09.04. | Corona-Virus: Das sollten Sexarbeiter*innen (und alle anderen) jetzt beachten
A. Das Corona-Virus in Deutschland
- Gefährdung für die Gesundheit der allgemeinen Bevölkerung laut Robert-Koch-Institut: hoch
- Gefährdung für die Gesundheit von Personen, die Risikogruppen angehören: sehr hoch
- Zahl der bestätigten Infektionen in Deutschland: 108.202 Menschen
- Bisher bestätigte Todesfälle aufgrund von Corona in Deutschland: 2.107 Menschen
—> Täglich aktualisierte Fallzahlen in den Bundesländern und weltweit.
B. Die Lage für Sexarbeiter*innen in Deutschland
Mitte März wurden in Deutschland sämtliche Prostitutionsstätten, Bordelle und ähnlichen Einrichtungen geschlossen. Alle körpernahen, nicht medizinisch notwendigen Dienstleistungen sind laut Vorgabe der Bundesregierung derzeit untersagt. Viele Bundesländer und Städte haben darüber hinaus explizit jede Art von Prostitution verboten. Bei unserer Arbeit können wir keinen Abstand zu den Gästen halten. Deswegen ist das Risiko für eine Ansteckung für uns sehr hoch.
Wir verstehen das derzeit geltende Kontaktverbot so, dass deutschlandweit jegliche Art der Sexarbeit mit Kundenkontakt verboten ist. Der Berufsverband empfiehlt allen Sexarbeiter*innen in Deutschland körpernahe sexuelle Dienstleistungen vorübergehend einzustellen.
- Im Falle eines Verstoßes gegen das derzeitige Prostitutionsverbot drohen Sexarbeiter*innen unverhältnismäßig hohe Bußgelder – der BesD spricht sich entschieden dagegen aus. Mehr hierzu in —> unserer Stellungnahme.
- Der BesD hat erfolgreich eine Aufhebung des Übernachtungsverbots in Bordellen während der Corona-Zeit initiiert. Mehr hierzu in —> unserer Pressemitteilung.
- Für Sexarbeiter*innen, die durch alle Netze fallen und keinen Anspruch auf staatliche Hilfen haben, haben wir den —> BesD Nothilfe Fonds ins Leben gerufen – unter „D. Finanzielle Hilfen“ erfährst du mehr.
Wir wissen natürlich, dass viele Kolleg*innen über keine ausreichenden Rücklagen verfügen und auf die Einnahmen aus der Sexarbeit dringend angewiesen sind. Lies mehr unter „D. Finanzielle Hilfen“.
Falls du trotzdem keine andere Möglichkeit siehst und weiterhin Kund*innen persönlich triffst, ist es wichtig ein paar Tipps zu beachten um dein Risiko und das deiner Kund*innen zu vermindern. Lies mehr unter „E. Vorsichtsmaßnahmen“.
C. Was jetzt wichtig zu wissen ist
Wie auch andere Länder, versuchen wir in Deutschland derzeit in einer gesamtgesellschaftlichen Anstrengung und mit aller Kraft die Ausbreitung des Virus zu verzögern. Dadurch sollen einerseits Menschen, denen das Corona-Virus besonders schaden kann, geschützt werden und andererseits eine Überlastung des Gesundheitssystems möglichst vermieden werden. Es handelt sich um eine ernst zu nehmende Situation.
Die gewonnene Zeit wird für die Entwicklung von Schutzmaßnahmen für besonders gefährdete Gruppen, die Erhöhung von Behandlungskapazitäten und die Entwicklung von antiviralen Medikamenten und Impfstoffen genützt.
- Wir wollen selbst nicht krank werden.
- Wir wollen nicht, dass unsere Kund*innen krank werden.
- Wir wollen gemeinsam Menschen schützen, für die eine Ansteckung besonders gefährlich werden kann. Mit vielen arbeiten wir zusammen, leben wir zusammen, oder wohnen wir zusammen.
Insbesondere gefährdet sind Menschen, die:
- eine chronische Krankheit haben (zum Beispiel Herzkreislauferkrankungen, Diabetes und Erkrankungen des Atmungssystems, der Leber und der Niere sowie Krebserkrankungen)
- über 55 Jahre alt sind
Achte ebenfalls besonders auf dich, wenn du:
- mit Menschen über 55 Jahren zusammenlebst
- mit Menschen, die an chronischen Krankheiten leiden, zusammenlebst
Falls du dich krank fühlst, oder vermutest, dich angesteckt zu haben:
Wende dich telefonisch an ein Gesundheitsamt in deiner Region – egal ob du krankenversichert bist, oder nicht. Die Adressen und Telefonnummern der Gesundheitsämter findest du auf www.gesundheitsaemter-deutschland.de. Alternativ kannst du dich auch an die Hotline der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland, oder deine lokale Corona-Hotline wenden.
Zur Reduktion sozialer Kontakte:
Im Rahmen der Maßnahmen zur Beschränkung sozialer Kontakte sind die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland dazu angehalten, die Kontakte zu anderen Menschen außerhalb der Angehörigen des eigenen Hausstands auf ein absolut nötiges Minimum zu reduzieren. Hier findest du die derzeit geltenden Leitlinien der Regierung. Bleibe nach Möglichkeit zuhause.
Hygiene:
Es ist jetzt maßgeblich, eine gute Händehygiene zu praktizieren, eine Husten- und Niesetikette einzuhalten und enge Kontakte zu meiden. Hauptübertragungsweg der Viren ist die Tröpfcheninfektion. Diese kann direkt von Mensch-zu-Mensch über die Schleimhäute geschehen oder auch indirekt über Hände, die dann mit Mund- oder Nasenschleimhaut oder Augenbindehaut in Kontakt gebracht werden. Zur Prävention hilft es außerdem, so wenig wie irgendwie möglich ins eigene Gesicht zu fassen. In dieser Infografik finden sich die wichtigsten Hygienetipps.
D. Finanzielle Hilfen
Der BesD steht in engem Austausch mit Beratungsstellen sowie kommunalen und landesweiten Behörden. HIER findest du unsere ständig aktualisierte Übersicht zu den bundesweiten und bundeslandspezifischen finanziellen Hilfen für Sexarbeiter*innen.
Falls du keinen Anspruch auf Grundsicherung oder andere staatliche Hilfen hast und dich in einer Notsituation befindest:
Wende dich an eine Beratungsstelle für Sexarbeiter*innen in deiner Stadt oder Region. Diese können dich an die richtigen Stellen weiterverweisen. Adressen und Telefonnummern vieler dieser Beratungsstellen findest du auf www.bufas.net/mitglieder
Sind sämtliche staatlichen Hilfen ausgeschöpft, können die Berater*innen für dich einen Antrag beim BesD Nothilfe Fonds stellen oder du kontaktierst selbst unser Team unter notfallfonds@besd-ev.de.
Es ist dabei egal, ob du angemeldet bist, oder welchen Aufenthaltsstatus du hast. Um Hilfe bei unserem Fonds zu beantragen, sind weder ein „Hurenpass“ noch eine Mitgliedschaft beim BesD notwendig.
Mit einem Anteil von nicht krankenversicherten, nicht angemeldeten, bereits von Armut betroffenen Menschen, trifft es Sexarbeitende in der jetztigen Krise besonders hart. Viele der nicht in Deutschland ansässigen Sexarbeiterinnen haben in Bordellen übernachtet – seit deren Schließung sitzen sie von einem Tag auf den anderen auf der Straße und sind teilweise obdachlos. Sie können aktuell auch nicht in ihre Heimatländer zurück, es bestehen Einreisestopps und in den meisten Fällen fehlt ohnehin das Geld für eine ungeplante Reise.
Wir haben einen hohen Anteil an Menschen in der Sexarbeit, die von der Hand in den Mund leben. Es gibt einen Anteil an Beschaffungs- und Überlebensprostitution. Komplett fehlende Rücklagen und fehlender Anspruch auf staatliche Grundsicherung führen dazu, dass Menschen auch jetzt, während sich die Krise zuspitzt, weiterhin der Sexarbeit nachgehen müssen und auf der Straße oder über das Internet nach Kunden suchen. Die Ärmsten der Armen kämpfen um ihr Überleben. Sie benötigen finanzielle Soforthilfe, mit welcher Wohnraum und Ernährung sichergestellt werden können. In der jetztigen Lage darf kein Sexworker aus Gelddruck weiter arbeiten (müssen) und damit sich und andere gefährden!
Deshalb haben wir den BesD Nothilfe Fonds ins Leben gerufen. Alle Spenden gehen an Sexarbeitende, die nicht auf staatliche Hilfsfonds oder –darlehen Zugriff haben. Bitte folge DIESEM LINK oder klicke auf das Bild unten, um mehr zu erfahren oder zu unterstützen.
E. Vorsichtsmaßnahmen für Sexarbeiter*innen
Was Sexarbeiter*innen beachten sollten, die derzeit trotzdem keine andere Möglichkeit sehen, als jetzt noch Kund*innen persönlich zu treffen:
- Nimm auf keinen Fall Kunden mit Schnupfen, Husten und anderen Erkältungssymptomen an. Wenn du bemerkst, dass ein Kunde Symptome hat, weise ihn oder sie ab.
- Wasche Dir öfters mindestens 30 Sekunden gründlich die Hände mit Seife oder benütze notfalls ein antivirales Desinfektionsspray auf deinen Händen.
- Sorge dafür, dass jeder Gast sich als erstes mindestens 30 Sekunden die Hände mit Seife wäscht oder notfalls ein antivirales Desinfektionsspray auf seinen Händen benützt.
F. Alternative Verdienstmöglichkeiten
Innerhalb der Branche bieten sich Webcamming, Phone und Direct Chats sowie der Verkauf von Adult Content (Fotos, Videos) auf Plattformen an, wo kein Körperkontakt stattfindet. Eine Auswahl von Plattformen sind zum Beispiel adultwork, streamate, Big7, my dirty hobby, onlymevip oder chaturbate, sexpanther und adulttime.
In unserem Mitgliederforum tauschen wir uns über alternative Verdienstmöglichkeiten aus und unterstützen uns gegenseitig. Hier kannst du den Mitgliedsantrag unkompliziert, anonym und online ausfüllen – wir haben auch eine kostenlose Schnuppermitgliedschaft.
G. Mehr Information
Auf diesen offiziellen Seiten finden sich die tagesaktuellen Informationen sowie alle derzeit verfügbaren Antworten zu Fragen rund um das Coronavirus und dem Umgang damit: Bundesregierung | Robert-Koch-Institut | www.infektionsschutz.de. In diesem Podcast informiert Christian Drosten, Leiter der Virologie in der Berliner Charité, täglich über neue Entwicklungen.
Unterschied zu Grippe und anderen Viren:
- Im Gegensatz zu den saisonalen Grippeviren gibt es gegen das neue Corona-Virus noch keine Grundimmunität in der Bevölkerung.
- Eine spezifische, gegen das Corona-Virus gerichtete Therapie oder Impfung steht derzeit noch nicht zur Verfügung.
- Mehr Menschen können sich schneller anstecken.
- Besonders gefährdete Gruppen sind weder durch Medikamente noch durch Impfung geschützt.
- Abhängig von der Verbreitung der Infektion, den vorhandenen Kapazitäten und den eingeleiteten Gegenmaßnahmen, kann es zu einer hohen Belastung des Gesundheitswesen kommen.
Die Symptome des Coronavirus unterscheiden sich von einer Erkältung/Grippe insofern, als Coronavirus oft mit Fieber und trockenem Husten einhergeht, jedoch eher selten mit tropfender Nase.
Auf Dauer wird der Corona-Virus – so wie die bereits bekannte Grippe – weltweit auftreten. Die individuelle Gefahr, im Falle einer Infektion schlimm zu erkranken, scheint nach wie vor niedrig zu sein. Doch wir wissen mittlerweile, dass eine Infektion mit dem neuen Virus besonders für alte Menschen und Menschen mit chronischen Erkrankungen ein höheres Risiko darstellt und vermehrt zu schweren Krankheitsverläufen führt.
Stand der Forschung:
Die Gefahr einer Infektion zieht ihre Bedrohlichkeit vor allem aus der Tatsache, dass noch keine Immunität in unserer Spezies dagegen existiert. Eine spezifische, gegen das neuartige Coronavirus gerichtete Therapie oder Schutzimpfung steht derzeit nicht zur Verfügung, doch in der internationalen Forschung – unter anderem zwischen Health Security Committee der EU, Global Health Security Initiative der G7 und CEPI (Coalition for Epidemic Preparedness Innovations) – wird mit aller Kraft an der Entwicklung eines Impffstoffs und an der Erforschung des Virus gearbeitet.
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