Ideologisch gesund – warum Solidariät mit und unter Sexarbeiter*innen alternativlos ist
Ein Beitrag von unserem Verbandsmitglied Kristina Marlen:
TANTRA – KEINE UNTERSCHEIDUNG ZWISCHEN HEILIG UND PROFAN?
Am 1. Juli 2017 ist das „ProstitutiertenSchutzGesetz“ in Kraft getreten. Das Gesetz mit dem irreführenden Namen hält eine Reihe neuer Bestimmungen und Auflagen bereit für Menschen, die professionell mit Sexualität arbeiten. Sowohl für Betreiber*innen von Prostitutionsstätten als auch für Einzelpersonen werden die Arbeitsbedingungen massiv erschwert. Insbesondere die eingeführte Meldepflicht für Prostituierte sowie die Pflicht, ab spätestens 1. Januar 2018 den sogenannten „Hurenausweis“ mit sich zu führen, lassen starke Zweifel daran aufkommen, ob das Gesetz wirklich zum Schutze gedacht war oder nicht vielmehr zur umfassenden Kontrolle und Überwachung von Sexarbeiter*innen.
Trotz des fachkundigen Protests hat der Gesetzgeber für diese sinnlose Konstruktion gestimmt, die vielmehr der Abschaffung von Prostitution dient als der Verbesserung der Lebensbedingungen von Menschen, die in der Branche tätig sind.
Die Hurenbewegung hat sich seit Jahren mit Händen und Füßen gegen das Gesetz gewehrt. Wir sind wütend. Es ist eine Verfassungsklage anhängig, und man kann sich noch an einer Verfassungsbeschwerde beteiligen. Die Kampagne „Sexarbeit ist Arbeit. Respekt“ ist gestartet und kann unterstützt werden!
Parallel dazu bricht in den eigenen Reihen Unruhe aus: Wie soll man sich jetzt verhalten? Anmelden? Boykottieren? Illegal arbeiten? Aufhören?
Der neueste Trend in einigen Segmenten der Branche ist dabei, sich und der Welt zu erklären, warum man von dem Gesetz eigentlich gar nicht gemeint sei.
So berufen sich etwa einige Escortdamen auf den Kunstbegriff und behaupten, dass ihre Leistung in Entertainment und performativem Amusement bestehe. Wie nahe die Künstlerinnen ihren Kunden dabei kämen, obliege der künstlerischen Freiheit.
Dominas, die darauf bestehen, keine Prostituierte zu sein, weil sie ja nicht vögeln und oft nicht einmal den Körper ihrer Kunden berühren, geschweigedenn sich selbst berühren lassen, bin ich in letzter Zeit nicht mehr begegnet. Ich glaube, als BDSM praktizierender Mensch ist man es gewöhnt, (sexuelle) Randgruppe zu sein. Das reicht, um um zu verstehen: ja, wir sind gemeint. Was wir machen, bewerten andere als pervers. Auch wenn unsere Klamotten teurer sind, wir ziemlich ausgefeilte Skills haben und unsere Stundenpreise höher sind- das Gesetz richtet sich gegen uns. Wir sind nicht erwünscht.
Tantramasseur*innen allerdings wollen mit den „Schmuddelkindern“ der Prostitution nichts zu tun haben. In der Stellungnahme des Tantramassageverbandes wird ganz besonders eindringlich argumentiert, mit seiner Arbeit zur Gesundheit beizutragen: „Wir verstehen unsere Arbeit als Beitrag zu einer aufgeklärten und fortschrittlichen sexuellen Kultur, zu selbstbestimmtem sexuellen Lernen und zu mehr Lebensqualität im Sinne der WHO-Definition von „Sexueller Gesundheit“.“
Sie berufen sich auf die Seriosität, Ausbildung und quasi therapeutische Wirksamkeit ihrer Arbeit. Der Gesetzgeber habe evtl „übersehen“, dass ihre „…Berufsgruppe nicht zu anvisierten Zielgruppe (gehöre)“ und stellt klar: „Ihre Angehörige bedürfen des Schutzes durch das neue Gesetz nicht“. Wer diesen Schutzes bedürfen würde, bleibt unklar: wahrscheinlich die „ungelernten“ und „unfreiwilligen“ Sexdienstleister, von denen in der Stellungnahme häufiger die Rede ist, die aber nicht näher beschrieben sind. Mit ihnen in einem Atemzug genannt, fühlen sich die Tantramassseur*innen …in ihrem Bemühen verkannt und torpediert, ihrer wichtigen, wirksamen und wertvollen ganzheitlichen Arbeit am Menschen eine breitere öffentliche Aufmerksamkeit und Wertschätzung zu geben.“
Ich finde, es ist legitim, in der gegebenen Situation seine Felle ins Trockene zu bringen. Das Gesetz ist schädlich, und es wird uns viel kosten, und jedem, der sich irgendwie aus seinem Griff befreien kann, gratuliere ich von Herzen.
Leider halte ich die Strategien nicht nur für aussichtslos, sondern auch ideologisch und politisch falsch. Sie sind kurzsichtig, unsolidarisch und ärgern mich maßlos.
Bei dem Versuch, sich unter dem Radar des reaktionären Gesetzes wegzuducken, begehen diese Kolleg*innen einen hässlichen, opportunistischen Fehltritt. Ihre Argumentationen entspringen dem gleichen menschenverachtenden Menschenbild, das dem Gesetz zugrunde liegt. Sie verstärken das Stigma, indem sie auf die populistischen, schlampig recherchierten Narrative von sprachlosen, geschundenen weiblichen Opfern zurückgreifen, die nicht wissen, was sie tun. Oder die wissen, was sie tun, aber das ist etwas Minderwertiges. Auch wenn unklar ist, wer „die“ sind, und was „die“ machen, dient die Konstruktion dazu, sich selbst wieder im rechten Lichte bürgerlicher Legitimität glänzen zu sehen.
Dabei ist im Gesetz genau festgelegt, was eine sexuelle Dienstleistung ist. Es bedarf weder des Geschlechtsverkehrs, nicht einmal der genitalen oder überhaupt körperlichen Berührung(* Zitat s.u.) Tantramassagen fallen klar unter die Prostitions-Definition des Gesetzes. Das geht auch aus dem Rechtsgutachten von Maria Wersig hervor.
In einem Absatz im Gesetz wird erläutert, warum sich die auch die vermeintlich qualifizierteren, gebildeteren Tantriker „Prostituierte“ nennen lassen müssen: „sexuelle Dienstleistung“ wird gleichbedeutend mit „Prostitution“ verwendet.
Ich verstehe das Unbehagen. Prostituierte nennt sich niemand gern. Niemand. Auch nicht diejenigen, die scheinbar so eindeutig welche sind. Die Anderen. Prostituierte nennt man sich nicht stolz und selbstbestimmt oder auch nur beiläufig wie „Kassiererin“ oder „Kartenabreißer“.
Prostituierte will sich deshalb niemand nennen, weil wir stigmatisiert sind. Der Ursprung des Stigmas ist eine tiefe Sexualfeindlichkeit und eine patriarchale Gesellschaftsordnung. So einfach ist das. Und so ätzend.
Die einzige Form, wie wir Stigma entgegentreten können, ist konsequente Solidarität unter und mit Sexarbeiter*innen. Wir sind verschieden, wir bieten unterschiedliche Dienste an, kommen aus diversen Hintergründen, arbeiten in einer Bandbreite von Preisklassen und Etablissements, für einige Zielgruppen mit facettenreichen Geschäftsmodellen. Die Unterschiede sollen benannt werden, so wird die Bandbreite sexueller Dienstleistungen sichtbar und wir können ein realistisches Bild von Sexarbeit in der Gesellschaft verankern. Sexarbeit verdient Respekt, aus unterschiedlichsten Gründen.
Wir sind verschieden, aber wir arbeiten alle mit Sexualität. Sexualität ist ein Tabu, und wir werden es immer mit konservativen Kräften zu tun haben, die uns Bedingungen stellen und definieren wollen, welche Sexualität(en) legitim sind und welche nicht. Es hilft nicht, wenn wir dem Tabu, das auf Sexualität lastet, begegnen, indem wir behaupten, das was wir tun, sei entweder kein oder höherwertiger Sex.
Wenn „gesund“ und „gebildet“ oder auch „künstlerisch“ jetzt die neue sexuelle Moral wird , dann ist das schlecht. Wenn nur noch ausgebildeter oder gesundheitsfördernder Sex legitim ist, dann ist das Rückschritt. Das ist Backlash.
„Gesundheit“ als Kriterium für richtige und falsche sexuelle Praxis einzuführen, geht gar nicht. Zu definieren, was „sexuell gesund“ ist, im Gegensatz zu gesundheitsschädlich oder krank, ist eine Unterscheidung, die in faschistoiden Kontexten zuhause ist. Die kranken, schmutzigen Frauen, Huren und Schlampen, also Prostituierten und promiskuitive Frauen, aber auch Schwule, Lesben und andere sexuell „Abnorme“ wurden in Psychiatrien, Krankenhäuser und Gefängnisse verschleppt und sicherten so das reinliche Selbstverständnis einer bürgerlichen Elite.
Einen Rückfall in dieses Denken können wir uns nicht leisten. Wenn die Agenda heißt, sich für eine sexuelle Kultur einzusetzen und im weitesten Sinne für Befreiung, dann ist das nicht die Befreiung einer bürgerlichen Elite mit „gesundem“ Sex.
Sexarbeit kann ein Ort sexuellen Lernens sein, und Genuss ist heilsam, davon bin ich überzeugt. Ich berate Menschen, begleite aber ganz konkret und praktisch in die Lust oder lasse mich berühren. Intimität öffnet Entwicklung. Das ist grundlegend, auch wenn unsere Arbeitsplätze, Arbeitsweisen , unsere persönlichen Grenzen und Methoden in der Sexarbeit unterschiedlich sind.
Das Magische an Sexarbeit ist für mich, dass die Parameter von Genuss, Heilung, Therapie, Geilheit, Entdecken und Lernen ineinander übergehen können und manchmal kaum voneinander zu unterscheiden sind. Das anarchische Moment, das ich in jeder Session erlebe, der freie Raum, der in der Begegnung zweier Menschen entsteht, wenn sexuelle Kommunikation möglich ist- das ist es, was mich interessiert.Das kann transformativ sein oder meditativ, emotional oder einfach sexy. So ist Sexualität, sie berührt nun einmal viele Facetten des menschlichen Seins.
Diese Anarchie, die dem Sexuellen innewohnt, muss erhalten bleiben. Sex und Intimität lassen sich nicht kontrollieren, das gehört zu ihrem Wesen, und das ist gut so. Das ist beängstigend, und unter anderem deshalb schielen wir auch so ängstlich auf „die Prostituierten“. In diesem scheelen, angeekelten und faszinierten Blick verbirgt sich auch tiefe Angst und Abscheu vor dem Sexuellen. Die Berührungsangst ist natürlich auch eine Klassenfrage; die unfreiwilligen Opfer, mit denen wir pflichtbewusst Mitleid haben, müssen anders sein als wir. Sie kommen von woanders, sie haben mit uns nichts zu tun. Aber vor allem ist es die Angst vor einer verrohten, entgleisten, (weiblichen) Sexualität.
In dieser Mischung aus sexueller Verklemmung und bürgerlichem Dünkel entstehen Bücher wie zuletzt „Rotlicht“ von Nora Bossong. Ein Buch, das unterirdisch schlecht recherchiert ist und schon nach wenigen Seiten langweilt, weil die Aufgeregtheit der Autorin, überhaupt irgendetwas zu sehen, was anders aussieht als ihre Blümchenbettwäsche im heimischen Schlafzimmer, unfassbar auf die Nerven geht.
Wenn wir in dieser Verklemmung verweilen, während wir für sexuelle Befreiung eintreten, wird sich nichts bewegen. Es geht um nichts weniger als um eine sexpositive Kultur.
Dafür braucht es Bekenntnisse. Stigma bekämpfen heißt öffentlich Stellung beziehen und protestieren. Keine opportunistischen Auswege suchen. Es heißt, die Definitionen an sich zu reißen, sich anzueignen und mit neuer Bedeutung zu füllen. Bahnbrechend wie die Slutwalks können wir auf die Straße gehen und stolz verkünden, dass wir tolle, wichtige, anspruchsvolle und glückspendende Arbeit machen – die für ALLE wichtig ist .
Deshalb: „Je suis une travallieur* du sexe“ ! Und Du?
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Bei der Reflexion über das Thema, das mich sehr beschäftigt, war es unmöglich, alle Gedanken in einem Beitrag unterzubringen.
Es folgt also :
Danke an Ulrike Zimmermann und K.M. für das bewegte Am-Thema-denken und Arbeit am Text sowie auch immerwährende Inspiratorin Mithu Melanie Sanyal , (Zitat am Schluss: “Je Suis…”)
(*) Zitat aus dem ProstSchGesetz, Definition “sexuelle Dienstleistung”