Die juten Sitten: Goldene Zwanziger. Dreckige Wahrheiten – Eine Rezension

Dieser Text stammt aus der Feder von Fabienne, aktive Sexarbeiterin und Vorstandsmitglied des BesD.

Anna Basener, Autorin des gefeierten Romans „Als die Omma den Huren noch Taubensuppe kochte“, hat es wieder getan:  Mit ihrem Hörspiel „Die juten Sitten“ nimmt sie uns mit auf eine Zeitreise in das wilde Berlin der 20er Jahre. Wir treffen Anita Berber, Magnus Hirschfeld, bekommen einen Geschmack der Epoche. Ihre wahren Heldinnen sind jedoch vor allem die Frauen, die sich in Berlins Halbwelt mit einem kleinen Betrieb durchschlagen.

Protagonistin Hedi sitzt in den 50er Jahren im Todestrakt eines Gefängnisses in Hollywood. Sie hat einen Mann umgebracht, scheinbar ohne Grund, warum, will sie nicht sagen. Aber dem Journalisten vor ihr will sie eine andere Geschichte erzählen –   von ihrer Kindheit in Berlin, von (Wahl-)Familie, den Tragödien der Liebe, des Lebens und der Lust.

Hier könnt ihr mal reinhören: Zum Trailer von „Die juten Sitten“

Basener schafft hier wieder das, was viele andere Autor*innen nicht schaffen: Sie nimmt uns mit in den Alltag der Huren, ganz ohne Sensationalismus. Denn Hedi ist im Bordell aufgewachsen, in der „Ritze“, einem kleinen, selbständigem Betrieb in der Mulackstrasse. Ihre Grossmutter leitete den Laden, und betrieb eine kleine Gaststätte. Im Obergeschoss vermietete sie Hurenstuben, unter anderem an Colette – „die schönste Hure Berlins“ – und die Domina Natalia.

Wir Hörer*innen werden eingeladen,  den Figuren in ihr „verruchtes“ Treiben zu folgen. Und dann, ganz nebenbei, werden die Huren menschlich. Ihre Arbeit und Motivationen nachvollziehbar. Moralische Zeigefinger sucht man in „Die juten Sitten“ vergeblich. Stattdessen gibt es gut recherchierte authentische Einblicke in den  Hurenalltag des historischen Berlins. Von der ersten Legalisierung 1927, über polizeiliche und behördliche Korruption bis hin zum herzenswarmen Pragmatismus der Huren.

Ich wünschte mir, jede Autorin, die fiktional über Sexarbeit schreibt, würde sich ein großes Beispiel an Anna Baseners Arbeit nehmen: Ihre Figuren besitzen Tiefe, sind zwiespältig, entwickeln sich. Die tiefgehende Hintergrundrecherche setzt vorurteilsfrei den Rahmen für eine spannende und  tiefsinnige Geschichte (hier geht es zum Audible-Hörbuch auf Amazon).

Ich für meinen Teil nehme mir ein Beispiel an Natalias Trinkspruch und hebe mein Glas: „Auf die Frauen!“

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