Spaltung, Angriff, Spott: Strategien der Prostitutionsgegner*innen
Dieser Beitrag stammt aus der Feder von unserem Mitglied Miss Daria, die seit vielen Jahren als Sexarbeiterin in Stuttgart im Bereich experimenteller Sexualität tätig ist. Der Text ist in einer vorherigen Version zuerst in ihrem Blog erschienen.
Gerade habe ich den Artikel „Corona: Chance zum Ausstieg?“ aus der EMMA gelesen. Und sehr lange darüber nachgedacht, ob ich bei Twitter darauf antworte. Die unkonstruktive Art, in der in dem Text argumentiert wird, nervte mich sehr. Ich habe angefangen zu schreiben, aber egal was ich in den Tweet bringen wollte, alles klang nach Rechtfertigung.
Insbesondere die Prostitutionsgegner*innen hier in Stuttgart – zum Beispiel Sisters e.V., #RotlichtAus oder #ichbinkeinfreier – sind unterschiedliche Vereine und Kampagnen, die schon viele Jahre an einem Teppich gegen Sexarbeit knüpfen. Allesamt scheinen ausschließlich daran interessiert zu sein, Sexarbeit in jeglicher Form zu beenden. Viele ihrer Mitglieder wirken sehr gut gecoacht und geübt darin, für ihre Sache zu argumentieren – um von sich selber abzulenken und um ein ganz bestimmtes Bild von Sexarbeit in der Welt zu verbreiten.
Wirklich gut, dass ich grad soviel Zeit habe, „dank Corona“. Somit kann ich heute ein wenig über die faszinierenden Kommunikations-Strategien von Prostitutionsgegner*innen schreiben.
Strategie 1: Gegeneinander ausspielen
Wie man auch in dem oben genannten Artikel lesen kann, versuchen Prostitutionsgegner*innen immer wieder Sexarbeiter*innen untereinander auszuspielen und in Schubladen zu stecken. Hier ein paar davon:
- Sexarbeiter*innen, die genug Geld verdienen, oder unter guten Bedingungen arbeiten und sagen, dass sie den Beruf freiwillig ausüben, sind „privilegiert“ oder wahlweise auch heimlich „traumatisiert“.
- Sexarbeiter*innen, die unter Geldmangel leiden, oder unter schlechten Bedingungen arbeiten und trotzdem sagen, dass sie den Beruf freiwillig ausüben, „belügen sich selbst“und sind auf jeden Fall „traumatisiert“.
- Sexarbeiter*innen, die sich zu ihrem Beruf nicht öffentlich äußern, sind grundsätzlich „gezwungen“, und „Opfer, die man retten muss“.
- (Ehemalige) Sexarbeiter*innen, die öffentlich ähnliche Positionen wie Prostitutionsgegner*innen vertreten, sind die „Guten“, „wenigstens ehrlich“, oder „Überlebende“.
- (Ehemalige) Sexarbeiter*innen, die öffentlich andere Positionen als Prostitutionsgegner*innen vertreten, sind immer „privilegiert“ und zusätzlich die „Bösen“ und „Lobbyist*innen“.
Strategie 2: Entmachtung
Sobald Sexarbeiter*innen es wagen, mit gegensätzlichen Standpunkten und Blickrichtungen an die Öffentlichkeit zu gehen, werden sie von Prostitutionsgegner*innen diffamiert. Wir sollen nicht mitreden dürfen – weil wir ja „gaaar keinen Vergleich“ hergeben oder uns „selbst belügen“.
Kann doch nicht verhindert werden, dass wir mitreden dürfen, werden uns bösartige Beweggründe unterstellt – weil wir entweder „von der Betreiber-Lobby gekauft“ sind oder „nur andere für uns anschaffen lassen“.
Strategie 3: Dramatisierung
Von Seiten der Prostitutionsgegner*innen wird ein Bild der durchschnittlichen Sexarbeiterin als ewiges „Opfer“ gemalt und darum drehen sich grundsätzlich alle Diskussionen. Es ist weit verbreitet, nur mit traurigen, dramatischen und bildhaften Beschreibungen zu argumentieren. So was setzt sich natürlich schnell im Kopf der Öffentlichkeit fest, besonders bei jenen, denen die breite Vielfalt der Sexarbeit nicht bewusst ist.
Tantrastudios, Laufhäuser, BDSM-Studios, Sexarbeit in Wohnmobilen, auf dem Straßenstrich, Personen die in Swingerclubs animieren… die Liste ist lang! Sexarbeit hat so viele unterschiedliche Bereiche, und – glaubt mir – der Anteil an Sexarbeiter*innen, die nicht in das Bild der Prostitutionsgegner*innen passen ist groß.
Das Bild entspricht vielleicht einer (!) Realität, bezieht aber niemals die gesamte Bandbreite mit ein. Es ist einseitig und erlaubt keine anderen Bilder neben sich – unter solchen Voraussetzungen kann niemals ein offener Diskurs entstehen.
Strategie 4: Angriff
Ein weiterer Punkt ist das Vorgehen nach dem Motto: „Angriff ist die beste Verteidigung“. In einer Diskussion auf Twitter kam die Frage auf, was Sisters e.V. und Co denn aktuell tun, um Sexarbeiter*innen, die kein Geld verdienen können, zu unterstützen. Und es wurde deutlich, dass die Befürworter*innen eines Sexkaufverbots wenig bis gar nicht dazu beitragen, die Bedingungen für Sexarbeiter*innen wirklich zu verbessern.
Um dieses Nichts-Tun zu verschleiern, wird mit Gegenfragen und mit Angriffen agiert. Das ist in dem oben genannten Artikel gut zu erkennen, in dem die Verfasserinnen ausgerechnet den Berufsverband für erotische und sexuelle Dienstleistung anfeinden.
Ein Verband aus aktiv arbeitenden Sexarbeiter*innen wird als „Lobbyverband ausgezeichnet verdienender Studiobesitzerinnen“ bezeichnet und mit Vorwürfen des absichtlichen „Nichts-Tuns“ und „Nicht-früh-genug-Tuns“ überhäuft. Ich bin Mitglied im BesD, ich könnte also eine Menge von dem erzählen, was dort alles wirklich passiert, um die Bedingungen für Sexarbeiter*innen – insbesondere im Bereich der prekären Sexarbeit – zu verbessern.
Strategie 5: Verzerrung
Es wird von Gegner*innen sehr häufig mit Zahlen jongliert, also mit vermeintlichen Fakten, die jedoch keine sind. Nirgendwo gibt es auch nur einen Ansatz, eine Studie, oder Statistik, die zum Beispiel die Zahlen, die im Artikel genannt werden, unterstützen. Die „90 Prozent Elendsprostituierten“ sind schlicht und ergreifend gelogen.
Der BesD wird auch „Lobbyverband“ genannt, um quasi Fakten zu verwaschen. Das Wort hinterlässt einen schrägen Beigeschmack – es zielt in meinen Augen darauf, ein Bild zu hinterlassen, das etwas mit Zuhälterei zu tun hat. Aber vielleicht bin ich da auch gerade sehr empfindlich.
Hier sei auch nochmal der Punkt Menschenhandel und Zwangsprostitution erwähnt. Es müsste endlich mal allen klar werden, dass Menschenhandel strafrechtlich geregelt ist. Das Wort Zwangsprostitution ist ein Unwort – Sex unter Zwang ist Vergewaltigung und hat bei Prostitution nichts zu suchen.
Strategie 6: Spott
Zitat aus der EMMA: „Wir erinnern uns an die Vertreterinnen der Pro-Prostitutionslobby, die in Talkshows das Mantra von der glücklichen Prostituierten herunterbeteten“. Da werden die öffentlichen Auftritte der wenigen Sexarbeiter*innen, die sich für Anerkennung, gute Bedingungen und Differenzierung der Sexarbeit einsetzen, auf spöttische Weise dargestellt und nicht ernstgenommen.
Zu dem Thema fällt mir auch noch der Beitrag der Frau B. ein, den sie am 13. März 2020 bei Twitter veröffentlicht hat und der ganz unten in dem Artikel sogar nochmal gehypt wird. In dem spottet sie unter anderem auf meine Kosten über die Bordellschließungen in der Corona-Krise, dass „Man(n) ja schon mal üben könne“.
Ich persönlich finde den Tweet selbst und die Unterstützung der EMMA peinlich und erschütternd. Für alle Sexarbeiter*innen, die wegen Corona mit einem Arbeitsverbot belastet sind, wirkt diese Aussage einfach nur verachtend. Frau B. freut sich ganz offensichtlich darüber, dass viele, viele Frauen, Männer und Trans-Menschen in nächster Zeit ihre Mieten nicht mehr zahlen können.
Ach, ich könnte den Artikel noch weiter auseinander pflücken – könnte mich richtig in Fahrt bringen – aber ich glaube ich habe schon deutlich gemacht, was ich deutlich machen wollte.
An gewissen Stellen scheint es überhaupt keinen Sinn mehr zu machen, mit Prostitutionsgegner*innen in eine Auseinandersetzung zu gehen – das kenne ich gut. Viele von uns fühlen sich bei diesen Diskussionen (zu Recht) oft hilflos und wütend. Ich hoffe ich konnte hier ein bisschen aufzeigen, woher das kommt und womit wir es eigentlich zu tun haben.
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