Ampel-Aus und Aus für die Sexarbeit? Kommt das nordische Modell?

Kommentar von Johanna Weber, politischer Sprecherin des BesD

Neuwahlen stehen vor der Tür. Rund um die Sexarbeitsbranche macht sich die Angst breit, dass mit einer CDU-Mehrheit auch das nordische Modell in den zukünftigen Bundestag einzieht. Die Union verwendet das Wort „Sexkaufverbot“ und hat dies in ihrem Grundsatzprogramm verankert 1). Übrigens ist sie die einzige Partei, die dies tut.

Die Frauen-Union 2) und allen voran CSU-Frau Bär 3) bringen das Thema unermüdlich in die Politik und die Medien. Es entsteht der Eindruck, dass Frau Bärs erste Amtshandlung im neuen Bundestag die Einführung des Sexkaufverbotes sein wird. Und dann geht alles schnell.

Nein, so einfach ist es glücklicherweise nicht!

Als politische Sprecherin des Berufsverbandes für Sexarbeitende (BesD) gehört es auch zu meinen Aufgaben, politische Zusammenhänge zu erklären.

Zunächst muss man wissen, dass die Fertigstellung eines komplett neuen Gesetzes oft Jahre dauert.

Selbst wenn sich schnell eine Mehrheit für das CDU-Unterfangen finden würde, muss das noch durch diverse Ausschusssitzungen und Anhörungen. Dann muss sehr wahrscheinlich der Bundesrat zustimmen. Das sind also die Bundesländer, die vielleicht keine Lust haben, die angedachten „Ausstiegsprojekte“ für Hunderttausende von Sexarbeitenden zu bezahlen, während die erquicklichen Steuereinnahmen aus der Prostitution gleichzeitig wegfallen. Aber freuen wir uns nicht zu früh, denn die Bundesländer stimmen sehr oft zu – egal, wie schlecht das Gesetz ist.

Nun zurück zum zukünftigen Bundestag.

Wenn wir davon ausgehen, dass die CDU/CSU die Mehrheit der Stimmen erhält, heißt das noch lange nicht, dass sie alles bestimmen können. Sie benötigen Koalitionspartner, um eine Mehrheit der Stimmen im Bundestag zu erhalten. Die SPD ist schon gesetzt. Aber werden diese beiden Parteien zusammen genug Stimmanteile haben?

Werden sie noch einen dritten Partner brauchen?

Wer könnte das sein?

Egal, wer es sein wird, wie stehen denn die anderen Parteien zum Thema nordisches Modell?

Reihenfolge ist alphabetisch:

  • AfD: Dagegen
  • BSW: Noch keine Position
  • FDP: Dagegen
  • Grüne: Dagegen
  • Linke: Dagegen

Das Zünglein an der Waage ist die SPD.

Es gibt im Moment keine offizielle Position der SPD zum Thema nordisches Modell. Da sich die Genoss*innen nicht einig werden können, steht und fällt das mit den SPD-Personen, die im nächsten Bundestag sitzen werden. Die aktuell Zuständigen für unser Thema, die sich auch klar gegen das nordische Modell aussprechen, kommen vielleicht nicht wieder in den Bundestag. Ich bedauere das sehr. Somit ist es komplett ungewiss, bei wem unser Themenbereich landet.

Da die SPD sich jedoch nicht einig ist, hoffe ich, dass sie sich in den Koalitionsverhandlungen nicht unter Druck setzen lassen und uns Sexarbeitende im Stich lassen. Ich hoffe, dass sie die Bestrafung der Freier ablehnen und auf andere Lösungsansätze setzen: mehr Geld für Umstiegsprojekte und Beratungsstellen, Abwarten der Evaluation und dann mal sehen…

Sexarbeit wird nur eines der Randthemen im Bereich Frauen und Gleichstellung sein. Und genau deshalb hoffe ich, dass die SPD das nicht verpasst. Ich bin aber guter Dinge.

„Ja, aber was ist, wenn CSU-Frau Bär Familienministerin wird?“

Diese Frage höre ich oft. Der Gedanke dahinter ist, dass eine Frau Bär als Familienministerin vermeintlich schalten und walten kann in ihrem Ressort. Und zack, schon ist das Sexkaufverbot da. Nein, glücklicherweise geht das so nicht. Ja, es stimmt, wenn ein Ministerium CDU-geführt ist, setzen sich dort eher CDU-Tendenzen durch. Allerdings können auch Minister*innen nicht einfach durchmarschieren mit ihren Wunschgesetzen.

Außerdem sehe ich Frau Bär noch lange nicht im Familienministerium sitzen. Das ist kein Ministerium, das die CDU interessiert. Es würde mich sehr wundern, wenn die Union sich dafür meldet. Die SPD hingegen möchte unbedingt das Familienministerium haben, denn dort gibt es noch einige Herzensprojekte, die sie zu Ende bringen oder anfangen wollen.

Und welchen Einfluss hat die Evaluation des ProstSchG? 4)

Das Prostituiertenschutzgesetz wird schon seit dem 1. Juli 2022 ausgewertet. Die Ergebnisse werden bis zum 1. Juli 2025 dem Deutschen Bundestag vorgelegt. Es handelt sich um die größte jemals stattgefundene wissenschaftliche Untersuchung zum Thema Sexarbeit in Europa. Jedoch geht es dabei „nur“ um die Untersuchung des Gesetzes und die Folgen. Doch das bildet eigentlich die komplette Branche ab. Genau deshalb sind die Ergebnisse sehr wichtig, um gute Regelungen und Gesetze zu beschließen. Die CDU wird die Ergebnisse anzweifeln und ignorieren. Ich vermute, dass dies nicht vollständig gelingen wird.

Und was sagen die Wähler*innen zum Thema Prostitution?
Frage: Welches Modell der Prostitutionsregulierung bevorzugt die Bevölkerung in Deutschland? 5)

Hierzu führten die Forschenden Döring und Mohseni von der Uni Ilmenau eine bundesweite Online-Befragung durch.
Ergebnis: Über 80% der Befragten lehnen ein Sexkaufverbot/nordisches Modell ab.

Die Mehrheit wünscht sich das sogenannte „Legalisierungsmodell“, welches aktuell auch in Deutschland gilt. Dabei gilt Prostitution als akzeptabel. Sie soll aber zum Schutz der Prostituierten und der Gesellschaft nur unter Einhaltung gesonderter Regeln und Kontrollen legal sein. Prostitution wird abgegrenzt von Ausbeutung, Zwang, Gewalt und Menschenhandel, die generell strafbar sind.

Mein Fazit:
Das nordische Modell ist noch lange nicht vom Tisch, aber wir haben gute Chancen, dass es nicht umgesetzt wird. Deshalb müssen wir uns als Sexarbeitsbranche aktiv engagieren. Wir brauchen dazu einen starken Berufsverband 6), der Lobbyarbeit leistet, und ich ermutige alle Sexarbeitenden, Mitglied zu werden. Denn umso mehr Mitglieder wir sind, umso ernster werden wir genommen. Und alle anderen bitte ich um finanzielle Unterstützung für unsere Arbeit.

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Quellen:

zu 1) Grundsatzprogramm der CDU Deutschlands, 2024
Seite 20 -> „Sexuelle Ausbeutung, Menschenhandel und Prostitution sind mit der Würde von Menschen nicht vereinbar. Deshalb unterstützen wir ein Sexkaufverbot und Hilfen beim Ausstieg aus der Prostitution.“

zu 2) Frauenunion zum Thema
-> https://www.frauenunion.de/artikel/sexkaufverbot

zu 3) Informationen zur Frau Bär (CSU) und Prostitution
-> https://www.zdf.de/nachrichten/politik/deutschland/csu-baer-sexkauf-verbot-100.html

zu 4) Evaluation des ProstSchG
a) Familienministerium dazu -> https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/aktuelles/alle-meldungen/evaluation-des-prostituiertenschutzgesetzes-beginnt-199312
b) Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) dazu -> https://kfn.de/forschungsprojekte/evaluation-des-prostituiertenschutzgesetzes-prostschg/?fbclid=IwAR1z6yLYfHDoGQ07GNgHdLPk7JBeeKhANcHYieVTNYOCm80loJW1TxjYrIc

zu 5) Umfrage: Welche Prostitutionsregulierung bevorzugt die Bevölkerung in Deutschland?
-> https://www.berufsverband-sexarbeit.de/index.php/2024/09/27/umfrage-zu-sexarbeit-in-deutschland-grosse-mehrheit-lehnt-kriminalisierung-ab/

zu 6) Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen
Mitglied werden -> https://www.berufsverband-sexarbeit.de/index.php/verband/besd-mitglied-werden/
Spenden -> https://www.berufsverband-sexarbeit.de/index.php/besd-unterstuetzen/