wovon Sie redeten: Auch ich arbeite als Hure (oder auch Prostituierte oder Sexarbeiterin, an diesen Worten liegt mir nicht viel), noch immer, schon seit vielen Jahren. Angefangen habe ich im Alter von 21 Jahren, inzwischen bin ich 30. Und gearbeitet habe ich fast ausschließlich in ganz gewöhnlichen Bordellen. Ich kann also behaupten, eine gewisse Erfahrung – die von der Ihren offenbar sich sehr unterscheidet – mit der Prostitution und mit diversen Freiern allerhand Alters-, Klassen- und Nationenzugehörigkeiten zu haben.
Was mich an Ihrem Brief stört, ist nicht, dass Sie ihre Arbeit nicht mochten, dass Sie keine Freude oder Lust daran gefunden haben, auch nicht, dass sie etwa festgestellt hätten, dass es mit der Lust in der Prostitution meist nicht weit her ist und sie oftmals eine doch recht trostlose und triste Veranstaltung ist. Das alles sei Ihnen unbenommen und es liegt mir fern, Ihnen das Gegenteil einreden zu wollen. Es scheint, kurz gesagt, nicht der richtige Beruf für Sie gewesen zu sein. Nun denn: ich kann gut verstehen, dass Sex mit fremden Männern, erst Recht gegen Geld und unter den gegenwärtigen Umständen, nicht jedermanns Sache ist und daran ist auch rein gar nichts auszusetzen. Auch eine Kritik am gesellschaftlichen Stand des sexuellen Begehrens, wie er sich in der Prostitution äußert, fände ich nicht falsch, sondern sogar notwendig.
Was mich jedoch geradezu anwidert (und das ist hier das richtige Wort, weil bloße Verärgerung der Selbstgerechtigkeit und Verachtung Ihres Briefes nicht angemessen wäre) ist zweierlei: Zum einen der Gestus der „Abrechnung“, den Sie ausstellen; Ihr „Haha, ihr Arschlöcher, da seid ihr schön auf mich reingefallen, aber wisst ihr was: das war alles eine einzige Lüge und ihr habt sie geglaubt, weil ihr so unglaublich blöd, egoistisch und frauenverachtend seid. – Zwar habe ich mir alle Mühe gegeben, euch etwas vorzuspielen und euch eine Illusion zu verkaufen, aber ich nehme es euch trotzdem übel, dass ihr sie nicht durchschaut habt. Zwar habe ich mit dieser Illusion mein „schnelles Geld“ verdient, aber ihr hättet doch wissen müssen, dass ich das eigentlich alles gar nicht wollte, obwohl ich das Gegenteil suggeriert habe.“ Denn, so unterstellen Sie: Jeder Mann müsste doch eigentlich wissen, dass keine Frau so etwas wollen kann. „So etwas“ meint: Sex mit Männern, „die sie sich nicht ausgesucht hat“, soll wohl heißen: in die sie nicht verliebt ist. Schließlich ist das eine unumstößliche Tatsache, da wird Ihnen die Mehrheitsgesellschaft mit Sicherheit Recht geben. Mit ihrer Denunziation des männlichen Begehrens rennen Sie offene Türen ein, ihre Opfererzählung wird auf bereitwillige Zustimmung stoßen, denn das ist es doch, was alle hören wollen, denen die Prostitution ein Dorn im Auge ist. Sie schieben die Schuld den Freiern zu, stilisieren sich als hilfloses Opfer von deren Begierden, die Ihnen doch gerade zupass kamen, um sie finanziell auszubeuten. Aber nein, nicht Sie haben die Männer benutzt und nach Strich und Faden belogen, sondern Sie fühlen sich von den Männern ausgenutzt! Ein wie ich finde ganz erstaunliches Maß an Selbstbetrug, das offenbar Frauen, insbesondere aber Prostituierten, zugestanden wird, weil die Abspaltung des Sexuellen von der eigenen Person zum common sense zu gehören scheint.
Was mir an Ihrem Brief zu denken gibt, ist, was es eigentlich über die gegenwärtige Gesellschaft und ihr Verhältnis zum Sexuellen aussagt, dass selbst die Huren in ihr lustfeindlich bis in Mark sind (allerdings muss ich feststellen: zum Glück nicht alle); und dass den Huren diese Lustfeindlichkeit als selbstverständlichster Umgang mit eigenem und fremdem Begehren zugestanden wird. Dass es also als ausgemachte Wahrheit gilt, dass das Sexuelle, insbesondere zwischen Mann und Frau, und natürlich erst recht, wenn Geld im Spiel ist, dem Grunde nach nichts weiter als ein Gewaltakt ist. Und zwar einer, der den Frauen von den Männern angetan wird, und bei dem die Frau, die ihre Lust vorspielt, keinerlei Verantwortung trägt, sondern – von keiner Selbstreflexion angekränkelt – all das weit von sich weisen kann.
Das heißt im Grunde nichts anderes als: selbst wenn eine Frau explizit in einen Geschlechtsakt einwilligt, ist das eigentlich immer als „Nein“ zu verstehen und der Mann, der sich darüber hinwegsetzt, ein Vergewaltiger.
Männern im Allgemeinen scheinen Sie die Botschaft vermitteln zu wollen, bloß niemals einer Frau zu glauben (es sei denn vielleicht der rechtmäßig angetrauten Gattin), wenn sie etwa spontane Regungen von Lust zu zeigen scheint. Denn so etwas spielt eine Frau immer nur. Den Zweifel, den Ihre Freier Ihnen an der Rechtschaffenheit der Männerwelt eingeflößt haben, geben sie vervielfacht zurück: Wenn alle Frauen so denken würden wie Sie, so wären die Männer tatsächlich gut beraten, sich von Frauen und ihrer Verschlagenheit äußerst weit fernzuhalten. Sie vertiefen und bestätigen das gegenseitige Misstrauen, das sie zugleich beklagen.
Und wie kann es sein, dass Frauen offenbar in jahrhundertelanger Sozialisation erfolgreich eingeredet wurde, sie beschmutzten sich oder entehrten sich, wenn sie mit Sexualität freigiebig umgingen, und dass sie das noch immer glauben, in den heutigen doch vermeintlich aufgeklärten Zeiten? Ich finde es erschreckend, wenn sogar die Huren, die doch von dieser bürgerlichen Moral gerade denunziert und damit von der bürgerlichen Gesellschaft ausgeschlossen wurden, sich diese Moral aneignen und sich selbst für das, was sie tun, verachten. Ich finde es erschreckend, weil es den Huren verbietet und verunmöglicht, an ihrer Arbeit auch Lust zu empfinden, was doch mit das Schönste ist, was diese Arbeit bieten kann. Das aber ist gerade dasjenige, was nicht sein kann, weil es nicht sein darf. Und deswegen hat noch jede Hure, die etwas auf ihre Ehre hielt, jede Lustempfindung im Kontakt mit ihren Freiern kategorisch ausgeschlossen (ein Schelm, wer Böses dabei denkt und sich etwa dessen erinnert, was Freud über die Verneinung sagt…) – ohne zu merken, wie sehr sie sich darin mit ihrem Angreifer, der bürgerlichen Moral, identifiziert.
Nun, wie verhält es sich mit der Lust in der Prostitution? Was hat es mit der Illusion auf sich, die die Hure zweifellos auch verkauft und von der sie lebt (Sie waren da keine Ausnahme)? – Ich denke nicht, dass diese Illusion den Charakter einer böswilligen, von gegenseitiger Verachtung getriebenen Lüge haben muss, wie es in Ihrem Brief zum Ausdruck kommt. Diese Illusion kann auch ein freundliches Spiel sein, in dem beide Seiten stillschweigend verabreden, für eine gewisse Zeit so zu tun als ob. Und in dem dieses Als-ob die Bedingung dafür ist, dass bisweilen etwas entsteht, nämlich Lust, was dann doch wieder real, wenn auch flüchtig, ohne Substanz und sicher oft asymmetrisch ist. Und was ist an der Sexualität eigentlich so schlimm und gefährlich, dass sie auf keinen Fall vorkommen darf, wenn einer der Beteiligten von sich aus weniger Lust darauf hat als der andere? Warum kann ich mich nicht aus Freundlichkeit, Neugier, oder meinetwegen aus ökonomischen Gründen auf einen sexuellen Akt einlassen, nach dem ich kein spezifisches Bedürfnis habe, und dann einfach mal sehen, was passiert. Wenn nichts passiert, wenn ich auch währenddessen keine große Lust verspüre, nun, dann ist es eben so, aber habe ich dadurch nun etwas Wichtiges verloren? Muss ich das deswegen schlimm finden oder kann es nicht auch – im schlechteren Fall, der sicher nicht das angestrebte Verhältnis zur Sexualität darstellt – zu einer Art Arbeitsroutine werden?
Nun will ich nicht beschönigen, was in der Prostitution heute tatsächlich oftmals abläuft. Angefangen bei den zum Teil brutalen Ausbeutungsstrukturen, über die nicht selten fragwürdigen Arbeitsbedingungen, bis hin zur Konfektioniertheit der Dienstleistung und der Verachtung, die sich die Beteiligten entgegenbringen (die in Ihrem Brief, Frau Rahm, ja sehr plastisch zum Ausdruck kommt). All das kritisieren Sie aber nicht, offenbar weil Sie gar nicht dazu in der Lage sind, Prostitution unter diesem Gesichtspunkt der Arbeit zu betrachten.
Ihre Rachsucht, Frau Rahm, treibt Sie so weit, sich darüber lustig zu machen, dass irgendein Mann, einfach so, weil er existiert, sich einbilden könnte, für eine Frau, die er nicht kennt, etwa attraktiv sein oder ihr gar Lust machen zu können. Wo doch jeder weiß: Männer (insbesondere natürlich Freier) sind grundsätzlich hässlich, eklig und abstoßend. (Und sie stinken.) Wie kann sich ein solcher Mensch nur einbilden, bei einer Frau Lust hervorzurufen! Welche Anmaßung!
Als wäre nicht gerade der Wunsch danach, von einem Anderen, womöglich sogar einer attraktiven Frau, begehrt zu werden, in all seiner Schwäche und Zartheit zutiefst menschlich. Als läge in diesem Wunsch nicht auch eine utopische Wahrheit: dass jeder Mensch mit seinen Bedürfnissen angenommen werden möge und dass grundsätzlich kein Mensch mit seinen Schwächen, seinen peinlichen oder als pervers angesehenen Phantasien und verdrängten Wünschen an sich abstoßend sei. Dass Sexualität und Lust etwas sein könnten, das nicht durch allerlei Vorsichtsmaßnahmen möglichst eingegrenzt und unter Vorbehalt gestellt werden müsste, sondern auch spontan und nach eigenen Regeln stattfinden könnte. Sie, ebenso wie diejenigen Männer, die tatsächlich rücksichtslos sind, verraten die Menschlichkeit, die potentiell auch in der Prostitution steckt, wenn auch eher als Versprechen denn als Wirklichkeit.
Dass die Prostitution nicht das utopische Paradies der Lust ist, ist zweifellos richtig. Doch ist es denn die bürgerliche Ehe, die monogame Beziehung, die Sie dagegen hochhalten?
Dass es nicht die Prostitution ist, die Schuld hat an der Deformation der Bedürfnisse, dass nicht das Begehren an sich abstoßend ist, sondern dass es die gesellschaftlichen Zustände, die die Prostitution zugleich hervorbringen wie stigmatisieren und verdrängen, sind, die Bedürfnisse formieren und Sexualität oft genug in das Genießen der Versagung und Repression transformieren, das ist der leider übliche Fehlschluss aller selbsternannten „Abolitionisten“ der Prostitution.
Was ich Ihnen sofort glaube, ist, dass Sie im Laufe Ihrer beruflichen Karriere viele Männer getroffen haben, die respektlos, frauenverachtend, grob oder grenzüberschreitend waren, womöglich sogar brutal. Auch ich habe solche Männer erlebt – natürlich. Ich habe sie entweder weggeschickt oder aber – zumeist ahnend, worauf ich mich einlasse – eine halbe Stunde lang meine Arbeit nicht besonders gemocht. Sicher, manchmal ist die Arbeit unangenehm oder anstrengend, manchmal fragt man sich, was man da eigentlich tut, warum man sich von derartigen Idioten ficken lässt. Manchmal kann man die Kunden nicht ernst nehmen, manchmal findet man sie unfreiwillig komisch oder einfach nur blöd. Und es gibt Tage, da würde man sich lieber im Bett verkriechen, als sich von Hinz und Kunz anfassen zu lassen. Genauso aber gibt es auch die anderen Tage, an denen man gerade das genießen kann, an denen man sich begehrt und gewertschätzt fühlt, auch wenn der Kunde einen nicht durch und durch kennt, nicht „den Menschen dahinter“ sieht, sondern auf den flüchtigen Eindruck reagiert, den man ihm vermittelt. Oder man findet zumindest eine Art Befriedigung darin, einem anderen Menschen etwas zu geben. Es ist eben Arbeit und Arbeit macht nicht immer Spaß, ja Arbeit ist mühselig, deformierend, unerfreulich, fremdbestimmt – eine Tatsache, die doch allgemein bekannt sein müsste. Erst wenn es um Prostitution geht, scheint diese simple Erkenntnis plötzlich zu dem Skandal zu werden, der sie tatsächlich ist, aber eben grundsätzlich und nicht nur, wenn es um Sex für Geld geht. – Man hat ja aber dennoch eine gewisse Wahl, oder nicht?
Was ich Ihnen übel nehme, ist nicht, dass Sie Rücksichtlosigkeit und Respektlosigkeit denunzieren. Das wäre ein mehr als angemessener Gegenstand der Beschwerde und Anlass dazu gäbe es genug. Sie jedoch verurteilen stattdessen gerade die Schwäche, die Unbeholfenheit und Unsicherheit, die Freundlichkeit, das Interesse, das womöglich sogar schlechte Gewissen der Männer gegenüber ihren eigenen Wünschen – das Sie ihnen doch mit Ihrem Brief umso tiefer einpflanzen wollen.
Nun müsste ich mich freilich um Ihre verquere Selbstwahrnehmung nicht weiter kümmern, wenn Sie damit nicht einen allgemeingültigen Anspruch verbinden und in eine politische Debatte eingreifen würden. Leider betrifft das, was Sie schreiben, indirekt auch mich (und zahlreiche Kolleginnen), und das ist der zweite Punkt, der mich an Ihrem Brief anwidert.
Denn Sie scheinen nicht nur Ihre Kunden für ihr unglückliches Schicksal verantwortlich zu machen, sondern zudem die Gesellschaft (oder vielmehr den Staat), die es zugelassen hat, dass Ihnen derartiges angetan wird, indem sie die Prostitution nicht ausreichend bekämpft, ja sogar legal gemacht hat. Sie fordern ein, dass Prostitution verboten und abgeschafft werden solle. Ein wenig erinnert mich das an die Haltung von Schülern, die ihren mangelnden Schulerfolg darauf schieben, dass ihre Lehrer nicht streng und autoritär genug seien und Ihnen womöglich zu viel Freiheit und Eigenverantwortung zugeständen. Den Autoritarismus und die Staatshörigkeit, die darin zum Ausdruck kommen, finde ich beängstigend. Sicher, mit der Freiheit ist es nicht weit her, sofern sie lediglich die Freiheit zur Selbstausbeutung und zur Anpassung an den Konkurrenzdruck meint. Dennoch: wie absurd ist es zu fordern, man möge durch staatliche Gewalt vor den Konsequenzen seiner eigenen Entscheidungen geschützt werden. Und wie unsolidarisch ist es von Ihnen, ihren ehemaligen Kolleginnen mit derartigen Forderungen in den Rücken zu fallen. Im Interesse der Prostituierten ist es jedenfalls nicht, ihren Lebensunterhalt durch ein Verbot genommen zu kriegen; die Ächtung der Prostitution trifft immer diejenigen, die sie ausüben. Das haben Huren lange genug zu spüren bekommen. Insofern kann es im Interesse der Prostituierten und des menschlichen Umgangs in der Prostitution nur darum gehen, die Sexarbeit zu einem möglichst legalen Beruf zu machen, und zu verstehen, dass das Ergebnis einer gesellschaftlichen Ächtung der Prostitution just jene verächtliche Haltung ist, die Sie beklagen – und selbst ausstellen.
Mit freundlichen Grüßen,
Sascha Bergthal
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