Studie zu Sexarbeit in Deutschland: Große Mehrheit lehnt Nordisches Modell ab!

Welches Modell der Prostitutionsregulierung präferiert  die Bevölkerung in Deutschland?

Um diese Frage zu beantworten, führten Forscher*innen Nicola Döring und M. Rohangis Mohseni von der Uni Ilmenau eine bundesweite Online-Befragung durch – nun wurde die spannende Studie veröffentlicht.

Ergebnis: Über 80% der Befragten lehnen ein Sexkaufverbot/ Das Nordische Modell ab.

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Zusammenfassung von „Welches Modell der Prostitutionsregulierung präferiert  die Bevölkerung in Deutschland? Ergebnisse einer bundesweiten Online-Befragung“

Status Quo

  • Metaanalysen zeigen: Bessere Arbeits- und Lebensbedingungen für Sexarbeitende unter Legalisierungsmodell sowie Dekriminalisierungsmodell (bzgl. Schutz vor Gewalt, Zugang zu Gesundheitsversorgung, Entstigmatisierung, gesellschaftlicher Teilhabe, Bekämpfung von Menschenhandel)
  • International ist in den letzten Jahrzehnten die  Akzeptanz für Prostitution gestiegen, aber geltende Rechtslagen haben normierenden Effekt: In Ländern mit Legalisierungsmodell ist die Zustimmung zu Legalisierung in der Bevölkerung höher, in Ländern mit Kriminalisierungsmodell die Zustimmung zu Kriminalisierung höher
  • Die Aussagekraft einzelner wissenschaftlicher Studien kann durch methodische Mängel (u. a. unklare Definition von Menschenhandel, verzerrte Stichproben) eingeschränkt sein (Gefälschte Zitate – Analyse der Sexarbeits-Studie von Farley)
  • Empirischer Forschungsstand wird oft unzureichend berücksichtigt, rechtliche Regulierung von Prostitution bleibt Gegenstand kontroverser politischer Debatten. Internationales Beispiel: Europäisches Parlament sprach sich 2023 in einer Entschließung mehrheitlich für das abolitionistische Modell aus, der Europarat sprach sich 2024 ist für die vollständige Dekriminalisierung von Sexarbeit aus. Deutsches Beispiel: Aktuelles Positionspapier der CDU/CSU-Fraktion (Positionierung zu Sexkaufverbots-Antrag im Bundestag).

Methode

  • Gegenstand der Onlinebefragung: Welche Zustimmungsquoten haben die 4 verschiedenen Gesetzesregulierungen in der deutschen Bevölkerung (bisher unbekannt)?
  • Onlinebefragung im Zeitraum von : 21.11.2023 – 04.12.2023
  • Stichprobe: 3032 Erwachsene, die bzgl. der Variablen Geschlecht, Alter, Beziehungsstatus, Bildungsgrad und Bundesland der Zusammensetzung der Online-Population Deutschlands entsprechen

Limitationen

  • Es handelt sich um eine Quotenstichprobe der volljährigen Online-Bevölkerung, kann keine Repräsentativität für die erwachsene Wohnbevölkerung Deutschlands beanspruchen
  • hinter Zustimmung zum Legalisierungsmodell können sehr unterschiedliche Vorstellungen stecken, welche konkreten gesetzlichen Regulierungen (z. B. Registrierungspflicht, Sperrgebiete usw.) von Sexarbeit als sinnvoll erachtet werden => hierzu wären detailliertere Befragungen notwendig

Prostitutionsregulierende Modelle

Dekriminalisierung (Beispiel: Neuseeland)
Laut dieser Definition ist einvernehmliche Prostitution eine legitime wirtschaftliche Tätigkeit. Sie soll ohne Sonderregeln genau wie jede andere Erwerbstätigkeit ausgeübt werden können, um eine Diskriminierung von Sexarbeitenden zu vermeiden. Einvernehmliche Prostitution und Gewalt/ Menschenhandel werden voneinander abgegrenzt. Gewalt/Zwang /Menschenhandel sollen generell strafbar sein.

Legalisierung (Beispiel: Deutschland)
Laut dieser Position ist einvernehmliche Prostitution akzeptabel. Sie soll aber zum Schutz der Prostituierten und der Gesellschaft nur unter Einhaltung gesonderter Regeln und Kontrollen legal sein. Einvernehmliche Prostitution und Gewalt/Menschenhandel werden voneinander abgegrenzt. Gewalt/Zwang/ Menschenhandel sollen generell strafbar sein.

Abolitionismus (Beispiel: Schweden)
Laut dieser Position ist Prostitution als Ausdruck männlicher Gewalt gegen Frauen anzusehen. Männliche Freier sollen dementsprechend bestraft werden. Weibliche Prostituierte aber nicht, ihnen soll der Ausstieg aus der Prostitution nahegebracht werden. Prostitution und Gewalt/Zwang/Menschenhandel werden nicht voneinander abgegrenzt.

Prohibitionismus (Beispiel: USA)
Laut dieser Position ist Prostitution als gesellschaftliches und moralisches Problem anzusehen. Das Anbieten und das Nutzen sexueller Dienstleistungen sollen grundsätzlich verboten sein. Prostitution und Gewalt/Zwang/ Menschenhandel werden nicht voneinander abgegrenzt.

Ergebnisse

  • große Mehrheit (82,5 %) der Befragten lehnt Kriminalisierung von Sexarbeit ab
  • kleine, aber signifikante Einstellungsunterschiede in Abhängigkeit von Geschlecht und Parteienpräferenz
  • Die Ergebnisse stimmen überein mit bisherigen nationalen und internationalen Erhebungen, die eine mehrheitliche Zustimmung zum Legalisierungsmodell und nur eine Minderheit für die Freierbestrafung ergaben


a) Zustimmung zu Regulierungsmodellen gesamt:

  • Abolitionismus: 8,3 %
  • Prohibitionismus: 8,9 %
  • Legalisierung: 51,9 %
  • Dekriminalisierung: 30,9 %

b) Zustimmung zu Regulierungsmodellen nach Geschlecht:

  • mehr Frauen (11,9 %) als Männer (4,7 %) für Abolitionismus
  • mehr Männer (33,2 %) als Frauen (28,6 %) für Dekriminalisierung
  • bei Legalisierung und Prohibition keine signifikanten Unterschiede

c) Zustimmung zu Regulierungsmodellen nach Parteinähe:

  • größte Zustimmung zu  Legalisierung bei CDU/CSU-Wähler*innen:
    57,9 % vs. 51,9 % in der Gesamtstichprobe
  • größte Zustimmung zu Abolitionismus bei Grünen-Wähler*innen:
    13,7 % vs. 8,9 % in der Gesamtstichprobe
  • größte Zerrissenheit bei Die Linke-Wähler*innen:
    stärkere Zustimmung zu Prohibition (13,0 % vs. 8,9 % in der GSP) und stärkere Zustimmung zu Entkriminalisierung (39,8 % vs. 30,9 % in GSP)

Empfehlungen

  • Politische Entscheidungen bzgl. der Prostitutionsregulierung sind seit Mitte des 19. Jahrhunderts bis heute eher von Veränderungen in der Regierungsverantwortung bzw. dem politischen Prostitutionsbild geprägt, weniger durch empirische Evidenz. Prostitutionsregulierung sollte wissenschaftliche Evidenz, Stimmen von Sexarbeitenden und öffentliches Meinungsbild verstärkt einbeziehen.
  • Da die Mehrheit der Befragten keine realen Erfahrungen mit Sexkauf oder -verkauf hat, ist davon auszugehen, dass die Meinungsbildung stark von medialen Darstellungen von Prostitution und Prostitutionsregulierung beeinflusst wird, dies könnte z. B. durch Medieninhaltsanalysen herausgearbeitet werden.
  • Medienqualitätsanalysen könnten – anhand journalistischer Qualitätskriterien – die Berichterstattung zu Prostitution und Prostitutionsregulierung evaluieren; das nur von einer Minderheit der Bevölkerung bevorzugte Modell des Abolitionismus wird z. B. in den Medien überproportional häufig und positiv dargestellt.