Tote Nutten im Tatort – Wie die Medien das Hurenstigma verstärken

Dieser Blogbeitrag wurde von Susanne verfasst und erschien in erster Version im Kaufmich-Magazin. 

Sex, Crime und Prostitution in Film und Fernsehen

Schon seit längeren hatte ich das subjektive Gefühl, dass in jedem zweiten Fernseh-Krimi in Deutschland eine Prostituierte ermordet wird. Bei näherer Nachforschung bestätigte sich dann, dass tatsächlich unter anderem im extrem populären „Tatort“ – der regelmäßig feste Sendeplätze im ARD und den Regionalsendern hat – sehr häufig Prostituierte als Opfer gezeigt werden. Konkret liegen zwischen 2012 und 2018 26 „Tatort“-Folgen vor, in denen Prostitution das Thema war und Sexarbeit ausübende Menschen ermordet, ausgebeutet oder ihnen sonstwie Gewalt angetan wurde.

Schauen Prostitutionsgegner*innen also zu viele Krimis, wenn sie den Anteil von Zwangsprostituierten bei 90% verorten? Nicht notwendigerweise – die falsche Prozentzahl hält sich hartnäckig auch in den normalen Nachrichten. Bei der unseriösen Schätzung wird immer wieder der hohe Anteil von Migrant*innen in der Sexarbeit (dieser schwankt zwischen 70% und 90%) pauschal als Anteil der Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution umgedeutet. Eine ungeheure Behauptung, für die es – schenkt man dem Bundeslagebild Menschenhandel des BKA Glauben – keinerlei Anhaltspunkte gibt.

Im Unterhaltungsfernsehen treibt das Thema Sex & Crime jedenfalls regelmäßig die Zuschauerzahlen in die Höhe. Kein Wunder, die Deutschen liegen beim Krimis schauen und lesen unter den Spitzenreitern –  hier schreibt zum Beispiel die FAZ, warum unsere Landsleute insbesondere von Fernseh-Morden fasziniert sind. An sich kein Problem, könnte man denken. Doch tatsächlich sind die Folgen solcher einseitiger Berichterstattungen und Serieninhalte für Sexarbeiter*innen in der Realität alles andere als problemlos.

Die fehlende Sichtbarkeit des Alltags von Sexworkern

Außerhalb von (realen oder ausgedachten) Kriminalfällen, füllt das Thema Sexarbeit und Prostitution leider kaum die Gazetten. Im Gegenteil – Sexarbeiter*innen und die Vielfalt ihrer gelebten Leben sind in der Öffentlichkeit regelrecht unsichtbar. Mit Ausnahme der Filterblase von Menschen, die sich für die Rechte von Sexarbeiter*innen engagieren, sowie im täglichen Leben von Beratungsstellen, Staatsanwaltschaften und Behörden, die beruflich mit Prostitution zu tun haben oder das „soziale Problem“ in den Griff bekommen sollen, tauchen Sexarbeit und Prostitution beinahe nirgendwo im gesellschaftlichen Diskurs auf.

Was hier stattfindet, lässt sich mit dem Begriff „Framing“ aus den Sozialwissenschaften zusammenfassen: Nur ein kleiner Teilaspekt wird aus einer vielschichtigen Realität herausgenommen und hervorgehoben, um eine einzige Interpretation von Wirklichkeit, eine moralische Bewertung oder Handlungsempfehlung zu liefern.

Ein Skandal – denn dieses einseitige Bild hat verheerende Folgen. Durch die Verbindung von Prostitution und Kriminalität wird ein extrem stigmatisierendes Bild von Sexarbeiter*innen in die Öffentlichkeit getragen.

Sind nur tote Nutten interessante Nutten? 

Die meisten Reportagen zum Thema berichten über Menschenhandel und Zwangsprostitution – und nicht über den normalen Alltag von Prostituierten. In der öffentlichen Wahrnehmung verwischen so die Grenzen zwischen Kriminalität, Straftaten und normaler, selbstbestimmter Sexarbeit. Das sorgt dafür, dass Sexarbeiter*innen in den Köpfen der (Film und Fernsehen konsumierenden) Gesellschaft auf ganz bestimmte Rollen festgelegt werden – nämlich auf die der Opfer von Gewalt und Ausbeutung. Tatsächlich wird Sexarbeit beinahe ausschließlich in Zusammenhang mit Kriminalität, Menschenhandel und Ausbeutung zur Sprache gebracht.

Wenn Sexarbeiter*innen in Film und Fernsehen ausschließlich als Opfer zu sehen sind, stellt man Gewalttätern damit schon beinahe einen Freifahrtschein aus – schließlich ist es scheinbar der gesellschaftliche Normalfall, der „Nutte“ keinen Respekt entgegen zu bringen oder ihr Gewalt anzutun.

Auch Serienkiller ermorden oft bevorzugt Prostituierte – viele Täter im In- und Ausland haben später dazu ausgesagt, dass die Existenz von Prostituierten sowieso niemanden interessiere und sich auch keiner um die Gruppe kümmere. Leider haben sie nicht unrecht. Doch es darf nicht sein, dass ein Menschenleben wertlos ist, nur weil eine Person Sexarbeit ausübt.

Warum es so wichtig ist, das Hurenstigma zu bekämpfen  

Alljährlich gedenken wir weltweit am 17. Dezember – dem Tag gegen Gewalt an Sexarbeiter*innen – unseren Kolleg*innen. Ich bin überzeugt, die Hauptursache der Gewalt, die sich bis heute gegen genau diese bereits so marginalisierte Personengruppe richtet, ist das „Hurenstigma“ in der Gesellschaft – Sexarbeiter*innen gelten als verachtenswert, potentiell kriminell oder müssen gerettet werden.

Deshalb sind die Folgen der Medienberichterstattung und der Verfilmungen zum Thema Prostitution so wichtig und sollten ans Licht gebracht werden. Durch sie werden Realitäten geschaffen, die sich in den Köpfen festsetzen, das Meinungsbild bestimmen und das Bild des Opfers/der „Nutte“ in Endlosschleife reproduzieren. Gesellschaftliche Stigmatisierung zwingt fast alle Sexarbeiter*innen zu einem Doppelleben. Sie veranlasst Gewalttäter zu glauben, im Interesse oder zumindest mit dem stillschweigenden Einverständnis einer Gesellschaft zu handeln, der Prostituierte scheißegal sind.

Filmemacher*innen und Autor*innen stürzen sich auf Sex & Crime, um die Zuschauer und Leser zu unterhalten – aber ist es denn wirklich so schwierig spannende Drehbücher zu schreiben, wo keine toten oder ausgebeuteten Sexworker auftauchen?

Wir müssen gemeinsam diesem Stigma entgegen treten. Und das betrifft nicht nur die Beteiligten in der Erotik-Industrie – wir als Gesellschaft sollten alle ein starkes Interesse daran haben, dass die Politik und die mediale Berichterstattung in Deutschland keine Opfer schafft, sondern im Gegenteil gefährdeten Menschen den Rücken stärkt.

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