Freierbestrafung? Madame Kalis Blick auf das Gespenst der besorgten Bürger
Persönlicher Beitrag von Sexarbeiterin und Expertin für Geschichte der Prostitution, Madame Kali:
Freierbestrafung? Das schwedische oder nordische Modell – besser bekannt unter dem Stichwort Sexkaufverbot
Ein Gespenst geht um bei besorgten Bürgern, besorgt auch weil es sich um Sexualität handelt die sie selber in solchen oder ähnlichen Formen für sich nicht mal ansatzweise vorstellen können. Besorgt auch weil man glaubt endlich des Pudels Kern für alle geschlechtliche Ungleichheit und somit auch die Verantwortlichen dafür endlich entdeckt zu haben.
Na, da kann man ja endlich zur Tat schreiten und eingreifen und dem Garaus ein Ende bereiten!
Mit einem voyeuristischen Blick, in seinen Ausführungen einem pornographischen Drei-Groschen-Schundroman in nichts nachstehend, werden Szenarien heraufbeschworen, die einem Angst und Bange machen und ihre Entsprechung in der Realität muss man so erst mal finden.
Ich will hier nichts beschönigen.
Was man in manchen Freier Foren zu lesen bekommt verdirbt einem oft genug den Appetit. Würden mich ebenso viele Kunden wie Spinner, Fakes und Idioten kontaktieren wäre ich wahrscheinlich längst reich. Aber dies ist ja nicht ein auf die Prostitution beschränktes Phänomen. Wer jemanden aus dem Einzelhandel, Postzusteller oder andere Jobs in denen man mit Menschen zu tun hat in seinem Freundeskreis hat frage sie/ihn mal nach dummen Kundenanfragen, merkwürdigem Verhalten o.ä. Die Geschichten sind wahlweise zum brüllen komisch oder zum weglaufen und fremd schämen.
Warum sollte dies nun in unserer Branche der Sexarbeit anders sein?
Irgendwas lässt Prostitutionsgegner aber laut nach Rache und Vergeltung schreien, denn das müssen ja alles perverse Schweine sein, anders lässt es sich ja scheinbar nicht erklären, daß es in der Sexarbeit eben auch unschöne Bedingungen gibt. Ginge es ihnen um die Beseitigung irgendwelcher Missstände würden sie hinsehen und Betroffenen zuhören, um zu verstehen worum es geht, wo es Missstände gibt und wie man sie beseitigen kann.
Aber nein, es ist ja Sex und somit wahlweise jungfräulich heilig oder satanisch böse. Da es offensichtlich nicht jungfräulich rein ist muss das Gegenteil angenommen werden, und die einzige Lösung besteht darin alles, was damit zu tun hat, zu verdammen.
Alles, bis auf die heilige Hure, die fortan dann aber keine mehr sein kann denn sie soll ja jetzt gerettet werden, geradezu geläutert, und muss diese „schlimmen, perversen Sachen“ ja nicht mehr machen (wir reden immer noch von Sex!)
Doch nein, sagen sie, den Prostituierten geht es dabei nicht an den Kragen, denn es ist ja bloß eine Freierbestrafung.
Und der geneigte Leser vom Niveau der Zeitung mit den vier Buchstaben fühlt sich im Recht, die Geschichte hat für ihn einen logischen und akzeptablen Ausgang genommen.
Der Misstand wurde angeprangert, verfolgt, gerichtlich belangt und das „arme Opfer „Prostituierte“ ist ja straffrei.
Also alles in Butter?
Weit gefehlt, denn was bei diesem Schlagzeilen Jargon unter den Tisch fällt sind die wahren Repressalien mit denen Prostituierte nun zu tun haben.
Denn wer denkt daß man sein Geld legal verdienen kann wenn die Verdienstmöglichkeiten illegalisiert worden sind (nämlich die potentiellen Kunden) hat einfach mal nicht zu Ende gedacht.
Nun ist diese Freierbestrafung, auch bekannt unter dem Namen schwedisches oder nordisches Modell keine Neuerung, sondern in Schweden seit 20 Jahren Gesetz. Sexarbeiter*innen in diesen Ländern berichten zunehmend von Übergriffigkeit (auch sexuelle!) und Gewalterfahrungen durch Polizeibeamte. Gerade bei Sexarbeiter*innen mit Migrationshintergrund, basierend auf ihrer Rasse / ethnischen Zugehörigkeit und Geschlecht erhöhen sich solche Vorfälle.
Menschenrechte werden gnadenlos ausgehebelt, so reicht alleine der Verdacht auf Prostitution aus um polizeilich in Privatwohnungen einzudringen.
Durch das Hintertürchen des Begriffes „Zuhälterei“ wird nun alles, was in irgendeinem Bezug zu den Sexarbeiter*innen steht illegalisiert und unter Strafe gestellt.
Da ist z.B. der Aspekt daß keine Dritten finanziell von dem Lohn von Sexarbeiter profitieren dürfen. Wenn ich also meine (potentielle) erwachsene Tochter mit einer Finanzspritze für das Studium unterstütze, kann sie der Zuhälterei belangt werden. Ich beauftrage jemanden für die Erstellung meiner Website und bezahle ihn/sie dafür – Zuhälterei.
Ich gönne mir bei einem anspruchsvollem Auftrag einen Chauffeur und ggfs noch einen Personenschutz – Zuhälterei. Prostituierte die sich gegenseitig helfen und unterstützen – Zuhälterei und zwar beide gegeneinader.
Das führte sogar soweit daß Sexarbeiter*innen ihre privaten Wohnungen verloren haben obwohl sie nie in diesen gearbeitet haben.
Die sogenannte Freierbestrafung ist also letztendlich nichts weiter als ein Prostitutionsverbot. Wer meint so irgendwen schützen zu können irrt sich gewaltig!
42% der Sexarbeiter*innen berichten von mehr Gewalterfahrungen seit der Einführung dieses Gesetzes,
70% von keiner Verbesserung bzw. sogar Verschlechterung der Verhältnisse der Polizei,
63% von einer Verschlechterung ihrer Arbeitsverhältnisse, von den allgemeinen Umsatzeinbußen mal ganz zu schweigen!
(Quelle: Studie Medecine du Monde, s.u. in der Link Liste)
Zu keiner Zeit und in keinem Land hat ein Verbot der Prostitution dazu geführt daß es sie nicht mehr gab. Lediglich die Arbeitsbedingungen für die Prostituierten haben sich verschlechtert. Und ging es nicht eingangs darum etwas FÜR eben diese zu tun?
Mittlerweile gibt es eine Reihe von unabhängigen(!) und wissenschaftlichen Untersuchungen zu dem Thema, ich habe hier mal eine Liste mit entsprechenden Links angehängt für diejenigen die sich gerne ein eigenes Bild machen wollen.
Des weiteren haben sich auch die WHO, UNAIDS, UNFPA und Human Rights Watch, Organisationen gegen Menschenhandel, zahlreiche Frauenrechtler*innen, Jurist*innen, Forscher*innen und Sexworker-Vereinigungen eindringlich gegen das System der Freierbestrafung positioniert.
LINKLISTE
zum Thema nordisches Modell, Sexkaufverbot:
Januar 2021: Die NRW-Koalition spricht sich gegen die Kriminalisierung von käuflichen sexuellen Dienstleistungen aus. Statt Verbote zu fordern, die lediglich einen Signalwert haben, in ihrer Effektivität aber zweifelhaft sind, müssen die Rechte von Prostituierten gestärkt und Maßnahmen entwickelt werden, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern.
Drucksache 17/10851 – https://www.landtag.nrw.de/home/parlament-wahlen/tagesordnungen/WP17/1600/E17-1632.html
Die Wissenschaftlerin Dr. Jenny Künkel hat in ihrem aktuellen Blogbeitrag (Juni 2021) gerade verschiedene Studien, die die Kontraproduktivität des “nordischen Modells” (was ja gar kein Modell ist) ganz klar aufzeigen zusammengeführt und vorgestellt incl direkter Links zu den wissenschaftlichen Abeiten:
https://sexcrimecity.wordpress.com/2021/06/02/nordisches-modell-verscharft-die-situation-margin alisierter/
Ihr 2019 erschienenes Werk “Sexarbeit. Feministische Perspektiven” ist auch sehr lesenswert.
https://www.fembooks.de/Jenny-Kuenkel-Kathrin-Schrader-Sexarbeit-Feministische-Perspektiven
Und hier geht es zu der Studie über die Auswirkungen des Schwedischen Modells in Frankreich.
Es geht um einen Vergleich zwischen der Evaluation des Modells von der französischen Regierung und der Evaluation von Sexarbeitsorganisationen und ihren Verbündeten mit der wichtigen Beobachtung, dass estere hauptsächlich die Umsetzung des Modells begutachtet während letztere die konkreten Auswirkungen des Modells auf das Leben von Sexarbeitenden beleuchtet…
https://strass-syndicat.org/wp-content/uploads/2021/03/Synthese_rapports_evaluation_loi_prostit ution_2016.pdf
Das Institut für Menschenrechte:
https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/publikationen/detail/prostitution-und-sexkaufverbot
Die SPD Schleswig Holstein bezieht auch ganz klar Stellung:
https://www.spd-schleswig-holstein.de/2019/11/08/wir-lehnen-das-nordische-modell-ab/
Die Linke hat auch ganz klare Vorstellungen:
https://www.linksfraktion.de/themen/a-z/detailansicht/prostitution/
Die Diakonie Deitschland hat ein Positionspapier herausgegeben in Zusammenarbeit mit:
Deutsche Aidshilfe e.V. – Deutscher Frauenrat e.V. – Deutscher Juristinnenbund e.V.- Diakonie Deutschland – Evangelisches Werk für Diakonie und Entwicklung e.V. -Dortmunder Mitternachtsmission e.V. – Beratungsstelle fr Prostituierte, Ehemalige und Opfer von Menschenhandel – contra e.V. Kiel – Fachstelle gegen Frauenhandel in Schleswig-Holstein
https://www.diakonie.de/pressemeldungen/die-fachwelt-warnt-vor-einem-sexkaufverbot/
Amnesty International Studie
Menschenhandel heute:
https://menschenhandelheute.net/2014/07/01/prostitution-und-menschenhandel-1-die-wahrheit-ub er-das-nordische-und-schwedische-modell/amp/
Bundesweiter Koordinierungskreis gegen Menschenhandel:
https://www.kok-gegen-menschenhandel.de/weitere-themen/prostitution/
Das HIV Magazin der deutshen AIDS Hilfe:
Fachtagung im Herbst 2019
https://www.kaufmich.com/magazin/fachtag-ueber-sexarbeit-sexkaufverbot-und-menschenhandel-i n-berlin/
Ärzte gegen Illegalisierung
https://dstig.de/aktuellespressekalender/142-pm-zur-prostitutionsdebatte.html
Studie von Medecine du Monde, Ärzte aus Frankreich
https://www.medecinsdumonde.org/en/actualites/publications/2018/04/12/study-impact-law-13-apr il-2016-against-prostitution-system-france
20 Jahre schwedisches Modell, Bericht des Sexarbeiter*innen Kongress 2019
http://www.sexworkeurope.org/news/news-region/sex-workers-protest-stockholm-and-launch-repo rt-20-years-swedish-model-first
Schwedisches Modell, eine Betroffene erzählt
Die ARTE Dokumentation über Schweden “Wo Sexarbeiter keine Rechte haben”
Hier die kritische Auseinandersetzung mit der umstrittenen und veralteten Farley Studie, die von Sexarbeitsgegner:innen so gerne ins Feld geführt wird:
https://www.donacarmen.de/melissa-farley-eine-hochstaplerin-zu-gast-auf-mainzer-abolitionisten-t reffen/
Die Kollegin Eva Hanson hat einen tollen Artikel dazu verfasst:
https://evahanson.de/2020/06/05/kein-sexkaufverbot-in-deutschland-warum-prostitutions-gesetze- uns-alle-angehen-teil-1-von-4/
Und eine ganze Website zu dem Thema von einer anderen tollen Kollegin:
https://nonordicmodel.com/
Und last, but not least ein recht wütender, aber sehr ehrlicher Artikel der auch die „Besorgnis“ so manchen Bürgers mal klar unter die Lupe nimmt: