Verbote und Kriminalisierung im Kampf gegen Gewalt in der Prostitution: Ein Teufelskreis
Welche Auswirkungen haben Sexkaufverbote international auf die Leben von Sexarbeitenden? Warum beklagen Sexarbeitende seit Jahren, dass eine Kriminalisierung Gewalt gegen Prostituierte befeuert? Anlässlich des Internationalen Tag gegen Gewalt an Sexarbeiter*innen hat Sexworkerin Nadine – BesD-Beauftragte für Forschung & Internationales – einen persönlichen Blogbeitrag verfasst.
Jährlich lenkt der 17. Dezember weltweit die Aufmerksamkeit auf eine Personengruppe, die überdurchschnittlich oft mit Gewalt und Diskriminierung zu kämpfen hat: Sexarbeiter*innen. Der Internationale Tag gegen Gewalt an Sexarbeiter*innen wurde 2006 in den USA eingeführt. Anlass waren eine Reihe von Morden an Prostituierten in den 1980er Jahren.
In Mordfällen zählen Sexarbeitende, wie auch andere marginalisierte Gruppen, auch heute noch zu den „less dead“ – den gesellschaftlich als weniger wertvoll und weniger schutzwürdig wahrgenommenen Betroffenen.
Und sie sind auch heute noch überdurchschnittlich häufig verschiedensten Formen von Gewalt ausgesetzt. Viele in der Sexarbeit tätige Menschen leben am Rand der Gesellschaft. Die Kriminalisierung und Nicht-Anerkennung von Sexarbeit als legitime Arbeit sowie das Tabu, das der Tätigkeit generell anheftet, verstärkt das Stigma dem Sexarbeitende bereits ausgesetzt sind.
Sexarbeiter*innen mit Migrationshintergrund sind dem Risiko der Gewalt häufiger ausgesetzt. Wenn sie z.B. ohne dokumentierten Aufenthaltsstatus arbeiten oder mangelnde Landessprachkenntnisse haben, können sie gar nicht oder sehr schwer Rechte einfordern. Sie können schneller ausgenutzt werden, und nicht nur von Kund*innen und Dritten in der Sexarbeit, sondern auch von Behörden.
Solange Sexarbeit so hoch stigmatisiert ist, kann die Polizei Sexarbeiter*innen belästigen, missbrauchen, vergewaltigen und erpressen. Die Polizei gehört weltweit zu den Haupttätern von Gewalt gegen Sexarbeitende, wie Studien zu Sexarbeit belegen (-> Karibik und Lateinamerika; -> Afrika; -> Osteuropa und zentralasiatischer Raum).
In den meisten EU-Ländern wird die Einwanderung und die Sicherung eines Aufenthaltsstatus in einem Zielland barrierereich und streng kontrolliert. So ist es für aus anderen Ländern kommenden Sexarbeiter*innen oft unvermeidlich, auf die Dienste von Vermittlern zurückzugreifen, die die Migration und die Arbeitssuche erleichtern können. Diese Abhängigkeit von Dritten ist einer der Faktoren für eine höhere Anfälligkeit betreffend Ausbeutung und Gewalt. Zum Weiterlesen: Undeserving victims? A Community Report on Migrant Sex Worker Victims of Crime in Europe / Zusammenfassung deutsch
Sexarbeitsgegner*innen behaupten, gegen Gewalt an Frauen zu kämpfen, indem sie Sexarbeit/Prostitution verbieten wollen. Aber wir Sexarbeiter*innen wissen genau, dass die Gewalt, der wir ausgesetzt sind, gerade durch die Kriminalisierung unserer Arbeit verstärkt würde.
Deshalb finden wir es absurd, wenn Sexarbeitsgegner*innen für kriminalisierende Gesetze für unser Gewerbe und letztendlich für das komplette Verbot der Sexarbeit plädieren, mit der Behauptung, die Sexarbeit an sich wäre ein gefährliches Gewerbe.
Ein Verbot der Sexarbeit oder jegliche Art der Kriminalisierung unseres Gewerbes würde die Gewaltrate explosiv in die Höhe schießen. Da muss man nicht weit über die Landesgrenzen schauen, um Beispiele dieses Szenarios feststellen zu können:
Seit der Einführung des Nordischen Modells in der Republik Irland im Jahr 2017 ist die Gewalt gegen Sexarbeiter*innen um 92 % gestiegen.
Die Ergebnisse einer Studie über die Auswirkungen der Kriminalisierung haben gezeigt, dass in Frankreich Sexarbeiter*innen mit Migrationshintergrund im Vergleich zu ihren Kolleg*innen mit französischer Staatsbürgerschaft, häufiger Ziel von Raubüberfällen und Diebstählen sind. Sexarbeiter*innen in den USA sind weiterhin von den Auswirkungen von FOSTA/SESTA betroffen, einem Werbeverbot für Sexarbeit.
Auch in anderen Ländern wurden Websites von der Polizei geschlossen. Das Verbot der Online-Arbeitsbereiche von Sexarbeiter*innen hat ähnliche negative Auswirkungen auf die Sicherheit, die Gesundheit und die Menschenrechte von Sexarbeiter*innen wie die Verbote der in-persona Arbeitsbereiche.
Der Verkauf von sexuellen Dienstleistungen an sich ist kein gefährlicher Akt. Doch solange Sexarbeit in fast allen Ländern der Welt in irgendeiner Form kriminalisiert wird, werden Sexarbeiter*innen weiterhin Gewalt und Stigmatisierung erfahren.
Die vielfach verbreitete Vorstellung, Prostitution finde überwiegend unter Zwang und Ausbeutung statt, macht es Sexarbeiter*innen besonders schwer, über alltägliche Gewalterfahrungen zu sprechen, die zu oft als selbstverständlicher Teil unserer Tätigkeit abgewiesen werden.
Was die Sexarbeit gefährlich machen kann, ist das Risiko der Verurteilung, die man in Kauf nehmen muss, wenn man sich outet oder als Sexarbeiter*in geoutet wird. Gewalt nimmt verschiedene Formen an – verbale Gewalt ist die unsichtbare Form der Gewalt, der wir Sexarbeiter*innen am häufigsten ausgesetzt werden. Gewalt erleben wir in der Häufigkeit nicht durch die Ausübung unserer Arbeit, sondern am meisten durch die Gesellschaft, die uns stigmatisiert.
Stigmatisierung führt zu Diskriminierung. Es entsteht ein Wertesystem in den Köpfen der Menschen. So werden Sexarbeitende in ihrer Wertigkeit als Mensch oder als Frau herabgestuft. Aus diesem Grund wird ihnen auch nicht so leicht Hilfe gegeben. Selbst bei der Polizei werden sie oft nicht Ernst genommen. Ächtung und Diskriminierung sind keine geringere Form von Gewalt als die physische Form. Für Sexarbeitende kann es schwierig sein eine Vergewaltigung anzuzeigen.
Es handelt sich dabei auch um ein Absprechen von Seriosität, Glaubwürdigkeit, Handlungsfähigkeit und Autonomie.
Wie eine Sexarbeiterin in den USA erklärte: „Das Stigma tut weh, nicht der Sex. Der Sex ist der einfache Teil. Was mich bricht, ist mit dem Hass konfrontiert zu werden.“
Gerade erst sind sie die hohen Zahlen an häuslicher Gewalt bekanntgewordenen. Natürlich sind auch Sexarbeitende betroffen. Hier lässt es sich oft nicht eindeutig unterscheiden ob es die Gewalt innerhalb oder außerhalb der Sexarbeit stattgefunden hat.
Wenn Menschen häusliche Gewalt erleben, werden bessere Maßnahmen für Opferschutz vorgeschlagen und gesellschaftliche Ursachen wie kulturell akzeptierte Normen, Verhaltensweisen und negative Stereotypen angegangen. Es wird nicht behauptet, dass das Zusammenkommen von Menschen in der Ehe, als Familie oder als Mitbewohner*innen an sich eine Basis zum Gewaltakt wäre. Bei der Vorstellung des Zusammenkommens im Rahmen der Sexarbeit gibt es leider immer noch solche Behauptungen.
Es wird normalerweise nicht diskutiert, ob gewisse institutionelle Kontexte der häuslichen Gewalt – wie z.B. die Ehe zwischen Mann und Frau – etwa verboten werden sollten. Warum wird Gewalt immer wieder als Begründung für die komplette Abschaffung der Sexarbeit herangezogen?
Weil im Denkmuster von Sexarbeitsgegner*innen Sexarbeit keine Arbeit ist, sondern grundsätzlich eine Form von Gewalt. Und genau da liegt das Problem. Solange diese Einstellung besteht, werden Sexarbeiter*innen in Ländern, in denen die Sexarbeit am strengsten kriminalisiert und aberkannt wird, weiterhin mit einem erhöhten Risiko für Gewalterfahrungen in ihrem Alltag umgehen müssen. Solange Sexarbeiter*innen nur als (kriminalisierte) Opfer von Gewalt wahrgenommen werden, können sie nicht die Menschenrechte einfordern, die sie bei der Verbesserung ihrer Umstände unterstützen und somit erlauben würden, präventiv gegen Gewalt vorgehen zu können.
Das Problem ist nicht die Erbringung von sexuellen Dienstleistungen gegen Entgelt. Es ist nicht die Kund*innen, die zu uns kommen oder die Betreiber*innen, die unsere Arbeitsplätze organisieren. Das Problem ist die Aberkennung unserer Arbeit als solche und die politischen Versuche, uns durch die Hintertür (durch das Nordische Modell) zu verbieten.
Je mehr unsere Arbeit unterdrückt wird, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir ins Dunkelfeld rücken und dort Gewalt ausgesetzt werden, die wir wiederum auf Grund der Kriminalisierung nicht anzeigen können. Es ist wichtig, dass Verbote und Kriminalisierungsvorschläge nicht als Lösungen gegen Gewalt in unserer Branche verfochten werden! Solche Ansätze würden letztendlich nur einen Teufelskreis von Unterdrückung – Gewalt – Schweigen in der Sexarbeit verewigen.
Als Fazit schließe ich mich Luca Stevenson vom European Sex Workers‘ Rights Alliance (ESWA) und Sandra B. vom Schweizer Sex Workers Collective an: