Stigmatisierter Spaß
Vor etwa 6 Jahren habe ich noch als Erotikmasseurin gearbeitet. Wenn ich an die Zeit zurückdenke, fehlt mir am meisten die Kollegialität im Laden. Wir waren damals ein kleines Team (10 Frauen). In der Zeit zwischen den Massagen haben wir uns über vieles ausgetauscht: unsere Kundenerfahrungen, emotionale Wirbelstürme im Privatleben, Feiern in Berlin, oder über Sexualität und Intimität. Bevor ich angefangen habe dort zu arbeiten, hatte ich Vertrauensprobleme, vor allem gegenüber anderen Frauen. Aber im Laufe meiner Zeit im Laden habe ich gelernt, mein Vertrauen zu anderen Frauen wiederaufzubauen und hatte das Glück, einen engen Zusammenhalt unter Frauen genießen zu dürfen.
Ich erinnere mich noch, wie ich an einem Donnerstagnachmittag mit einer Kollegin, Bianca, nach Feierabend bummeln gegangen bin. Wir hatten beide die Frühschicht bis 16 Uhr und hinterher fuhren wir zur Einkaufsmeile in der Stadt, wo wir nach neuen Arbeitsklamotten schauen wollten. Als wir aus dem Auto stiegen und die Straße überquerten, wurde uns beiden plötzlich bewusst, dass wir zum ersten Mal außerhalb des Ladens auf der Strasse zusammen unterwegs waren. Bianca kicherte leise und meinte, „Was würden die Leute denken, wenn sie wüssten wo wir arbeiten?“ Wir lachten zusammen laut und eilten über die Strasse. Der Gedanke verband uns wie Geschwister in dem Moment und erinnerte mich wieder daran, wie stigmatisiert die Erotikbranche doch ist, obwohl wir in unserer Parallelwelt im Laden—wo wir so offen und ungehemmt über alles mögliche vulgäre reden konnten—die Vorurteile über das Milieu gerne vergaßen.
Obwohl wir uns im Laden viel erzählten, hatte ich den Eindruck, dass meine Kolleginnen nicht wirklich zu ihrer Tätigkeit standen. Die Sexarbeit an sich einfach zu genießen schien irgendwie ein unausgesprochenes Tabu zu sein. Natürlich hat man mal den besonders angenehmen oder charmanten Kunden erwähnt, oder über den eher seltenen jungen, hübschen Kunden geschwärmt, aber noch nie wurde im Laden über die Tätigkeit als erotische Masseurin als schmackhafte, tolle Arbeit mit emotionalen Anreizen gesprochen. Selbst Bianca, die persönlich so viel in die Arbeit investierte, hatte nie deutlich geäußert, dass ihr die Arbeit einfach Spaß machte. Wenn die Frauen über ihre Entscheidung, in die Erotikbranche einzusteigen gefragt wurden, kam immer einen Grund wie direkt aus der medialen Darstellung von Sexarbeiterinnen zitiert: alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern; hohe Schulden, die dringend abbezahlt werden mussten; zu niedrige Löhne in anderen Arbeitsbereichen; jung und brauchte das Geld…und wenn die Arbeit manchmal doch genießbar war, dann nur zufällig weil man glücklicherweise einen Kunden hatte, der nicht ganz ekelig oder respektlos war. Es war mir, als ob sich die Frauen selbst vor den Kolleginnen fast schämen würden, den Genuss an der Arbeit im Laden zuzugeben. Das fand ich manchmal schade, aber diese Selbststigmatisierung sah ich im Endeffekt als eine Auswirkung der gesellschaftlichen Stigmatisierung, die von Sexarbeiterinnen leider oft verinnerlicht wird.