Massenlöschungen auf Twitter – worauf Sexworker jetzt achten sollten

Ob …

… die Liste ist absolut nicht vollständig, aber man kann wohl laut sagen, dass Sexworker auf „Mainstream“-Seiten in der Regel nicht erwünscht sind. Und schon mal gar nicht, wenn sie über diese Dienste versuchen, ihrer Arbeit nachzugehen. Accounts werden stillgelegt, Profile gelöscht oder gesperrt, Überweisungen storniert – da können im schlimmsten Fall schon mal die mühsam über Jahre gesammelten Follower (und damit Einnahmensquellen!) von einem Tag auf den anderen weg sein.

Werbetechnisch und finanziell ist das eine Katastrophe.

Und gleichzeitig ist es emotional belastend, nur aufgrund der Natur des eigenen Berufs und der Diskriminierung von Seiten meist amerikanisch-prüder Firmen von einer weltweit genutzten Plattform verdrängt zu werden.

Dabei müssen offenbar nicht nur jene Menschen aufpassen, die Social Media im Rahmen ihrer Arbeit als Sexworker nützen – sondern in jüngster Zeit offenbar auch Organisationen, die Sexworker unterstützen.

Ein kürzliches Beispiel ist die Löschung des Instagram-Accounts der Berliner Organisation TransSexWork, die sich für Straßen-Sexarbeiter*innen in Berlin einsetzt. Offenbar wurde die Löschung durch nichts weiteres als die (logische) Erwähnung von Sexarbeit (in dem Account einer Orga die sich für Sexarbeitende engagiert!) ausgelöst.

Twitter war bis vor kurzem einer der letzten Orte, wo man barrierefrei „Inhalte für Erwachsene“ posten konnte und wo viele Sexarbeitende für ihre Angebote werben und ihre Zielgruppen ansprechen konnten. Diese Ära der relativen Freiheit scheint seit Beginn des Jahres nun einem Ende zuzugehen.

In einem Interview mit dem RollingStone äußerten sich prominente Mitglieder der Sexworker-Szene in den USA, unter anderem die ebenfalls betroffene Domina Godess Aviva über die massenhaften Kontosperrungen und Löschungen seit Januar 2021. Neben Einzelpersonen traf es zum Entsetzen vieler Sexworker auch einige große Mitspieler auf Twitter, wie zum Beispiel den bereits über ein Jahrzehnt aktiven Account der Fetish Con und die Accounts der Sexdienstleistungs-Plattformen ModelCentro und Clips4Sale.

Es wurde spekuliert, dass die im Januar getätigte Anzeige gegen Twitter von Seiten des Nationalen Zentrums gegen sexuelle Ausbeutung (NCOSE), einer rechts gerichteten und religiösen Gruppierung, etwas mit den neuesten Entwicklungen zu tun haben könnte. Das NCOSE wirft Twitter vor, von einem Fall von Kinderpornographie profitiert zu haben und beruft sich in seiner Klage auf die von Sexworker-Organisationen bekämpfte SESTA/FOSTA-Verordnung. Kritiker*innen vermuten hinter der Klage jedoch eher den Wunsch des NCOSE, Sexarbeit und jegliches sexuelles Material generell aus dem Internet zu verbannen.

Eine Sprecherin von Twitter verneinte auf Nachfrage einen gezielten Angriff auf die Sexindustrie sowie einen Zusammenhang mit der Klage des NCOSE. Sie machte darauf aufmerksam, dass die Verordnungen rund um „sensible Inhalte“ nicht verändert wurden.

Dass die Löschungen sich nicht alleine auf Profile aus der Sexarbeits-Industrie beziehen, scheint eine inoffizielle Studie von Sexarbeiterin und Business Consultant Amberly Rothfield zu bestätigen. Sie vermutet, dass der Twitter-Crackdown auf die Einführung eines neuen Verifizierungsystems am 22. Januar und die damit verbundene konsequentere Durchsetzung der bereits existierenden Nutzungsbedingungen zurückzuführen ist. Laut ihrer Analyse scheinen ebensoviele Accounts ohne „Inhalte für Erwachsene“ und Streamer von YouTube den Sperrungen zum Opfer zu fallen.

Was nun? Erstens ist es vor allem für Sexworker dringend zu empfehlen, sich nochmal ganz genau die Regeln bei Twitter durchzulesen. Zu den wichtigsten Tipps um eine Sperrung oder Löschung des eigenen Profils zu vermeiden, gehört diese Auflistung von Amberly Rothfield:

  • Kennzeichne deine Inhalte als sensibel:
    Pornografie und andere Formen einvernehmlich produzierter, nicht jugendfreier Inhalte sind auf Twitter erlaubt, sofern diese Medien als sensibel gekennzeichnet sind. Markiere deine Tweets als „Material, das möglicherweise sensible Inhalte beinhaltet“. Auf Twitter gehst du hierzu auf „Einstellungen“ → „Datenschutz und Sicherheit“ → „Deine Tweets“ und aktivierst das angezeigte Kästchen. Dies hat zur Folge, dass Bilder und Videos du du twitterst für Nutzer, die keine sensiblen Inhalten sehen möchten, als sensibel markiert werden. Nutzer müssen erst aktiv eine Warnung bestätigen, wenn sie die Inhalte sehen wollen. Nutzer  müssen im Profil angeben „all adult content“, also „alle sensiblen Medien“ angezeigt bekommen zu wollen. Dies kann man bei „Einstellungen“ → „Datenschutz und Sicherheit“ → „Inhalte, die du siehst“ → „Medien anzeigen, die sensible Inhalte beinhalten können“ entsprechend markieren.
  • Keine expliziten Links (auch auf deine eigenen Profile) in deiner Twitter-Biographie:
    Wir haben keine Hinweise darauf gefunden, welche Regeln für den Biographie-Text gelten – wir empfehlen deshalb, auch hier mit Vorsicht vorzugehen und nichts sexuell explizites zu schreiben oder sexuell explizite URLs zu verlinken – das inkludiert den Link auf eure Studio-Homepage oder auf eure Profile auf DirtyHobby, KaufMich, etc. Amberly Rothfield empfiehlt, die Links zu euren Profilen und Kauf-Aufforderungen stattdessen in dem „angepinnten“ Kommentar zu platzieren. Wie das geht, steht zum Beispiel hier.
  • Mach dein Profilbild und Hintergrundbild jugendfrei:
    Hast du Punkt 1 erledigt, musst du dich „nur“ noch um jene Inhalte kümmern, die nicht als „sensibel“ markiert werden können und damit jeder Person, auch Minderjährigen, angezeigt werden können. Dabei handelt es sich um drei Dinge: euer Profilbild, euer Hintergrundbild und Live-Videos. Die Empfehlungen:
    1) Keinerlei Nacktheit in Profilbild oder Hintergrund – Amberly Rothfield empfiehlt sogar, hier nichts zu verwenden, was als „sexuell“/erotisch ausgelegt werden kann. Keine durchsichtige oder halbdurchsichtige Kleidung – sind die Nippel durchzusehen, lass es besser.
    2) Keine Logos oder URLs von Seiten mit Erwachsenen-Inhalten in Profilbild oder Hintergrundbild – auch wenn es sich dabei um deine eigene Seite handelt.
  • Sichere deine Inhalte:
    Bei einer plötzlichen Sperrung oder Löschung können nicht nur Follower, sondern auch nicht zusätzlich abgespeicherte Inhalte, die du extra für Social Media gemacht hast, von einem Tag auf den anderen weg/ für dich nicht mehr zugänglich sein. Leg dir ein Back-Up für deine  Inhalte an – da Dropbox und Google Drive leider ebenfalls keine Ssexworker-freundlichen Seiten sind, können wir hier derzeit eigentlich nur externe Festplatten zu empfehlen.

Da die Sperrungen sich nicht nur auf Erwachsenen-Inhalte beziehen, gibt Amberly Rothfield Sexworkern außerdem ein paar Tipps, die sich teilweise auch in den „Regeln und Best Practices für Account-Verhalten“ direkt bei Twitter nachlesen lassen.

  • Nütze keine Automatisierungs-Software:
    Roboter, die Texte für dich erstellen oder anderen Accounts für dich folgen sind ein No-Go. Schreib deine Tweets 1. selbst und 2. wiederhole dich nicht wortwörtlich und benütze kein volles Copy&Paste. Achtung: Das gilt nicht für die auf Twitter und mit anderen Apps mögliches „Voraus-Datieren“ deiner Inhalte – du kannst weiterhin Tweets fertig schreiben und diese an einem Tag und zu einer Uhrzeit deiner Wahl veröffentlichen lassen.
  • Nütze keinen zusätzlichen Account um Regeln zu brechen:
    Falls du einen zweiten „Backup-Account“ betreibt und dich mit einem der Accounts nicht an die Regeln hältst, kann dir das als Versuch, die Regeln umgehen zu wollen, ausgelegt werden. Natürlich trifft das nicht zu, falls es sich bei deinem zweiten Account einfach um ein Privat-Profil handelt oder dieses sonstige Inhalte beinhaltet, die sich von deinem anderen Profil unterscheiden – das du im übrigen auf keinen Fall jemals irgendwo als „Back-Up-Account“ bezeichnen solltest.
  • Re-Tweet Gruppen sind nicht gerne gesehen:
    Meide Gruppen, wo sich die Nutzer gegenseitig in Massen retweeten, das kann als Spam ausgelegt werden.
  • Versuche nicht billig mit Spam Aufmerksamkeit zu erzeugen:
    Folge nicht wahllos tausenden Accounts und nutze keine Hashtags, wenn sich der Inhalt deines Tweets gar nicht auf das Hashtag-Thema bezieht – solches Verhalten kann auch mit Sperrung bestraft werden.

Nochmal zusammenfassend: Sexworker scheinen nicht gezielt von Löschungen betroffen zu sein. Trotzdem ist das Thema insbesondere für Sexworker brisant, da diese auch stark von den derzeitigen Löschungen betroffen sind und zweitens über kurz oder lang bisher stets von öffentlichen Plattformen vertrieben wurden.


Quellen: Bei diesem Text handelt es sich in Teilen um eine Übersetzung bzw. Zusammenfassung des Artikels „Twitter Purge? Increased Enforcement? What is Going On!“ (26.01.21) sowie des Livestreams „Twitter Deletions – The Increase and How To Stay Safe“ (24.01.21) von Sexarbeiterin und Business Consultant Amberly Rothfield. Auf ihrem englischsprachigen Blog finden Sexworker wertvolle und kostenfreie Ressourcen rund um Marketing, PR, passives Einkommen, Kundenbindung und vieles mehr. In bezahlten Live-Schulungen und Einzel-Beratungen unterstützt die Texanerin andere Sexworker darin, überlegte Business-Entscheidungen in der Sexdienstleistungs-Branche zu treffen.