Wenn Chantal ins Auto flötet
oder: Prostituiertenschutz aus der Feder eines Steuerfahnders

Zum 1.7. 2017 tritt das ProstSchG in Kraft: von Fachfremden begrüsst, von Sexarbeitenden und Fachverbänden verdammt und mit grosser Sorge betrachtet.
Wenige Wochen vorher flatterte mir Werbung für einen Kurzkommentar zum Gesetz in mein Emailpostfach:

„Der Autor hat am Entwurf des Gesetzes mitgearbeitet“, steht da, und: „Seine fachliche Kompetenz fließt unmittelbar in das Buch ein.“ So schreibt zumindest die Verfasserin dieser Fachinformation, Bianca Tagliarini.

Autor des Kurzkommentares ist Manfred Büttner, Diplomfinanzwirt, geb. 1965, wohnhaft in Stuttgart, langjähriger Steuerfahnder, Ermittler in Wirtschaftsstrafsachen und Dozent an den Hochschulen der Polizei und der Steuerverwaltung des Landes Baden-Württemberg.

So ist über ihn zumindest im Netz zu lesen. Ja, denke ich mir da, als Steuerfahnder kennt man sich ja aus mit Prostitution. Hat man ja jeden Tag mit zu tun. Ist man also quasi Experte. Ob die Expertise als Freier oder durch langjährige Fahndungstätigkeit erlangt wurde, bleibt auch nach Lektüre des Buches unklar. Darüber schweigt sich Herr Büttner aus.

Auf dem Klappentext steht nur:
„Der Autor hat infolge seiner Beteiligung an Arbeitsgruppen zur Bekämpfung des Menschenhandels am Entwurf des Prostituiertenschutzgesetzes mitgearbeitet.“
Anhand einiger schwer klischeebehafteter Äusserungen des Autors im Buch wage ich aber zu behaupten, dass Herr Büttner wenig bis gar keinen persönlichen Kontakt zu Kolleg*innen und ihren Arbeitsstätten hat. Viele Ideen klingen eher nach sonntagabendlicher Krimiunterhaltung. Dazu aber später mehr.

Zuerst einmal gilt mein Dank dem Boorberg Verlag, allen voran Frau Rau, die mir schnell und unkompiziert ein Rezensionsexemplar hat zukommen lassen.
Das Buch selbst umfasst 226 Seiten, ist brochiert und schon auf dem Einband mit einem typischen klischeehaften Bild versehen:
Der Schatten einer handtaschenbewehrten Frau im Spotlicht in „typischer“ Pose dargestellt.  Immerhin ist es kein Bild eines halben wenig bekleideten Frauenkörpers, der sich in ein Autofenster lehnt, keine Grossaufnahme eines Gesäßes auf einem Barhocker, oder rotlackierte Fussnägel in High Heels, die auf regennass glänzendem Asphalt herumstehen. „Aktion Licht ins Dunkel“ kommt mir bei dem Bild in den Sinn. Nicht etwa Schutz oder gar Unterstützung.

Das Buch selbst ist übersichtlich gestaltet und hangelt sich an den diversen Paragraphen des ProstSchG entlang. Diese werden zuerst in Fettdruck angeführt, dann folgt für die meisten Paragraphen ein mehr oder weniger ausführlicher Kommentar. Der Übersichtlichkeit halber ist der Text mit fortlaufenden Randnummern (Rdn.) versehen.
Komplettiert wird das Werk durch das persönliche Vorwort, einige Einführungstexte und einen ausführlichen Anhang, bestehend aus diversen Zusatzinformationen, wie dem Muster eines Betriebskonzeptes, Checklisten für das Erlaubnisverfahren, oder besondere Erscheinungsformen wie Flatrate-Bordelle oder Gang Bang.

Praktisch sind die tabellenartig dargestellten Änderungen, bzw. Neuerungen für Prostituierte und Betreiber. Die 3 Grafiken im Buch zu den Übergangsregelungen, dem Zeitschema und der Unterscheidung zwischen gewerblicher und nichtgewerblicher Prostitution hätte man sich auch sparen können. Übersichtlichkeit geht anders.

Sachlich scheint das Buch in Ordnung.

Grundsätzlich ist die Lektüre des Buches nicht verkehrt. Zumeist sachlich legt der Autor seine Kommentierung dar und versucht den manchmal etwas undurchsichtig anmutenden Gesetzestext anschaulich auszulegen. Gerichtsurteile werden zu Rate gezogen, auf ähnliche Argumentationen und Formulierungen in anderen Gesetzen hingewiesen, Begriffe werden definiert. Ein gutes Beispiel dafür ist die Art und Weise der Auslegeung der Zustellanschrift, bzw. der Zustelladresse (S. 59ff).

Für besonders wertvoll halte ich das Muster des Betriebskonzeptes, sowie die Checklisten zum Erlaubnisverfahren. Ich kann mir gut vorstellen, dass diese Listen und das Musterkonzept in vielen Fachberatungsstellen und Amtsstuben, die sich ab dem 1.7. mit den Verfahren herumschlagen müssen, zu Rate gezogen werden.

Äusserst problematisch empfinde ich die unsachlichen Äusserungen, die der Autor immer wieder in den Text mit einfliessen lässt. Seine klischeehafte Einstellung zum Gewerbe wird dadurch überdeutlich. Sexarbeit ist in seinen Augen selten ein selbstgewählter Beruf, Sexarbeitende sind in erster Linie Opfer, hilfsbedürftig oder „rechtlich [eine] häufig wenig versierte Personengruppe“ (S. 58, Rdn. 111). Die ablehnende Haltung des Autors zur Sexarbeit wird deutlich.
Zur Abschaffung des Straßenstriches rät der Steuerfahnder gleich zweimal, entweder durch Abschaffung des Straßenstriches durch Ausweitung der Sperrgebietsverordnung (S. 26, Rdn. 19), oder durch persönliche Untersagung: „…sollte regelmäßig die Untersagung der Straßenprostitutionsausübung erwogen werden.“(S.28, Rdn. 22).

Der „Cluster“ ist ihm ein besonderer Dorn im Auge. Büttner definiert ihn folgendermassen: „Als Cluster wird im hier relevanten Kontext ein prostitutionsförderndes, regelmäßig parasitäres Umfeld der einzelnen Prostituierten bezeichnet“ (S. 5, Rdn. 2), wer und was genau als parasitär oder prostitutionsfördernd gilt, wird nicht näher definiert. Gehören die Kinder der alleinerziehenden Mutter schon zum parasitären Cluster? Oder ist das womöglich diskriminierenden Verhalten von Mitarbeitern des zuständigen Jobcenters schon prostitutionsfördernd?

Nur in Nebenbemerkungen erfährt man, dass der Cluster wohl männliche Stammgäste von Lokalen, in denen der Prostitution nachgegangen wird (S.43, Rdn. 67), meint, oder Prostitutionsgewerbetreibende(S. 69, Rdn. 151), nicht näher bestimmten Einflussnehmende (S.81, Rdn. 181) oder auch keine der vorab genannten Personengruppen (S. 160. Rdn. 366). Der Cluster bleibt nebulös, gefährlich und die Prostituierte muss diesem entzogen werden.

In Büttner’s Universum leuchten die roten Laternen.

Übrigens ist das Gendern nicht Herrn Büttners Stärke. „Aus Gründen der besseren Lesbarkeit“ (S. 10, Rdn. 12) sind Prostituierte weiblich und Betreiber, bzw. Freier männlich. Beim Cluster weiss man es nicht so genau, der ist ja sowieso irgendwie dubios. Mann-männliche Prostitution kommt übrigens so gut wie gar nicht vor, und wenn, dann ausschliesslich im schlimmsten Klischee:   Auf Seite 33, Rdn. 38, Beispiel 4 bestellt sich ein Mann einen „Asien-Boy“ aus dem Internet. Von den vielfältigen Realitäten, denen mann-männliche Sexarbeitende ausgesetzt sind, ist kein Wort zu lesen. Dafür flötet Chantal dem Freier ins Autofenster (S. 73, Rdn. 160), es leuchten die „roten Laternen“ (S. 20, ohne Rdn.) und Prostituierte müssen zur Reflexion über Konsequenzen der Tätigkeitsaufnahme angeregt werden (S. 97, Rdn. 221). Die anhaltende gesellschaftliche Stigmatisierung und durch die Tätigkeit mögliche finanzielle Unabhängigkeit meint Herr Büttner dabei jedoch sicherlich nicht.

Besonders zynisch ist auch die „nette“ Formulierung: „Dabei empfindet sicherlich die 40-jährige Domina […] die nunmehr gestzlich verankerte Verpflichtung […] als Zumutung.“ (S. 5, Rdn.4). Ja, in der Tat, Herr Büttner, ich, als 40-jährige Domina, empfinde eine eklatante Einschränkung meiner Grundrechte als „Zumutung“. Diese Zumutung wird übrigens gerade vor dem Verfassungsgericht in Karlsruhe geprüft. Mal sehen, ob die Richter diese Grundrechtsverletzung ebenfalls als „Zumutung“ „empfinden“. Hurenhierarchie kann man deutlicher nicht darstellen.

Unterm Strich ist der Kurzkommentar lesenswert, einerseits, um sich deutliche Definitionen und Auslegungen aus diesem „Schutzgesetz“ zu holen, andererseits um festzustellen, wessen Geistes Kind die Gesetzesmacher sind. Der persönliche Unterton macht überdeutlich, dass es nicht um Schutz, sondern um Zwang, Kontrolle und Entmündigung, vor allem von Frauen, geht.