Mehr Akzeptanz dank höherem Stundenlohn? Unfair! – Mein Redebeitrag im Bundestag über meine Anfänge in der Sexarbeit
Persönlicher Blogbeitrag von BesD-Pressesprecher Kolja Nolte, auch bekannt als „der dominus“. Der Text wurde zuerst hier auf seiner Homepage veröffentlicht.
Am 23.4. hat die Queer AG der SPD-Fraktion im Bundestag eine Veranstaltung zum Thema Sexarbeit ausgerichtet: Ich wurde eingeladen um meine Sicht der Dinge als Sexarbeiter beizusteuern.
Ebenfalls zu Gast waren Johanna Weber (politische Sprecherin des BesD e.V.), Sofia Tomova vom Bündnis der Fachberatungsstellen, Caspar Tate von Trans Sexworks sowie die queer-feministische Sexarbeiterin Kristina Marlen.
Die Veranstaltung fand im Bundestag im Paul-Löbe-Haus statt, Schirmherr war der queerpolitische Sprecher Falko Drossmann MdB. Die meisten Fraktionsmitglieder der SPD waren per Video zugeschaltet.
Das Thema Sexarbeit gewinnt in der SPD-Fraktion immer mehr an Bedeutung – die Architekt*innen des Prostitutionsgesetzes (aus 2001) sind oftmals heute politisch nicht mehr aktiv, so dass der angestrebte Befreiungsgedanke von damals heute leider oft den rein emotional aufgeladene Debatten der Sexkaufgegner*innen weichen muss.
Wenn Sexarbeiter eingeladen werden, dann generell nicht als Forscher*innen oder Beratungsspezialist*innen, sondern um die Sichtweise Betroffener aufzuzeigen.
Ich habe mich entschlossen, über meine Anfänge in der Sexarbeit zu sprechen.
Mein bürgerlicher Name ist Kolja Nolte, ich bin 47 Jahre und in der Sexarbeitszene kennt man mich unter dem Pseudonym „der dominus“.
Ich bin seit 11 Jahren in der Sexarbeit, seit 8 Jahren hauptberuflich und habe alle Stationen sowie Preisklassen durch.
Also erzähle ich heute von meine Anfängen, dass ich ebenfalls „ein Kind vom Bahnhof Zoo“ war. Ok, ich war mit 35 kein Kind mehr, aber ich war damals sehr sportlich und noch ein bisschen angesagt, so dass ich Oralverkehr an mir für 20€, mit entsprechenden Resultaten für 30€ verkaufen konnte.
Es ist nicht so, dass ich gar kein Geld hatte, aber wenig. Ich kannte den sexuellen Tauschhandel bereits aus meinem eigenen privaten Leben, aber habe ihn auch schon immer in meiner Umwelt gesehen.
Der Job hat in der Regel wie auf dem Strich üblich 5-7 Minuten gedauert, aber die Wartezeit auf den nächsten Kunden hat dann leider immer so viel Zeit in Anspruch genommen, dass man manchmal bis spät Abends in diesem Pornokino hing.
Sexualität ist nicht immer mit Liebe oder körperlicher Anziehung konnotiert…
Menschen haben Sex, weil „es mal wieder an der Zeit wäre“. Wenn man im deutschen Schlafzimmer hört: „Es ist mal wieder Sonntag, Schatz“, dann wird ein darauffolgender Akt sicher nicht wegen der enormen körperlichen Anziehungskraft vollzogen.
Wenn wir Glück haben aus Liebe, aber eventuell auch nur aus Gewohnheit. Oder um das „Schiffchen nicht zum Wanken zu bringen“ und damit ist es ein Tauschhandel. Wenn wir uns Beziehungen anschauen, wo der „sexy Faktor“ extrem differiert und der weniger sexy Partner viel Geld hat, dann ist das ein Tauschhandel – hier heißt es Sex gegen Sicherheit.
Aber wer sind wir darüber zu urteilen, ob das in Ordnung ist?
Eventuell ist es genau das, was die beiden Menschen gerade von einander brauchen, beziehungsweise was sie sich geben wollen. Ich kenne es auch aus meinem eigenen Leben – ich war nicht in Stimmung, ich hab den anderen lieb und hatte trotzdem Sex.
Ich wollte auch experimentieren, etwas über mich selbst erfahren (das waren auch Menschen, die ich nicht anziehend fand, die mir aber die Erfahrung anbieten konnten). Es war ein Tauschhandel. Deswegen lag der Schritt „Sex für Geld“ nahe.
Ich habe meinen Eltern bis heute nichts von meiner Zeit als Stricher erzählt. Warum nicht? Ich konnte mir schon denken, dass ich überhaupt nur dann Akzeptanz erfahren werde, wenn ich ein ordentliches Gehalt hinlege.
Denn sie kannten ja die Geschichten um Christiane F. und hätten mich dann schlimmstenfalls im Drogensumpf vermutet, mindestens aber „todunglücklich“, weil sowas kann man ja nicht freiwillig machen. Doch, das konnte ich und ich war nicht unglücklich.
Ich habe es ihnen erst erzählt, als ich am Monatsende richtig viel Geld auf dem Konto vorweisen konnte. Das konnten sie dann einigermaßen akzeptieren. Darüber sprechen sollte ich aber nicht.
Insbesondere heute erfahre ich völligen Applaus, wenn die Leute sehen, dass ich manchmal sogar attraktiven Menschen den Po versohle und so viel Geld dafür bekomme. Man sagt mir dann: „Dafür würde ich das auch machen“. Hat etwa jeder irgendwo seinen Preis? (Kleiner Filmtipp am Rande: „Ein unmoralisches Angebot“ aus 1993, wo Robert Redford Demi Moore fragt, ob er sie für 1.000000 eine Nacht lang fein knattern darf und er durfte.)
Und was sagt uns das?
Mit steigendem Honorar steigt die Akzeptanz der Sexarbeit… ABER DAS IST NICHT FAIR!
Ich kann euch eins sagen, ich bin heute in dem luxuriösen Dominastudio der gleiche Mensch, der vor elf Jahren im Pornokino sich hat für 20 € blasen lassen.
Heute verdiene ich sicher mehr Geld und stehe auf tollen, italienischen Designerfliesen, aber meine Arbeit ist die gleiche:
- Ich schaue, dass der Andere bekommt, was er braucht
- Ich ignoriere für diese Zeit Dinge die mir nicht passen
- Das fällt mir leichter als Büro
Sexarbeit ist eben nicht immer mega ertragreich. Und Sexarbeit ist nicht immer ästhetisch oder sexuell stimuliered, das muss sie auch nicht, denn sie ist ARBEIT. Akzeptiert MEINE ARBEIT, ganz gleich welches Honorar ich bekomme…
Ich bin froh, wie offen hier heute über das Thema Sexarbeit gesprochen wurde. Und ich bin der Ansicht, dass sich die SPD-Fraktion nicht von den populistischen Gedanken der Sexkaufgegner verleiten lassen wird.
Ich hatte den Eindruck, dass dort Menschen sitzen, die die Dinge differenziert betrachten, Lebensrealitäten verstehen wollen und sich nicht scheuen, zwar komplexe aber realistische Lösungskonzepte zu erarbeiten
Liebe SPD-Fraktion, folgt dem Urteil der Jusos (S.39), bleibt bei eurem Parteibeschluss zum Thema Sexarbeit aus 2020 und lest euch die aktuelle Stellungnahme der SPD Queer AG durch. Versucht nicht, die Probleme in der Sexarbeit durch Illegalisierung zu lösen – das bringt nichts.