EXIT-Kampagne gegen „Zwangsprostitution“ in NRW – gut gemeint aber….

„Nordrhein-Westfalen gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution“ ist der markante Titel einer groß angelegten Kampagne, den das Gleichstellungsministerium in NRW sich auf die Fahne geschrieben hat. Dass dasselbe Ministerium sich gegen „Freierbestrafung“ und gegen ein generelles „Prostitutionsverbot“ ausspricht, ist sehr vernünftig, läßt sich aber in dieser Kampagne nicht erkennen.

Grundsätzlich ist es sehr lobenswert, dass eine Landesregierung Geld in die Hand nimmt, um gegen Missstände allgemein und in diesem Fall gegen Menschenhandel in der Sexarbeitsbranche vorzugehen.

EXIT.NRW jedoch setzt auf Opferdarstellungen und unterstützt damit das in der Gesellschaft schon vorherrschende Bild von Prostitution als Hort der Kriminalität und leidender Frauen.

Im Folgenden zwei Kritikpunkte bzgl. der Bildsprache und Rhetorik der Kampagne:


1. Voyeuristische Bilderwahl

die in der NRW-Kampagne gewählten Bilder sind sehr professionell gemacht und prägnant in der Ansprache.
Da diese Bilder zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit gedacht sind, sehen wir die transportierte Botschaft als schwierig an. Es entsteht der Eindruck, diese Situationen seien Alltag in der Prostitution. Die hochstigmatisierte Berufsgruppe der Sexarbeitenden hat in den letzten Jahren kleine Schritte in Richtung gesellschaftlicher Anerkennung und Normalität machen dürfen. Dies ist eine Basis für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und auch ein Ansatzpunkt zur zielgenauen Bekämpfung von Missständen.

Auch der KOK (Bundesweiter Koordinierungskreis gegen Menschenhandel e.V.), der die Kampagne als solches sinnvoll findet, sagt zu den Bildern:
„Die Bilder sind unglücklich gewählt!“
(Sophia Wirsching, Geschäftsführerin des KOK)

 

2. Titel: Gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution

Menschenhandel tritt in vielen verschiedenen Arbeitsbereichen und in sehr unterschiedlichen Ausprägungen auf. In der Sexarbeit heißt der Straftatbestand Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung. Weiterhin gibt es noch Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung, zum Zwecke der Bettelei, zum Zwecke der Organentnahme und zur Ausnutzung strafbarer Handlungen.
Im Rahmen einer solchen Kampagne, bei der mit kurzen Schlagworten gearbeitet werden muss, ist es natürlich schwer, dem komplexen Straftatbestand einen anderen Namen zu geben. Die gewählte Überschrift halten wir jedoch für nicht zielführend, da sie durch Synonymisierung die Kriminalisierung der Prostitution bestärkt – zulasten der in der Sexarbeit tätigen Personen. Das in der Regel schon vorhandene Vorurteil wird ausgebaut, bei Menschenhandel sofort an Prostitution zu denken.

Menschenhandel ist eine schwere Straftat gegen die persönliche Selbstbestimmung eines Menschen. Auch unser Verband hält die gesellschaftliche Aufklärung und Sensibilisierung zu diesem Thema für sehr wichtig. Jedes Opfer ist ein Opfer zu viel. Für viele ist das Annehmen der Opferrolle sehr heilsam, denn es befreit von der Selbstmarter der eigenen Schuld.
Dennoch lehnt der Berufsverband das Wort „Zwangsprostitution“ ab, denn es erweckt den Eindruck, sämtliche Prostitution erfolge unter Zwang.

So sinnvoll eine Kampagne für die Menschenhandelsopfer in diesem Bereich auch ist, so schmal ist der Grat zu denjenigen, die Sexarbeit als ihren Beruf sehen oder auch einfach nur als Job, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Auch diese Menschen wünschen sich Normalität. Sehr schnell hat die gesellschaftliche Opferschublade sie wieder verschlungen.

Und genau diesen Spagat muss eine Kampagne für Menschenhandelsopfer zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung bewältigen.

Der Berufsverband setzt auf empowernde oder aufklärende Kampagnenkonzepte, die erzählen, dass nicht jede Sexarbeitende ein Opfer ist und insbesondere, dass die Kraft zur Wehr in der betroffenen Person selbst liegt, die dann als Gemeinschaft entfacht werden kann.

Als Beispiele solch erfolgreicher Kampagnenkonzepte sind hier zu nennen:

Kampagne „Freier haben freie Wahl“ aus Wien.
Beispiel für Opferhilfe und Aufklärung
               (unbedingt das Bild anklicken, sonst leuchtet die Aktion nicht ein)

Kampagne „Aber jetzt rede ich“ des Familienministeriums
Beispiel für Empowernment

Die Bundesregierung hatte sich bei der Entwicklung des ProstSchG (ProstituiertenSchutzGesetz) darauf geeinigt, dass eine exakte Trennung zwischen Menschenhandel und Prostitution/Sexarbeit vorgenommen werden muss. Tatsächliche Opfer können zielgenauer erreicht werden und die Stigmatisierung, welche die komplette Branche betrifft, wird nicht noch weiter vorangetrieben.


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