Entmenschlicht? Als Sexarbeiter*in bei einer Lesung von Huschke Mau
Am Vorabend des feministischen Kampftages veranstalteten Sisters e.V. und das Haus am Dom Frankfurt eine Lesung mit Diskussion zu Huschke Maus Buch “Entmenschlicht”. BesD-Mitglied Jay war im Publikum und schildert in diesem Mitglieder-Blog ihre Erfahrungen.
Ich bin masochistischer als gedacht. Ansonsten würde ich mir als Escort, die ihren Beruf als Berufung und Heilarbeit ansieht, keinen Abend mit Huschke Mau in einem Raum geben, oder?
Wer sie nicht kennt: Huschke Mau ist Autorin, Wissenschaftler und ehemalige Prostituierte. Sie ist entschieden keine Sexarbeiterin – für sie ist Prostitution Gewalt. Wie sie ihre Zeit in der Prostitution erlebt hat und wie es dazu kam, schildert sie in ihrem Buch “Entmenschlicht”, aus dem sie am 07.03.24 im Haus am Dom in Frankfurt las.
Im Anschluss kam der Verein Sisters e.V. zu Wort, der Sexkauf verbieten und Frauen vor Prostitution “schützen” möchte. Danach Fragen aus dem Publikum.
Warum tue ich mir das an? Was wollte ich bewirken?
Nach außen hin: Nichts. Denn mir ging es in erster Linie darum, zuzuhören und zu lernen.
Ich kannte Huschke Mau bisher nur aus Talkshows (wie der schiffsbruchartigen 13-Fragen-Folge, in der sie das Studio verließ) und kannte Sisters e.V. nur aus BesD-internen Gesprächen als ganz extreme Sexarbeitsgegner*innen.
Ich wollte live sehen, wie sich diese Personen geben, wie sie argumentieren und auch wie das Publikum bei einer solchen Veranstaltung reagiert. Meine Erfahrungen – und auch Erkenntnisse – schildere ich hier.
Grundannahmen von Huschke Mau
Huschke Mau wuchs in einer Familie auf, in der körperliche Gewalt an der Tagesordnung war. Sie rannte von zu Hause weg, kam in einer Mädchenunterkunft unter und drohte dann, mit 18 obdachlos zu werden, da sie keinerlei Einkommen hatte, aber die Unterkunft verlassen musste. Ihre Geschichte zeugt von grobem Versagen seitens des Jugendamts und enthüllt einige Probleme des Sozialsystems in Deutschland.
In der Unterkunft hatte sie Kontakt zu einer jungen Frau (einem “Mädchen”), die Sex für Geld anbot. Für Huschke erschien das als einziger Weg, ihren Lebensunterhalt zu sichern.
“Was wäre denn ein anderer Weg gewesen?” fragte ein Herr im Publikum später.
“Ich wäre obdachlos geworden und verhungert”, war Huschke Maus Antwort.
Sie brauchte Miete, bis sie ihr Studium anfing und sie Bafög bekam. Und dann eben Geld für Bücher und ähnliches. Ich frage mich, was denn mit anderen klassischen Studi-Jobs war – an der Kasse arbeiten, wie es meine Geschwister getan haben? Oder in der Gastronomie, wie ich zu Beginn des Studiums? Wieso aber Prostitution?
Für Huschke Mau gab es nichts anderes. Und das ist ihre Erfahrung, die ich ihr auch nicht abstreiten möchte.
Prostitution = Gewalt
Jedenfalls hatte sie keine Freude an diesem Beruf und würde es nie Arbeit nennen. “Prostitution rekrutiert sich aus Gewalt, ist Gewalt und führt zu Gewalt”, so in etwas beschreibt sie es.
Denn für Huschke Mau ist klar: Die meisten Frauen mit Prostitutionshintergrund haben in der Kindheit Gewalt in irgendeiner Form erlebt (angeblich 83% laut einer Studie, die sie nicht näher benennt aber wohl Sybille Zumbeck stammt).
Und ganz wichtig: Wenn Geld gezahlt wird, kann es keinen Konsens geben.
Ein Kunde kann nach einer Begegnung mit einer Prostituierten nie wissen, ob es Vergewaltigung war oder nicht. Denn aus Huschke Maus Sicht negiert Bezahlung Konsens.
Auch Selbstbestimmung ist versteckter Zwang
Was aber ist mit “selbstbestimmten Sexarbeiterinnen”? Für Huschke Mau macht es keinen Unterschied, wie “freiwillig” jemand in der Sexarbeit tätig ist. Auch, wenn es nur ökonomischer Zwang ist – also die Notwendigkeit, Geld zu verdienen – bleibt Sexarbeit gewalttätig.
Frauenbild
Zudem verändert die Tatsache, dass Sexkauf in Deutschland legal ist, das Frauenbild in den Köpfen der Männer. Ihr Beispiel: Wenn ein Mann zweimal im Monat ins Bordell geht und devote Asiatinnen besucht, wie wird er dann eine asiatisch aussehende Frau in der U-Bahn betrachten? Ebenso wohl wie eine Prostituierte.
An diesem Punkt beobachtete ich zahlreiches Nicken um mich herum im Publikum.
Auch die Annahme, dass die Existenz von legaler Prostitution die Frau per se sexuell unterordnet, stieß auf viel Zuspruch im Saal.
Was ist dann mit Dominas? fragte ich mich.
Rassismus in der Prostitution
Nicht alles, was Huschke Mau in Bezug auf andere Personen außer sich selbst sagt, stieß bei mir auf Abwehr. Die Prävalenz von Rassismus, der sich in Exotisierung und Fetischisierung von Sexarbeitenden ausdrückt, ist ein berechtigter Punkt.
Armuts- und Elendsprostitution ist ein Thema, das Huschke Mau aufgreift, das ich in einem separaten Blog beleuchten möchte.
Und allen voran einen Punkt: Personen – Frauen – die nicht oder nicht mehr in der Prostitution arbeiten wollen, muss geholfen werden.
Darin sind wir uns doch alle einig, oder?
Konsens im grundlegendsten Punkt
Was mir dieser Abend vor allem gezeigt hat, ist eines: Die Kluft zwischen uns (Menschen wie BesD-Mitgliedern, reflektierten Kund*innen und Allies) und “den anderen”, also Menschen wie Huschke Mau, Sisters e.V. und anderen Sexkaufgegener*innen, ist nicht so groß wie sie scheint.
Wir sind uns alle einig, dass Menschen, die nicht in der Sexbranche tätig sein wollen, Unterstützung bekommen sollen, um Alternativen zu finden. Sei es, weil sie durch Ausbeutung, Zwang, Menschenhandel oder über einen Loverboy hineingeraten sind, oder weil sie sich verändert haben und feststellen, dass der Beruf nichts mehr für sie ist oder doch nicht das ist, was sie sich vorgestellt haben.
Dafür gibt es Beratungsstellen, aufsuchende Sozial- und Polizeiarbeit und weitere Ressourcen.
Diese leisten unglaublich gute Arbeit, sind aber chronisch unterfinanziert.
So schlimm ich die Einstellung des Modellprojekts in Wiesbaden finde, das sich zum Ziel gesetzt hat, Frauen aus der Prostitutiton zu befreien – weil es annimmt, dass alle raus zu wollen haben müssen und es keine freiwillige Sexarbeit gibt – so gut finde ich es doch, dass sie es schaffen, Personen zu helfen, alternative Wege für ihren Lebensunterhalt zu finden.
Es war auch eine Frau vom Modellprojekt in Wiesbaden anwesend. Sie brach fast in Tränen aus, als sie von einer Frau erzählte, der die Ärztin des Projektes sagte, sie müsse unbedingt eine Pause machen, die aber meinte , “Ich kann nicht, ich brauche das Geld.”
Die Frau vom Modellprojekt appellierte, dass wir nicht auf irgendeine Evaluation warten sollen, sondern JETZT handeln müssen.
… wobei ich mich frage: Was hindert uns? Die Möglichkeiten sind gegeben.
Das Modellprojekt funktioniert im gleichen Rahmen der aktuellen Gesetze, die
- Menschen wie mir ermöglichen, in der Sexarbeit eine Leidenschaft und Berufung zu finden,
- Menschen wie Carina ermöglichen, eben gutes Geld zu verdienen mit einer Arbeit, die für sie akzeptabel ist,
- Menschen aus prekären Verhältnissen ermöglichen, in kurzer Zeit viel Geld zu verdienen, auch wenn sie sich an sich Schöneres vorstellen könnten, aber sich dennoch dafür entscheiden, weil sie z.B. Familie haben oder ein reines wirtschaftliches Kalkül an den Tag legen.
Warum kann nicht beides koexistieren?
Ich sehe eine Welt, in der das geht. In der wir entkriminalisierten Sexkauf haben und Sexarbeitende wie Kundschaft sich frei und legal treffen… und in der Beratungsstellen und aufsuchende Sozialarbeit die Ressourcen haben, die sie brauchen, um möglichst viele Menschen zu erreichen, die Hilfe möchten.
Wird diese Welt eintreten?
Ich bin zwar Optimist, aber in der Hinsicht reicht mein sonniges Gemüt nicht. Dennoch lohnt es sich, dafür zu kämpfen, dass wir dem Ziel so nahe wie möglich kommen.
Ich beende den Abend der Lesung bestärkt.
Jay Stark ist Escort und Bizarrlady aus dem Raum Frankfurt, Berlin und der Oberpfalz.
Im BesD setzt sie sich für bessere Arbeitsbedingungen und Entstigmatisierung ein und betreut die Social Media Präsenz des Verbandes.
Mehr zu Jay: