Die Frau als Kundin

Dieser Beitrag stammt aus der Feder unseres Mitgliedes Michael König.

Berlin im November 2013: Ein seltenes Vergnügen wurde mir gegönnt. Ich durfte Frau A. Schwarzer für ein paar Sekunden sprachlos erleben. Eben hatte sie in der Urania von der Bühne herab ca. 400 Zuhörer*innen erklärt „alle Freier sollen geächtet werden“. Bevor nun die Meute, so angefeuert, zur Lynchjustiz ausziehen konnte, ließen mich Anzug und Krawatte sowie eine gewisse Routine im „seriös-naiv-dreinschauen“ das Saalmikrophon ergattern. „Meine Kundinnen seien Frauen, ergo weibliche Freier und wie es mit deren Ächtung aussehe?“. Da waren sie, diese köstlichen 5 Sekunden der Sprachlosigkeit. Ein gefühlte süße Ewigkeit. Eine Antwort von A. Schwarzer? – Fehlanzeige. Wir reden hier schließlich über Nichtexistentes. Frauen, die sich sexuelle Erlebnisse kaufen und das bei einem Mann. Doppelter Tabubruch.

Die Erfahrungen mit weiblichen Kundinnen, die ich hier zusammenfasse, beruhen auf meiner nunmehr 12jährigen Arbeit als Tantramasseur. Ich liebe meine Arbeit. Ich bin begeistert von den mutigen Frauen, welche sich in unsere kleine Freiburger Massagepraxis trauen. Sie kommen zu Frauen und zu Männern. Sie machen in etwa 10% unserer Kundschaft aus – mit steigender Tendenz. Ihre Motive – vielfältig wie das Leben und die Lust. Oft benannt:

• Sich wieder als Frau spüren wollen, mit dem ganzen Potential weiblicher Erlebensfähigkeit in der Lust. Was gute anatomische Kenntnisse, professionelles Durchhaltevermögen, menschenfreundliches Einfühlungsvermögen und eine liebevolle, nicht wertende Zugewandheit seitens des Masseurs fordert.

• Die ob dieses Anforderungsprofils überforderten Partner*innen, denen sich Frau nicht mehr zumuten möchte oder kann oder darf (so empfindet sie es, leider). Und sie, die Partner*innen, ihren Frauen empfehlen, es doch mal mit einer Tantramassage zu versuchen. Eine win/win/win Strategie.

• Schlicht der Mangel an geeigneten Partner*innen für sexuelles Erleben und definitiv kein Interesse an mit sexuellem Genuss einhergehenden Beziehungsdeals. Sowie ein ordentliches Päckchen an Frusterlebnissen, gepackt in der Welt der Kontaktbörsen.

• Neugier. Oh ja – die wunderbare Neugier der Weiber. Sie lässt gerne mal die Angst vor dem Tabubruch verblassen. Und bevor das Fürchten sein Stammterrain wiedergewinnt und kultivierter Sexualität den Weg versperrt, ist es zu spät und der entscheidende Schritt schon getan. Dann war es so überraschend wunderbar, dass sich nun die Angst nur noch blamieren kann und rechtschaffen lächerlich macht.

• Ja und auch und nicht zu selten: der Wunsch, ein verloren gegangenes, sinnliches, feminines Wunderland wieder zurückzuerobern. Verloren ging es durch Traumatisierung, Vernachlässigung, körperliche Leiden, eine beschädigte sexuelle Biografie, moralinsaure Erziehung, Stigmatisierung oder schlicht den Mangel an sexueller Kultur. Die Rückeroberung geschieht über unmittelbare körperliche Erfahrung. Auf einem gefühlt dünnen Eis geht es, Schritt für Schritt, zurück zu Mutter Erde‘s heiligen, sicheren und frivolen Boden. Klar geführt am Händchen des Masseurs oder der Masseurin. Gerne in Ergänzung zur Therapie mit Worten.

Das Klischee möchte es gerne so geregelt wissen: Frauen kommen zum Weinen in die Tantramassage, Männer aus Geilheit. So hüllt ein nicht so kleines Seminarzentrum den Kurs zur Yonimassage ( Das ist der Tantrajargon für die Intimmassage der Frau ) sprachlich ein in: „Vom Loslassen, Tränen & tiefer Herzenslust“. Und zur Lingammassage (gleicher Jargon, jetzt der intim berührte Mann) lesen wir dort: “20 Techniken, um ihn lustvoll zu verwöhnen“. Es scheint so, als brauche Frau noch eine Zusatzlegitimation, um sich erfüllte Lust gegen Bezahlung zu gönnen. Leider geil, einfach so – geht nicht für die Frau, ist nicht salonfähig. Frauengeilheit wurde mit der Aufklärung abgeschafft. Ein paar ihrer Tränchen braucht es heute schon, damit die Sache akzeptabel bleibt.

Nach ein paar hundert gegebenen Massagen darf ich zusammenfassen: FakeNews. Bei uns kommen Männer wie Frauen in ihre eigene, individuelle Kraft und Lust. Sexuelles Referenzerlebnis nennen es manche. Das kann geil, tief, berauschend, erfüllend sein. Tränen, aus Freude, aus Trauer, aus Erkenntnis fließen bei „Ihr“ und „Ihm“ und den „Dritten“ gleichermaßen. Sie sind kein weibliches Privileg.

Allerdings, es gibt schon Unterschiede: So scheint es, als müsse Frau eine höhere (moralische?, finanzielle?) Hürde überwinden, um den Weg zu uns zu finden. Ich meine, wir haben 50% Frauen in der Gesellschaft und 10% Frauen als Kundinnen. Was für ein Riesen-Fucking-Gendergap. Wenn Frau aber da ist, dann ist sie da! In Pracht und Fülle. Fällt die Eingangstüre zur Praxis ins Schloss, scheinen vermeintlicher Tabubruch und die damit verbundene Scham außen vor zu bleiben. Frau läuft schneller, als wir sie halten könnten, und ungeniert durch die Räume der Praxis. Wie es scheint, ohne Sorge vor eventuellen Begegnungen. Männer sind da deutlich genanter. Frau guckt gleich mal ins Bad und hinter sonstige Kulissen, ob‘s sauber ist. Äußert oft recht klar Erwartungen an die Massage. Frau kommt tadellos gepflegt in die Massage. Männer müssen wir schon mal zum Duschen schicken. Frau plant ihren Termin Wochen im Voraus. Meist mit ausgeklügelter Eisprungparametrie oder scharf berechnetem Blutungstiming. Frau kommt zuverlässig zum Termin oder sagt ab. Mann ruft an und frägt ob heute, also ungefähr jetzt, noch ein Termin zu haben sei. Um dann schon mal in letzter Sekunde und ohne Absage zu kneifen. Frau gibt selten Trinkgeld, und sei sie noch so zufrieden. Männer sind da großzügiger. (Sorry Mädels, klingt komisch, ist aber so!). Frau kommt auf Empfehlung der besten Freundin oder einer Therapeutin. Mann hat die Anzeige im Erotikteil der Lokalzeitung gelesen.

Ach ja, und Frau, liebe Prophet*innen des trockenen und saftfreien männlichen Orgasmus, werte Tantraheilige: Frau kommt gerne sowas von nass, dass der männliche Erguss dagegen, rein mengenmäßig betrachtet, bestenfalls als Amuse-Gueule auf der Lustkarte durchgeht. (Gibt es schon den BigDraw gegen Freudenfluss – sorry, ein Insiderwitz, magichhiernichterklärengerneeinandermal).

Wie weiter? Amakido Berührungskunst hat 2006 damit begonnen, Tantra Massagen für Frauen von Masseuren anzubieten. Vier Kundinnen, das war die Bilanz des ersten Jahres. Heute, nach zwölf Jahren, zählen wir ca. 80 Kundinnen im Jahr. Das sind zwanzigmal mehr. Immerhin! Wir bleiben dran und lassen erst locker, wenn der Gendergap geschlossen ist. Es macht uns glücklich, wenn wir sehen und erleben, wie die Frauen nach der Massage von uns gehen: In weiblicher Fülle, stolz, leuchtend und schön. Bereit, die Männerwelt freundlich aber unmissverständlich mit der ganzen Wucht ihrer weiblichen Potenz bekannt zu machen. Ihnen jenseits von Opferrolle und reflexartigem Feindschaftsgebaren auf Augenhöhe zu begegnen. Dann ruht das Kriegsbeil des Geschlechterkampfs für einen göttlichen Moment. Und wir finden, dass wir mit unserer schönen Arbeit auch ein Stückchen Frieden stiften.

Wem das zu abgetrallert klingt, der lese sich doch noch in unserem femininen Gästebuch an den Rückmeldungen zu Tantramassagen besoffen.

Das findet ihr hier: Feminines Gästebuch
Michael König

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