„Nutten sind Menschen“? Stuttgarter Kampagne stigmatisiert Sexarbeitende!

„Eine völlig falsche Kampagne“, kommt es kopfschüttelnd von Anja Kasten, Straßen-Sexarbeiterin aus Hannover. Wohnungs-Sexarbeiterin Tanja ringt nach Luft: „Ich könnte kotzen!“

Die Mitglieder des Berufsverbandes sind sich einig, dass die Plakataktion „Stuttgart sagt Stopp“ Sexarbeitenden massiv schadet.

Groß angelegt ist die Kampagne in Stuttgart. Vier Plakate, die im vermeintlichen Szenejargon angeblich „zum Umdenken anregen sollen“. Besonders Kunden von Sexarbeitenden sollen mit Sätzen wie „Die Würde des Menschen ist auch beim Ficken unantastbar“ oder “Nutten sind Menschen“ angesprochen werden.

Der Oberbürgermeister selbst ist sich nicht zu schade, für die Ehrenrettung der Sexarbeitenden einzutreten. Medienwirksam lässt er sich vor den Karren der Baden-Württemberger Rettungsindustrie spannen und neben den Plakaten ablichten.

Und wieder einmal wurden wir Sexarbeitenden nicht gefragt. Wieder einmal wissen andere, was für uns das Beste ist. Wieder einmal sind wir die Opfer, die wahlweise benutzt, gerettet oder abgeschafft werden sollen.

Unser Problem sind nicht unsere Kunden. Der größte Teil von ihnen benimmt sich absolut passabel. Unser größtes Problem ist die gesellschaftliche Stigmatisierung. Und genau diese wird durch die Stuttgarter Kampagne manifestiert statt abgebaut. Die Stadt will nach eigenen Worten eine Wertediskussion zum Frauenbild in der Gesellschaft, zu Sexualität und Partnerschaft anstoßen. Stattdessen wird mit Schubladen gearbeitet, die nicht zur Diskussion anregen, sondern das Bild des brutalen Freiers und der wehrlosen Prostituierten verfestigen.

Angeblich soll die Kampagne Zwangs- und Armutsprostitution ächten. Doch konstruktive Hinweise, wie denn ein respektvolles Kundenverhalten aussehen könne, sucht man vergeblich. Grenzen des Gegenübers zu wahren, höflich zu sein, ein Nein zu akzeptieren, selbstverständlich Kondome zu verwenden, keine Preisdiskussionen zu führen – das wären sinnvolle Richtlinien für Kunden. Stattdessen beschränkt man sich darauf, Freiern ein schlechtes Gewissen einzureden. „Armutsprostituierte“ sollen sie nicht aufsuchen, was auch immer das sein oder wie auch immer das für den Kunden erkennbar sein soll – denn das Geld ist bei den Kolleg_innen, die schon „reich“ sind, sicher besser aufgehoben?

Die Website von „Stuttgart sagt Stopp“ klärt ausführlich auf: Über die repressiven Polizeimaßnahmen, Sperrgebiete und Zwangsgelder, mittels derer Stuttgarter Sexworker bei ständigen Kontrollen und Razzien schikaniert werden. Über zusätzliche Sondersteuern, die unsere Mieten erhöhen. Über das Verbot von Anbahnung auf der Straße, oft eine Möglichkeit, unabhängig zu arbeiten. Über die Verdrängung und Vernichtung von Arbeitsplätzen durch Städteplanungs- und Baurecht: „Was macht die Stadt baurechtlich gegen die Bordelle?“ „Die Stadtverwaltung ergreift jede rechtlich mögliche Gelegenheit, weitere Nutzungen zu untersagen. Dabei wird sie in geeigneten Fällen auch den Sofortvollzug anordnen.“ Wow! Vielen Dank, Stuttgart. Dass wir also jederzeit von heute auf morgen ohne Einkommen dastehen können, verbessert unsere Lage ganz ungemein!

„Die Frage eines generellen Verbots der Prostitution ist nicht Gegenstand dieses Konzepts.“, so „Stuttgart-sagt-stopp“. Es scheint, als seien die Parallelen zu „Stopp-Sexkauf“ und anderen Verbotskampagnen rein zufällig.

Entsprechend sind die Reaktionen von Sexarbeiterinnen auf die Plakate:

„Diese Kampagne tut mir Gewalt an. Ein Kunde hat das noch nie getan.“ „Mir wird jedes mal körperlich schlecht, wenn ich eines dieser Plakate sehe. Und das soll mir helfen?“ „Ich kann den Scheiß nicht mehr lesen … Nutten sind Menschen … wie reden die von uns?“ „Wenn die Macher dieser Kampagne sich die Mühe gemacht hätten, sich mit den Betroffenen zu unterhalten, statt ihren bigotten Doppelmoral-Müll über uns auszuschütten, wäre ihnen das Wort „Nutte“ nicht passiert. Ich kenne keine Sexarbeiterin, die sich selbst so bezeichnen würde.“ „Wenn ein Kunde mir blöd kommt, kann ich ihn ablehnen. Diese Plakate muss ich mir jetzt jeden Tag ansehen.“ „Als ich das gelesen habe, hab ich angefangen zu zittern und Schwitzen. Es fühlt sich an, als würd mir jemand Hand um den Hals legen und auf den Kehlkopf drücken. Engegefühl in der Brust.“

125 000€ aus öffentlichen Geldern, um „Nutten“ zu sagen, dass man sie als Menschen sieht?

Das Geld für die Kampagne hätte man für die Verbesserung von Arbeitsbedingungen ausgeben können. Oder für eine Kampagne, die wirklich zu einem respektvollen Umgang mit Sexarbeitenden und zum Abbau des Stigmas aufruft. Gelungene Beispiele für Freierkamapagnen sind Verantwortlicher Freier, eine schweizer Website gegen Ausbeutung und Menschenhandel, oder die „Mach’s Mit“-Plakate der Deutschen Aidshilfe, die auch in vielen Bordellen aushängen.

Die Menschenwürde soll angeblich im Mittelpunkt stehen. Genau die aber wird bei der Stuttgarter Kampagne mit Füßen getreten. Bordelle und Sexdienstleistungen unterliegen Sperrgebieten, werden aus der Öffentlichkeit verbannt, vertrieben und eingedämmt. Die Stadt Stuttgart aber bezahlt eine Werbekampagne, in der steht:

„Nutten sind Menschen“,
„Die Würde des Menschen ist auch beim Ficken unantastbar“,
„Willst du der Mann ihrer Alpträume sein“
„Kondome benutzt man Frauen nicht“

Da stört es nicht, dass Kinder es lesen können … Man ist sich nicht zu schade, Sexdienstleisterinnen als „Nutten“ zu bezeichnen und Kunden als ekelhafte Monster, die Frauen Alpträume bescheren.

Wie bigott und von Doppelmoral durchdrungen diese Kampagne ist, ist schon fast witzig.

Die Politik will gegen Armutsprostitution vorgehen und kürzt gleichzeitig Alleinerziehenden finanzielle Mittel. Man öffnet die Grenzen und erlaubt EU Bürgern die Freizügigkeit, wundert sich dann, wenn genau diese das für sich in Anspruch nehmen und sich gegen Billiglohnjobs entscheiden, und lieber selbständig Geld verdienen in der Sexarbeit …

In Stuttgart fallen die Masken und man zeigt, worum es wirklich geht.

Denn es geht darum, dass vor allem die „Armutsprostituierten“ verschwinden sollen, am besten in ihre durch Armut geprägten Städte und Dörfer, aus denen sie kommen, in denen es für sie keine Möglichkeiten gibt, Geld für ihre Familien zu verdienen … Was für eine gräßliche Fratze hinter der Maske der „Wohltätigkeit“, die jetzt sichtbar wird.

Weder Fritz Kuhn noch irgendeine „Stopp Sexkauf“ oder „Stuttgart sagt Stopp“-Organisation kämpfen gegen die globale Ungerechtigkeiten einer kapitalistischen und neokolonialen Wirtschaft, die dazu führen, dass Eltern sich für „Armutsprostitution“ entscheiden, um ihren Kinder Hunger und Frieren zu ersparen. Stattdessen macht man ebenjenen „Armutsprostituierten“ die Kunden abspenstig, was sie zusätzlicher Armut und finanziellem Druck aussetzt. Und um hier noch Herrn Kuhn und den „Stopp Sexkauf“ Organisationen Nachhilfe zu geben: Die Lösung für die Abschaffung von Prostitution aus Armut ist nicht, die Kundschaft abzuschrecken oder gar zu bestrafen. Der Lösungsschlüssel ist eine effektive, ernstgemeinte und nachhaltige Bekämpfung von Armut.