Schwebender Geldschein zwischen zwei Händen

Gründe gegen das nordische Modell/Sexkaufverbot und sinnvolle Handlungsansätze zur Regelung von Sexarbeit

Der BesD e.V. ist der größte Verband für Sexarbeitende in Europa und setzt sich für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und die Beseitigung von Missständen in der Sexarbeit ein.


Wir halten die Bezeichnung „Sexkaufverbot“ für treffender als den Begriff „Nordisches Modell“. Wir lehnen dieses einseitige Verbot, bei dem die Prostitutionskundschaft sich strafbar macht, ab.
Unter einem Sexkaufverbot sind alle Prostitutionsstätten verboten, und jegliche Unterstützung für Sexarbeitende gilt als Zuhälterei und steht unter Strafe.

Beispiele dafür, was mit „Unterstützung“ gemeint ist:

  • Kolleg*innen, mit denen wir uns aus Sicherheitsgründen ein Arbeits-Apartment teilen
  • Covering – Person, die uns covert, die z.B. auf eine Benachrichtigung von uns nach dem Termin wartet und notfalls die Polizei alarmiert.
  • Portale, auf denen wir für sexuelle Dienstleistungen werben können
  • Taxifahrer*in, die uns ins Hotel chauffiert
  • Die Vermieter*in, die uns unsere Wohnung zum Wohnen vermietet

Das Sexkaufverbot bietet eine vermeintlich einfache Lösung für ein komplexes Problem.

Durch die Bestrafung der Sexarbeitskundschaft soll sich die Nachfrage reduzieren. Somit soll sich das Anbieten von erotischen Dienstleistungen nicht mehr lohnen und Zuhälter und Menschenhändler ziehen sich vermeintlich zurück.

Für die Sexarbeitenden soll es „Ausstiegshilfen“ geben. Dafür gibt jedoch weder Konzepte noch spricht jemand davon, woher die Millionen oder sogar Milliarden für die Finanzierung kommen sollen. Ausserdem wird davon ausgegangen das alle in der Sexarbeit tätigen Menschen aussteigen oder umsteigen wollen.

Sowohl in Frankreich als auch in Irland haben kaum Sexarbeitende an den auch dort unterfinanzierten Ausstiegs-Projekten teilgenommen. Sie sind stattdessen in der Sexarbeit verblieben – unter erschwerten Bedingungen. ( Quelle 1 ist noch in Arbeit)

Bei genauerer Betrachtung geht es dabei nicht um das Wohl der in der Prostitution Tätigen, sondern das eigentliche Ziel ist die Abschaffung der Prostitution. Ein Trugschluss, der nur die sichtbare Prostitution verschwinden läßt.

Statt Verbote zu fordern, die lediglich einen Signalwert haben, in ihrer Effektivität aber zweifelhaft sind, müssen die Rechte von Prostituierten gestärkt und Maßnahmen entwickelt werden, um die Arbeitsbedignungen zu verbessern.

Ein Sexkaufverbot zwingt alle in den Schattenbereich. Die verbleibende Kundschaft möchte nicht erwischt werden, und so müssen Sexarbeitende verborgene Treffpunkte anbieten, die oft unsicher und schwer zu erreichen sind.

Trennung zwischen Menschenhandel und Prostitution

Wir wünschen uns mehr Sachlickeit in der Debatte und eine klare Trennung zwischen Straftatbeständen und rechtlich anerkannter Tätigkeit. Uns ist klar, dass es viele Überschneidungen gibt. Doch sehen wir bei vielen Fällen von Abhängigkeiten und Ausbeutung schwer nachzuweisende Straftatbestände. Häufig handelt es sich um disfunktionale Beziehungsstrukturen mit oft mangelnden Opferbewußtsein der Geschädigten.

Hier unsere Erklärung zu dem Thema -> www.berufsverband-sexarbeit.de/abgrenzung-menschenhandel-und-sexarbeit/

Vorschlag des BesD

Wir wollen die Ergebnisse der Evaluation des ProstSchG abwarten (Sommer 2025). Es handelt sich dabei um die größte und umfassendste wissenschaftiche Untersuchung zu diesem Thema, die es bisher in Europa gegeben hat.

Anschließend schlagen wir vor, eine außerparlamentarische Expert*innenkommission ins Leben zu rufen, die besetzt ist mit Fachleuten aller Bereiche, die mit Prostitution zu tun haben.

Als Arbeitsgrundlage könnte die kürzlich erschienene, sehr fundierte Studie der Deutschen Aidshilfe dienen:
„Was brauchen Sexarbeiter*innen für ihre Gesundheit? – Eine qualitativ-partizipative Studie zu den gesundheitlichen Bedarfen von Sexarbeiter*innen in Deutschland“ Quelle 2)


1. Verbote von Sexarbeit und die Auswirkungen

Die Coronazeit hat sehr deutlich gezeigt, wie sich Verbote auswirken.

Viele Sexarbeitende haben keine staatliche Unterstützung für den Verdienstausfall erhalten und mußten illegal weiter tätig sein. Da die Prostitutionsstätten geschlossen waren, mußten sie die Kundschaft Zuhause aufsuchen, Hotelzimmer anmieten oder sich an unsicheren Orten verabreden.
Was waren die Folgen?
– Massiver Preisverfall
– Anfragen nach ungeschütztem Verkehr nahmen zu
– Gewalt nahm zu

Quelle: Untersuchung des Kriminologischen Instituts Niedersachsen – Auswirkungen der Corona-Pandemie im Bereich der Prostitution   -> Quelle 3)

Ähnliches hat sich in Irland auch nach der Einführung des nordischen Modells ereignet.

Zitat aus dem Report von Amnesty International zu den Auswirkungen des nordisches Modells in Irland:

„Alles deutet darauf hin, dass die geltende Rechtslage die Situation von Sexarbeitenden in Irland entschieden verschlechtert hat. Die Mehrheit der interviewten Sexarbeitenden (überwiegend cis-Frauen) berichtet über Gewalterfahrungen im Zusammenhang mit Kunden, die von Stalking und Diebstahl bis zu Vergewaltigungen reichen.“ -> Quelle 4

Unsere Forderungen dazu:

  • Weniger Verbote und Pflichten, sondern mehr Rechte
  • Schrittweise Abschaffung der Sperrbezirksverordnungen
  • Abschaffung des hochstigmatisierenden Hurenausweises
  • Arbeitsvisa für Sexarbeitende aus Drittstaaten
  • Krankenversicherung für Sexarbeitenden durch die Künstlersozialkasse und bundesweite Ausweitung und Optimierung des Clearing-Stellen-Konzeptes
  • Aufnahme von Sexarbeit ins AGG
  • Deutschland soll sich gemeinsam mit Belgien auf europäischer Ebene für Legalisierung von Sexarbeit einsetzen

2. Verbot von Prostitutionsstätten

Im nordischen Modell werden Prostitutionsstätten pauschal als Hort der Ausbeutung angesehen. Sie dienen der Förderung der Prostitution, was laut nordischem Modell verboten ist.
Es ist in dem allgemeinem Diskurs oft nicht klar, dass mit dem Sexkaufverbot ein Verbot von Prostitutionsstätten einhergeht.
Ein Bordell, Laufhaus, Terminwohnung, Saunaclub, Dominastudio, Tantra-Massage-Salon oder ähnliche Orte ist für viele Sexarbeitende ein guter und sicherer Arbeitsplatz, auf den wir nicht verzichten wollen.

Sexarbeitende müssen unter dem Sexkaufverbot immer auf der Hut sein, denn die Kundschaft hat Angst entdeckt zu werden. Und so müssen Sexarbeitende versteckte Orte anbieten, damit die sich strafbar machende Kundschaft überhaupt noch Termine macht.

Unsere Forderungen dazu:

Statt einer Abschaffung der Prostitutionsstätten, wünschen wir uns verbesserte Arbeitsbedingungen in den Sexarbeitsstätten.
Konkret geht es uns um eine Überarbeitung der gewerberechtlichen Regelungen laut ProstSchG:

  • Mehr Transparenz bei den Mietpreisen
  • Abschaffung des Übernachtungsverbotes
  • Branchenangepaßte Notrufysteme
  • Baurechtlich vereinfachte Zulassungen auch für kleine Wohnungsbordelle von eigenständigen Sexarbeitenden
  • Schrittweise Abschaffung der Sperrbezirksverordnungen
  • Regelmäßige berufsbezogenen Fortbildungen in den Prostitutionsstätten oder in regionaler Nähe

3. Ausstiegs-/Umstiegsprogramme von der Sexarbeit in andere Tätigkeiten

Auch wir halten dies für sehr sinnvoll. Doch muss dies freiwillig erfolgen.

In Frankreich hat eine Evaluation des dortigen nordischen Modells ergeben, dass nur sehr wenige an den Ausstiegsprojekten teilgenommen haben und die Zahl der Sexarbeitenden fast gleich geblieben ist. Ihre Lage habe sich eher verschlechtert. So sei das Sexgeschäft verdeckter und härter geworden; die Frauen, nicht die Freier, litten als ersten darunter. -> Quelle 5)

Ergebnis eines früheren Modellprojektes des Familienministeriums zu dem Thema Umstieg war, dass 9 von 10 am Projekt Teilgenommenen die Sexarbeit eigenständig beenden.  „Geschätzt wird, dass jede zehnte Sexarbeiter*in im Rahmen eines Ausstiegs auf Beratung und Unterstützung angewiesen ist.“ -> Quelle 6)

Aktuell läuft gerade ein breit aufgestelltens Modellprojekt vom Familienministerium dazu, welches verschiedene Ansätze zur Umstiegsunterstützung oder-begleitung in unterschiedlichen Regionen Deutschlands erprobt. -> Quelle 7)

Unsere Forderungen dazu:
  • Eine deutschlandweit niedrigschwellige Versorgung und langfristige finanzielle Absicherung von Umstiegsprojekten für Sexarbeitende. Diese Projekte müssen auch Anlaufstellen sein für migrantische Sexarbeitende ohne Aufenthalts- oder Arbeitsgenehmigung.
    Konzeptentwicklung für spezielle Beschäftigungsmaßnahmen mit der Agentur für Arbeit.
  • Für Sexarbeitende ohne Umstiegswunsch sollten Professionalisierungsmaßnahmen in Form von Fortbildungen oder berufsbegleitender Schulungen/Ausbildungen eingerichtet werden.
  • Die Beratungsstellen sollen Einstiegsberatungen anbieten dürfen. Eine fundierte freiwillige Einstiegsberatung gibt gutes Rüstzeug gegen Ausbeutung und hält oft sogar vom Beginn in der Prostitution ab. Diese sollten nicht nur durch erfahrene Sozialarbeitende, sondern auch durch aktive und ehemalige Sexarbeitende im Sinne einer Peer-to-Peer-Beratung durchgeführt werden.

4. Zuhälterei und organisierte Kriminalität

In Deutschland ist die dirigistische Zuhälterei verboten. Das bedeutet es muss dabei Zwang ausgeübt werden. In der aktuellen Debatte um Prostitution wird jedoch oft pauschal von Bordellbetreibern, Laufhausbesitzer usw. als Zuhälter gesprochen.
Hier bedarf es mehr Sachlichkeit, denn die Prostitutionsstätten sind für viele Sexarbeitende gute und sichere Arbeitsplätze. Gerade für Migrant*innen, die noch nicht so gut Deutsch sprechen, ist es einfacher in einer bekannten Prostitutionsstätte zu arbeiten als selbstorganisiert Hausbesuche mit der Kundschaft abzusprechen. Oft wird in den Prostitutionsstätten trotz der vermeintlich hohen Mietpreise deutlich mehr verdient als selbstorganisiert.
Gute Betreibende sind uns herzlich willkommen, denn sie kümmern sich um unsere Arbeitsplätze.

Dirigistische Zuhälterei ist schon ein Straftatbestand, und das ist gut so.

Organisierte Kriminalität spielt laut BKA-Angaben im Bereich der Prostitution eher eine Nebenrolle. Die Zahlen finden sich im Lagebild des BKA für organisierte Kriminalität und sind rückläufig. Quelle 8)

Unsere Forderungen dazu:

  • Zusammenarbeit und Austausch mit der Polizei um ein vertrauensvolles Miteinander für beide Seiten zu erwirken, z.B. bei gemeinsamen Workshops, wie sie von der Friedrich Eberst Stiftung in NRW angeboten wurden -> Quelle 9)
  • Umgang mit Sexarbeiten und ihre Bedarfe als Teil der Ausbildung im Polizeidienst
  • Kontaktbereichsbeamte (in Berlin Präventionsbeamte), die im „Kiez“ Ansprechperson sind und auch vor Ort anzutreffen sind

5. „Freier“ als Täter und migrantische Sexarbeitende als Opfer

Die Verfechter des sog. nordisches Modell projizieren klassisch patriarchale Strukturen in ihr Bild der Prostitution. Der Mann als Täter, die Frau als Opfer. Das Opfer wird in der Regel als jung, migrantisch und hilflos eingestuft.

Wir fordern eine Versachlichung des Diskurses.

In Fachdiskussionen wird der Standpunkt vertreten, die betreffenden Frauen nicht als passive Wesen oder als Opfer zu begreifen.

Mehr dazu in einem sehr guten Text der Bundeszentrale für politische Bildung -> Quelle 10)

Unsere Forderungen dazu:
  • Bleiberecht für die Betroffenen von Menschenhandel und/oder Zwangsprostitution
  • Abkopplung aufenthaltsrechtlicher Regelungen von einer Mitwirkung im Strafverfahren
  • Anerkennung und Anwendung der Opferrechte – übernommen vom kok, Bundesweiter Koordinierungskreis gegen Menschenhandel e.V. -> Quelle 11)
    – Recht auf Bedenk- und Stabilisierungszeit
    – Recht auf Unterstützung
    – Recht auf Sicherung des Lebensunterhaltes
    – Recht auf Aufenthalt- Rechte im Strafverfahren
    – Recht auf Absehen von Strafe für Betroffene von Menschenhandel/ Non-Punishment
    – Recht auf Entschädigung

6. Geschlechterfrage

In der Sexarbeit sind Menschen aller Geschlechter tätig, wenn auch der größte Teil der Anbietenden weiblich und der größte Teil der Kundschaft männlich ist. Aber gerade die Bedarfe der männlichen und trans Sexarbeitenden sind oft komplett anders als die der weiblichen Kolleginnen.
Die Lebends- und Arbeitssituationen dieser Menschen sind oft wesentlich schlechter als die vieler weiblicher Kolleginnen.

Sie dürfen in diesem Diskurs nicht vergessen werden!

Unsere Forderungen dazu:
  • Einbeziehung aller Geschlechter in den Diskurs um Sexarbeit/Prostitution (Gleichstellung)
  • Deutschlandweite Beratungsstellen auch für männliche und für trans Sexarbeitende
  • Deutschlandweite Beratungsstellen auch für männliche und für trans Sexarbeitende

 


QUELLEN

1) Kurzzusammenfassung folgender Untersuchung ist in Arbeit ->
„Vergleichende Zusammenfassung der Evaluierungsberichte des französischen Prostitutionsgesetzes von 2016 Théo Gaudy, Hélène Le Bail“ -> https://sciencespo.hal.science/hal-03054400/document

2) „Was brauchen Sexarbeiter*innen für ihre Gesundheit? – Eine qualitativ-partizipative Studie zu den gesundheitlichen Bedarfen von Sexarbeiter*innen in Deutschland“  -> https://www.aidshilfe.de/medien/md/was-brauchen-sexarbeiterinnen-fuer-ihre-gesundheit/

3) Untersuchung KFN „Nordisches Modell auch in der Mitte Europas? – Auswirkungen der Corona-Pandemie im Bereich der Prostitution“ -> https://kfn.de/forschungsprojekte/nordisches-modell-auch-in-der-mitte-europas-auswirkungen-der-corona-pandemie-im-bereich-der-prostitution/

4) Report von Amnesty International zu den Auswirkungen des nordisches Modells in Irland Zusammenfassung auf Deutsch -> https://www.berufsverband-sexarbeit.de/index.php/2023/09/05/report-nordisches-modell-irland-2022/

5) Recherche der Fankfurter Rundschau am 12.11.2023 – „Strafen für Freier drängen Sexarbeiterinnen in Frankreich in die Isolierung und Illegalität.“ -> https://www.fr.de/politik/verdeckter-haerter-92669606.html

6) Abschlussbericht der wissenschaftlichen Begleitung zum Bundesmodellprojekt Unterstützung des Ausstiegs aus der Prostitution Seite 173 unten -> https://www.bmfsfj.de/resource/blob/95446/b1f0b6af91ed2ddf0545d1cf0e68bd5e/unterstuetzung-des-ausstiegs-aus-der-prostitution-langfassung-data.pdf

7) Modellprojekte zum Umstieg aus der Prostitution -> https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/gleichstellung/frauen-vor-gewalt-schuetzen/prostituiertenschutzgesetz/modellprojekte-zum-umstieg-aus-der-prostitution-186936

8) Bundeslangebild des BKA zum organisierter Kriminalität in 2022 -> file:///Users/user/Downloads/organisierteKriminalitaetBundeslagebild2022.pdf

9) Fortbildung der Friedich Ebert Stifung „Blaulicht trifft auf Rotlicht IV – Die neuen strafrechtlichen Regelungen zur Prostitution“ Zielgruppe Polizei, LKA, Sexarbeitende, Betreibende -> https://www.fes.de/kommunalakademie/artikelseite-kommunalakademie/blaulicht-trifft-auf-rotlicht-iv-die-neuen-strafrechtlichen-regelungen-zur-prostitution

10) Bundeszentrale für politische Bildung – Hintergründe des Menschenhandels in die Prostitution mit Frauen aus Osteuropa -> https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/27894/hintergruende-des-menschenhandels-in-die-prostitution-mit-frauen-aus-osteuropa/

11) kok, Bundesweiter Koordinierungskreis gegen Menschenhandel e.V. – Opferrechte der Betroffenen in Deutschland -> https://www.kok-gegen-menschenhandel.de/menschenhandel/was-ist-menschenhandel/opferrechte