„Revolting Prostitutes“: Eine konstruktive Kritik der modernen Hurenbewegung von unseren britischen Kolleginnen

Diese Rezension wurde von Nadine, unserer Forschungsbeauftragten verfasst:

Dieses Jahr wurden mindestens zwei sehr großartige, wichtige Bücher von Sexarbeiterinnen über unsere praktische sowie politische Arbeit veröffentlichet: „Mein Hurenmanifest“ von Undine de Riviere in Deutschland und „Revolting Prostitutes“ von Juno Mac und Molly Smith in Großbritannien. In beiden Werken wird unter Anderem ausführlich über die Sexarbeitsbewegung in den jeweiligen Ländern erzählt und im zweiten vor allem, die verschiedenen Ansätze des Hurenaktivismus reflektiert. Ich möchte zunächst hinsichtlich meiner eigenen Wahrnehmung und Erfahrung mit Hurenaktivismus in Deutschland, die Ideen von Mac und Smith kritisch kommentieren.

Die Autorinnen sind junge sexarbeitende Aktivistinnen und engagieren sich seit 2009 in der Kollektive Sex Worker Advocacy and Resistance Movement (SWARM) in London. In ihrem Buch wird aus der britischen Perspektive der bisherige Kampf für Sexarbeitsrechte weltweit analysiert und kritisch ausgewertet, anhand von Beispielen von Gesetzesmodellen in verschiedenen Ländern. Im ersten Teil wird die Ideologie des Sexarbeitsaktivismus in Bezug auf die Rolle von Sex und Arbeit in der heutigen Gesellschaft dargelegt. Was die Sexarbeitsbewegungen weltweit gemeinsam haben, ist der Wunsch nach der Entkriminalisierung der Sexarbeit. Aber wie im „Revolting Prostitutes“ klar wird, sind die Ansätze unterschiedlich: Einerseits kann man sich auf die Grundrechte berufen um die Entkriminalisierung der Sexarbeit zu begründen, andererseits kann man sich als reine Arbeiter*innenbewegung präsentieren und die Entkriminalisierung durch das Recht auf mehr Arbeitsrechte als Teilnehmer*innen des Arbeitsmarktes begründen.

Generell vertreten Mac und Smith die marxistisch-inspirierte Meinung, dass Arbeit an sich einen ausbeuterischen Charakter hat und gehen mit diesem Ansatz ihren Aktivismus nach. Außerdem bestehen sie darauf, dass es gefährlich für die Sexarbeitsbewegung sei, mit dem Ansatz zu kämpfen, dass die Sexarbeit einen gesellschaftlichen Wert hätte oder dass die Sexarbeit ein selbstverwirklichender Beruf sein könne. Das würde ihrer Ansicht nach die Erfahrungen der Mehrheit von Sexarbeitenden, die für die Arbeit keinerlei Selbsterfüllung empfinden, sondern lediglich finanzielle Vorteile genießen, vertuschen. Die Bewegung sollte besser auf der arbeitsrechtlichen Schiene bleiben und das als Hauptbegründung für die Entkriminalisierung hervorheben, als sich auf die Grundrechte oder auf Freiheit zu berufen. Warum sich die beiden Ansätze ausschließen müssen wird im Buch leider nicht erläutert. Kann man sich im Kampf für mehr Anerkennung für Sexarbeit nicht sowohl auf die Arbeitsrechte als auch auf die Grundrechte berufen?

Die Autorinnen beschreiben die „Erotic Professionals“ (erotische Profis) als Typ-Aktivistin, die sich gerne auf ihr Recht sexuelle Dienstleistungen zu verkaufen beruft und das Bild des klassischen „choice feminism“ (freie Wahl-Feminismus) vertritt. Beim Lesen dieser Beschreibung habe ich einige von uns im BesD wiedererkannt, denn viele von uns empfinden eine gewisse Leidenschaft bei unserer Arbeit, auch wenn wir in erster Linie finanziell motiviert sind. Mein Eindruck ist, dass wir das auch bei unseren Presseinterviews und in den Vorträgen, die wir deutschlandweit geben, so ausdrücken. Was ich allerdings problematisch finde, ist der Vergleich der erotischen Profis mit den Abolitionistinnen. Mac and Smith behaupten, dass beide Gruppen die eigentlichen Probleme in der Sexarbeit, nämlich die mangelnden Arbeitsrechte und die oft schlechten Arbeitsbedingungen, vertuschen und stattdessen ein schwarz-weiss Bild von der Sexarbeit propagieren würden, als könnte man nur von glücklichen Huren oder überlebende Opfer sprechen. In dem der Unterschied zwischen selbstbestimmter und nicht-selbstbestimmter Sexarbeit betont wird, würden außerdem erotische Profis dadurch implizit den Ansatz der abolitionistischen Opferhilfe unterstützen, nach dem Motto „Ja, es gibt ein Dunkelfeld, das von Zwang und Ausbeutung geprägt wird und die Betroffenen müssen geholfen werden, aber wir gehören eben nicht dazu.“ Das Argument läuft darauf hinaus, dass wenn wir uns als Sexarbeitsaktivistinnen nicht genug mit dem Thema Menschenhandel beschäftigen, heißt es, dass wir einen Schwamm über die Problematik wischen würden. Das ist glücklicherweise zu kurz gedacht. Der Vorschlag, dass wir uns eindeutiger mit tatsächlichen Opfern von Menschenhandel solidarisieren sollten ist begrüßenswert, aber wenn wir nebenbei auch auf unsere Selbstbestimmungsfähigkeit und unsere Grundrechte hinweisen, heißt das nicht, dass wir das Problem Menschenhandel verharmlosen oder dass wir tatsächliche Opfer übergehen würden.

Die Einstellung, dass Sexarbeit auch eine Berufung sein kann wird als Symptom einer neoliberalistischen Arbeitsethik zynisch eingeordnet. Aber was muss daran so kontrovers sein, Selbstverwirklichung und Erfüllung durch die Arbeit zu empfinden? In unserem Zeitalter und vor allem in der Arbeitsgesellschaft in der wir uns befinden, versuchen wir ja das Beste daraus zu machen und dazu kann doch gerne die Suche nach einer Erwerbstätigkeit, die uns auch ein wenig Freude bereitet, dabei sein. Es muss nicht alles gleich als bedauerliche Reproduktion neoliberalistischer Ideologie abgestempelt werden.

Im letzten Kapitel wird auch über das Ende der Sexarbeit philosophiert, welches die Autorinnen in der Erhöhung arbeitsrechtlicher Standards und vor allem mehr Rechte für Migrantinnen sehen, damit „keine® mehr Sexarbeit machen muss und die Sexarbeit unnötig wird“ (S. 215). Vielleicht hätten sie besser schreiben sollen, damit „keine Arbeit mehr nötig ist und keine® mehr arbeiten muss,“ denn solange das kapitalistische System noch so bleibt wie es ist, in dem der Verkauf von Produkten oder Dienstleistungen betrieben werden muss um das Lebensunterhalt zu sichern, wird es auch immer das Angebot von erotischen und sexuellen Dienstleistungen geben, unabhängig davon, wie viele Arbeits- und Sozialrechte noch gewonnen werden. Außerdem wird die Nachfrage nach Sex und Erotik auch nicht so schnell verschwinden. Die eigentliche Frage ist, wie Menschen an dieses Bedürfnis oder an dieses Verlangen an sexuellen und erotischen Erlebnissen kommen werden, ob umsonst oder durch Bezahlung. Eine sexpositive Aussicht auf das Ende der Sexarbeit wäre eine Welt in der die Demokratisierung der Lust angestrebt wird, so dass keine® mehr den Sinn darin sehen würde, für sexuelle Dienstleistungen zu bezahlen.

Man darf nicht vergessen, dass der nationale Kontext aus dem die Autorinnen schreiben ein anderer ist als unserer. Auch wenn der Sexkauf und –verkauf nicht verboten sind, werden in Großbritannien leider immer noch Betriebsstätte für sexuelle Dienstleistungen kriminalisiert, was oft schlechte Arbeitsbedingungen und fragwürdige Kundschaft verursacht. Betreiber*innen vermischen sich daher ungerne öffentlich in die Sexarbeitsbewegung und Sexarbeitsaktivistinnen dort erkennen keine gemeinsamen Interessen mit Betreiber*innen, die oft einfach als unterdrückende Kapitalisten gesehen werden. Trotzdem gibt es sehr ähnliche Diskurse innerhalb der deutschen und der britischen Bewegungen, die wir bei unserem Aktivismus reflektieren können. Es ist sinnvoll unser Handeln zu reflektieren und die Bedeutung unserer Ansätze für den Kampf für mehr Rechte zu überdenken. Wir sollten uns aber nicht zu sehr mit diesen Unterschieden beschäftigen, sondern vielmehr die Gemeinsamkeiten unserer Ansätze suchen, um solidarisch zu bleiben.

Zu dieser Rezension hat Mademoiselle Ruby folgenden Beitrag ergänzt:

Also, ich habe ein paar begriffliche Probleme mit dem Beitrag, die ich mal ansprechen möchte. Für all die, die mit der Terminologie rund um dieses Thema Aversionen verbinden, ich kann das gut nachvollziehen, aber finde, wir kommen hier ohne diese Begriffe nicht weiter.

Für mich ist der Ansatz von den Autorinnen nicht „marxistisch inspiriert“ sondern hat relativ wenig mit der sozialistischen Interpretation von Arbeit zu tun. Nicht die Arbeit als solche ist das Problem, sondern deren Entfremdung und die Aneignung durch die herrschende Klasse. Wer das verkürzt darstellt, kommt am Ende auch zu so verkürzten Schlussfolgerungen wie anscheinend in dem Buch. Natürlich steht Sexarbeit heute im gesamtgesellschaftlichen Spannungsfeld des späten Kapitalismus und trägt dadurch Züge von Entfremdung, Ausbeutung und hat – ich bleib mal im Slang: einen deutlichen Klassencharakter. Marx und Engels wollten aber auch nicht die (Sex)Arbeit als solche abschaffen, sondern deren repressiven Charakter und ihre Ausbeutung beheben und gesamtgesellschaftlichen Nutzen generieren, über die Klassen- und Ländergrenzen hinweg.

Die Frage nach Sex und Sexarbeit kann in meinen Augen nicht ohne den sozialen Background der Zeit betrachtet werden. In der spätkapitalistischen Gesellschaft sind Zeit, Nähe, zwischenmenschliche Beziehungen und Wohlstand Privileg oder Mangel“ware“. Sex als Ware unterliegt genau den gleichen miesen Konditionen, wie alle Arbeit und ihre Produkte sonst auch, und wird entsprechend gehandelt. Dennoch ist die Sexualität wie auch die Kreativität ein Grundbedürfnis des Menschen, in denen sich, auch das aus marxistischer Sicht, manchmal ein Freiheitsbegriff abbildet, der seiner Zeit weit voraus ist – Stichwort Avantgarde (bitte ohne die Kulturarroganz, die dieser Begriff leider manchmal impetto hat, verstehen). Es bilden sich dort Bedürfnisse und fast schon Utopien ab, die der Mensch denken kann, weil sie möglich sind.

Manchen von uns Sexworkern gelingt eine gewisse Unabhängigkeit von materiellen Zwängen. Folgt man dem Ansatz von Mac und Smith, dann würden diese Repräsentant*innen nicht weiter für Rechte, bessere Arbeitsbedingungen und gegen Entfremdung der Ware Sex eintreten, sondern allein durch ihre privilegierte Stellung die anderen, weniger privilegierten Vertreter*innen verhöhnen. Aber das ist doch gar nicht der Fall. Ich denke, wir müssen offen und realistisch sein, sensibilisiert für die Unterschiedlichkeit der Bedingungen die Sexarbeiter*innen weltweit erleben. Eine klare Perspektive sollte nicht sein, die Rechte von Sexarbeiter*innen von denen anderer Arbeiter*innen abzukoppeln sondern zu verstehen, wieso die Situation so scheiße ist, und welche Faktoren uns verbinden.

Die Gefahr ist immer nur noch realpolitisch zu agieren, und wie die Gewerkschaften auf Nachbesserungen zu drängen, ohne aber das Gesamte in Frage zu stellen. Wenn man das macht, kommt man schnell zu diesem Begriff, den auch Marx und Engels schon benannten: Arbeiteraristokratie (kleinbürgerliche Strukturen, die sich anpassen, und nicht an die Kernfrage ran gehen.
Für mich sind also hier die zentralen Frage: Wie vermeidet die weltweite Bewegung von Sexarbeiter*innen (Sex)Arbeiteraristokratie oder ausschließliche Anpassung an die politischen Strukturen? Wie bleiben wir solidarisch und kultivieren nicht unser Privileg?

Das soll nicht heißen, dass wir keine politischen Forderungen mehr stellen, oder keine Nachbesserungen begrüßen, aber es heißt, dass sich die Sexarbeiter*innenbewegung über Perspektiven Gedanken machen müsste.

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