Diversität und Awareness: Gedanken zu Rassismus und anderen Diskriminierungen

Dieser Text stammt aus der Feder von Charlie Hansen, angestellte Mitarbeiterin des Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen. Im Rahmenprogramm der kommenden ersten virtuellen Mitgliederversammlung des Vereins leitet sie gemeinsam mit Caspar Tate die AG  „Diversität und Awareness“. Das erste Treffen der AG findet am 12. Oktober um 16:00 statt – BesD-Mitglieder die teilnehmen möchten, finden die Anmeldemöglichkeit im Forum und unserer Telegram-Gruppe, beziehungsweise können sich direkt bei Charlie unter charlie@besd-ev.de melden. 


Wir als Sexarbeiter*innen kennen uns aus mit Diskriminierungen. Als Sexworker sind wir vielen Vorurteilen und Beleidigungen ausgesetzt. Andere Menschen reden schlecht über unseren Job und teilweise trauen wir uns auch nicht offen zu sagen, dass wir Sexarbeit machen. Das Stigma ist mächtig und es kann uns überall begegnen.

Man könnte jetzt davon ausgehen, dass wir als Menschen mit solchen Diskriminierungserfahrungen sensibel gegenüber anderen Formen von Diskriminierung sind und es innerhalb der Sexworker-Gemeinschaft einen Raum gibt, in dem zumindest weniger diskriminiert wird, als in der Durchschnittsgesellschaft…

Doch so einfach ist es leider nicht!

Viele Kolleg*innen in der Sexarbeit sind weiteren Formen von Diskriminierungen ausgesetzt – weil sie keinen deutschen Pass haben, kein Deutsch sprechen, dick sind, weil sie nicht weiß sind, weil sie keine Bildungstitel haben oder Be*hindert sind oder weil sie nicht hetero sind, einen Transhintergrund haben, queer sind oder oder …  Im Endeffekt erleben alle Menschen, die nicht weiß, gebildet, und einer gewissen Norm entsprechend, gesund und cis sind permanent Diskriminierung.

Auch innerhalb der Community passiert das ständig. Auch wir grenzen andere und Kolleg*innen permanent aus und sind verletzend gegenüber Menschen, die nicht-weiß, nicht-deutsch, disabled, dick oder nicht-cis sind.

Das ist nicht nur traurig, sondern schadet auch unserer Community – wir schließen mit unseren Aussagen und Handlungen viele Menschen, die unsere Kolleg*innen sind aus und verpassen so die Chance, uns flächendeckend und als große Community der Sexworker zu solidarisieren und unsere Kräfte zu bündeln.

Zuletzt gab es innerhalb des BesD eine Diskussion über Rassismus und andere -ismen und es war erschreckend zu sehen, wie in eben dieser Diskussion Vorurteile und Rassismen reproduziert wurden. Die Betroffenen, die diese Diskussion angestoßen haben, haben sich aus der Diskussion aus Selbstschutz enttäuscht zurückgezogen.

Erschreckend, aber für mich auch lehrreich.

Mir ist dadurch bewusst geworden, dass wir uns unbedingt mehr mit dem Thema auseinandersetzen müssen! Der Vorwurf der BesD wäre ein Verband der Elitären & Privilegierten ist nicht unbegründet. Wir haben Mitglieder aus allen Bereichen der Sexarbeit und mit verschiedensten Nationalitäten – aber wir sind auch ein ziemlich weißer und deutscher Verband – und das obwohl die Mehrzahl der in Deutschland arbeitenden Kolleg*innen in diesen demographischen Faktoren nicht abgebildet wird.

Der BesD ist kein Ort, an dem sich alle wohl und willkommen fühlen. Das liegt auch daran, dass viele unserer aktiven Mitglieder nach außen wie nach innen mit diskriminierender und verletzender Sprache kommunizieren. Die meisten, die bei uns aktiv sind, sind weiß, cis und schlank.

Ich selbst bin cis, weiß, habe einen Uniabschluss und obwohl ich mich als Antirassistin bezeichne, musste ich in den letzten Wochen feststellen, dass ich ständig Diskriminierungen und Rassismen reproduziere – das steckt unglaublich tief in uns drin.

Wir alle tun das! Ständig!! Jede*r der behauptet sich nie rassistisch oder diskriminierend zu äußern, hat sich noch nicht ausreichend mit dem Thema auseinandergesetzt. Privilegierte nehmen die alltäglichen Diskriminierungen meist gar nicht wahr – weil mensch nicht davon betroffen ist. Man muss also absolut kein*e Rassist*in sein, um rassistisch zu reden und Rassismen zu reproduzieren. Kaum jemand diskriminiert absichtlich – es geht also nicht um Schuldzuweisungen – es geht darum konstruktiv und neugierig zu sein und zu überlegen, wie man es besser machen kann. Es geht nicht darum, was man sagen darf, sondern was man sagen möchte – es geht um Verantwortung.

Personen, die diese Diskriminierungserfahrungen nicht persönlich machen mussten, sind ihnen gegenüber oft nicht sensibilisiert* und müssen erst durch viel Einfühlungsvermögen lernen, Diskriminierung überhaupt zu erkennen und auch zu erkennen, wann sie sie selbst ausüben.

Hier möchte ich gerne mit euch teilen, was ich in den letzten Wochen gelernt habe:

Ich weiß, dass viele erst mal denken: Was darf ich überhaupt noch sagen…? Dann sag ich lieber nichts mehr…? Ich habe Angst was Falsches zu sagen…

Vorab: Ich möchte nicht, dass es darum geht ab sofort alles richtig zu machen – das geht schlicht nicht. Aber ich wünsche mir eine Kultur, in der alle interessiert sind dazuzulernen.

Es ist nicht schlimm, einen Fehler zu machen oder sich falsch auszudrücken, aber es ist ein Problem, wenn die selben Diskriminierungsformen trotz Kritik immer wieder verwendet werden und wir so unsere Kolleg*innen aus dem Verband mobben.

Ich wünsche mir sehr, dass wir uns als Verband gemeinsam auf diesen Weg machen. Das ist kein Thema, das wir abarbeiten, sondern etwas, was wir mitdenken lernen müssen! Ein Thema, zu welchem wir immer wieder diskutieren und uns miteinander und jede*r für sich auseinandersetzen müssen. Wenn wir das nicht tun, ist unsere Arbeit an vielen Stellen einfach Heuchlerei – wir verlangen, dass sich die Welt in Bezug auf Sexarbeit endlich ändert und sind nicht bereit uns selbst zu ändern…?

Ich wünsche mir, dass sich in Zukunft auch mehrfachdiskriminierte Menschen bei uns wohl fühlen und Lust haben sich bei uns zu beteiligen. Ich wünsche mir, dass unser Verband vielfältiger und diverser wird.

* Anmerkung: An dieser Stelle stand ursprünglich, dass Menschen, die gewisse Diskriminierungserfahrungen nicht selbst erlebt haben diesen gegenüber „blind sind“. Wir haben das geändert, da dies eine ableistische Metapher ist. Denn die Leute sind ja nicht wirklich _unfähig_, Dinge zu sehen (Blindheit ist nicht steuerbar), sondern haben sich einfach noch nie tiefergehend damit auseinandergesetzt (was sehr wohl steuerbar ist).

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