Menschenhandel und Sexarbeit

EINFACHE SPRACHE

Prostitution und Menschenhandel werden von vielen Menschen verwechselt. Auch in der Politik. Manche denken auch, das ist das Gleiche (1). Unterscheidung ist aber wichtig. Denn die Verwechslung hat einen schlechten Einfluss darauf, wie wir behandelt werden. Deswegen wollen wir jetzt aufklären:

Im Palermo Protokoll steht was Menschenhandel ist: Wenn Menschen ausgebeutet werden. Wenn Menschen bedroht werden. Wenn Menschen Gewalt angetan wird. Wenn Menschen unter Druck gesetzt werden. Das wurde im Jahr 2000 aufgeschrieben. Und im Jahr 2003 unterschrieben (2).

Menschenhandel ist ein Verbrechen. Es muss nicht um Sex gehen. Auch Zwangsarbeit ist Menschenhandel (2). Menschenhandel wird manchmal auch Frauenhandel genannt. Weil viele Opfer Frauen sind (1).

Wenn Menschen aus anderen Ländern in Deutschland Sex verkaufen, wird das auch oft verwechselt. Dann denken viele, dass das auch Menschenhandel oder Frauenhandel ist. Das stimmt aber nicht. Viele wollen in Deutschland arbeiten. Hier gibt es mehr Geld. Das Geld können Migrantinnen auch zu ihren Familien schicken (3;4). Migrantinnen sind Menschen, die nicht aus Deutschland kommen. Sie leben oder arbeiten aber hier.

Menschen die Sex verkaufen können aber trotzdem ausgebeutet werden. Das passiert oft wenn Menschen in Deutschland nicht arbeiten oder leben dürfen (5). Das Problem ist aber nicht Sex Verkaufen. Sondern wenn Menschen ausgebeutet werden.

Wenn Menschen das verwechseln, dann ist das schlecht. Weil viele dann denken, dass wir Sex nicht freiwillig verkaufen. Sie denken dann, dass wir Opfer sind. Und dass man uns helfen muss. Aber das stimmt nicht und das finden wir nicht gut.

Die Wissenschaftlerin Emilija Mitrovic sagt, dass Menschenhandel ein Verbrechen ist. Da-gegen müssen wir kämpfen. Aber Sexarbeit ist Arbeit (6). Und dafür wollen wir Respekt!


Da im gesellschaftlichen und manchmal sogar im politischen Diskurs häufig Prostitution und Menschenhandel vermischt oder gar gleichgesetzt werden (1), ist es unabdinglich für uns als selbstbestimmt tätige Sexarbeitende eine Abgrenzung von Prostitution zum Menschenhandel vorzunehmen und Missverständnisse, die auch die gesellschaftliche Wahrnehmung von Sexarbeit prägen, aus dem Weg zu räumen.

Seit der Aushandlung des Zusatzprotokolls des UN Übereinkommens zur Bekämpfung des transnationalen organisierten Verbrechens von 2000, auch Palermo-Protokoll genannt, und dessen Unterzeichnung durch 40 Staaten bis Dezember 2003 wird Menschenhandel als Aktivität „der Anwerbung und des Transports von Personen zum Zweck der Ausbeutung und unter Täuschung, Androhung bzw. Anwendung von Gewalt oder Ausnutzung von Hilflosigkeit“ definiert (2).

Bei Menschenhandel handelt es sich also um einen Straftatbestand, der allerdings nicht nur dem Zweck der sexuellen Ausbeutung dient. Er umfasst ebenfalls „Sklaverei-ähnliche Praktiken oder Zwangsarbeit“ (2) und sonstige grenzüberschreitende ausbeuterische bzw. missbräuchliche Arbeitsverhältnisse und nicht nur Verschleppung zum Zwecke der erzwungenen Prostitution.
Da es sich im Falle der sexuellen Ausbeutung zu über 99% um weibliche Betroffene „aus armen Herkunftsregionen, die den sexuellen Bedürfnissen männlicher Prostitutionskunden in den Wohlstandsgesellschaften zur Verfügung stehen“ (1) sollen, handelt, wird auch häufig von Frauenhandel gesprochen.

Oftmals wird Arbeitsmigration, vor allem im Prostitutionsgewerbe, ebenfalls mit Menschenhandel bzw. Frauenhandel gleichgesetzt. Dies ist jedoch irreführend. Vielmehr migriert ein Großteil der Frauen häufig bewusst aus wirtschaftlich schlechter gestellten Ländern der EU in wohlhabendere Länder wie die BRD, da hier Aussichten auf bessere Arbeitsbedingungen und höhere Einnahmen für sie bestehen und sie mit diesen höheren Einnahmen nicht nur ihren Aufenthalt im Migrationsstaat finanzieren, sondern zumeist auch daheimgebliebene Angehörige mitversorgen können. Arbeitsmigrant*innen in der Prostitution als Opfer zu pauschalisieren ist somit falsch (3;4).

Dennoch ist nicht zu verleugnen, dass einige Menschen in der Prostitution durch die Schaffung von Abhängigkeitsverhältnissen durch z.B. die Ausnutzung eingeschränkter Aufenthalts und Arbeitserlaubnisse – oder häufig auch nur aus Unsicherheit über solche – in ausbeuterische Arbeitsverhältnisse gezwungen werden (5). Hier stellt jedoch nicht die sexuelle Dienstleistung per se das Problem dar, sondern die Umstände, unter denen sie geleistet wird, und die Gründe, die Sexarbeitende in solche Zwangslagen bringen können.

Durch die Vermischung der Begrifflichkeiten wird für Menschen, denen die Thematik nicht geläufig ist, unweigerlich ein sehr defizitäres Bild von Sexarbeit geschaffen. Die Folge davon ist, dass Sexarbeitenden eine unmündige, unfreiwillige Tätigkeit in der Branche zugeschrieben wird und sie zu Opfern ihrer Arbeits- und Lebensumstände erklärt werden, was wiederum eine Stigmatisierung und damit tatsächlich negative Folgen für Lebens- und Arbeitsumstände begünstigt.
Um dem entgegenzuwirken, ist es ein enorm wichtiger Schritt, eine klare Trennung zwischen Sexarbeit und Menschenhandel vorzunehmen und dieser konsequent zu folgen: „Frauenhandel ist eine Verletzung der Menschenrechte und soll bekämpft werden. Sexarbeit hingegen ist Arbeit.“ (6) Und diese sollte als solche anerkannt und respektiert werden!

(1) Niesner, E. (2001): Frauenhandel zwischen Tabuisierung, Dramatisierung und Instrumentalisierung – Herausforderungen für die feministische Forschung und Praxis durch ein internationales und tagespolitisch aktuelles Problem, in: Hornung, U.; Gümen, S.; Weilandt, S. (Hrsg.): Zwischen Emanzipationsvision und Gesellschaftskritik. (Re)Konstruktionen der Geschlechterordnung. Münster: Verlag Westfälisches Dampfboot, S. 239 – 266

(2) Uhl, B. H. (2009): Teil der Lösung oder Teil des Problems – Diskurse der internationalen und europäischen Menschenhandelspolitik über den rechtlichen und politischen Umgang mit Prostitution, in: Kavemann, B.; Rabe, H. (Hrsg.): Das Prostitutionsgesetz. Aktuelle Forschungsergebnisse, Umsetzung und Weiterentwicklung. Opladen & Farmington Hills: Verlag Barbara Budrich, S. 35 – 45

(3) Winter, D. (2009): Arbeitsbedingungen in der Prostitution im Wandel von Zeit und Gesetz, in: Kavemann, B.; Rabe, H. (Hrsg.): Das Prostitutionsgesetz. Aktuelle Forschungsergebnisse, Umsetzung und Weiterentwicklung. Opladen & Farmington Hills: Verlag Barbara Budrich, S. 221 – 229

(4) Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen (2014): Wirkliche Freiheit statt Rolle rückwärts!, in: Biermann, P.: Wir sind Frauen wie andere auch! Prostituierte und ihre Kämpfe. Hamburg: Argument Verlag, S. 5 – 10

(5) Mitrovic, E. (2007): Arbeitsplatz Prostitution. Ein Beruf wie jeder andere? Hamburg: LIT Verlag

(6) Mitrovic, E. (2006): Die Spitze der Doppelmoral. Der gesellschaftliche Umgang mit Prostitution in Deutschland und die aktuelle Situation in Europa, in: Mitrovic, E. (Hrsg.): Prostitution und Frauenhandel. Die Rechte von Sexarbeiterinnen stärken! Ausbeugung und Gewalt in Europa bekämpfen! Hamburg: VSA-Verlag, S. 9 – 19

Weiterführende Links

Der KOK- Bundesweiter Koordinierungskreis gegen Menschenhandel e.V. hat verschiedene Publikationen zu dem Thema veröffentlicht:

Die von Sonja Dolinsek betriebene Website menschenhandelheute.net gibt einen sehr guten Überblick zu

Zahlen zur Sexarbeit

Schätzungen bezüglich einer Gesamtanzahl von in der Sexarbeit tätigen Personen reichen von 50.000 bis zu 400.000, wobei der Deutsche Bundestag von letzterer Anzahl ausgeht (vgl. Deutscher Bundestag zit.n. Löw/Ruhne 2011:21f.). Diese wird jedoch von Sozialwissenschaftler*innen wie Kavemann und Steffan (zit.n. Albert 2015) angezweifelt, welche vielmehr mit einer Anzahl zwischen 64.000 und 200.000 rechnen – allerdings nur unter den weiblichen Sexarbeiterinnen.

Die Schwierigkeit hier sei der Unterschied zwischen ‚Hell- und Dunkelziffer‘. Zum ‚Hellfeld‘ zählen Sexarbeiter*innen, die z.B. in Bordellen, Laufhäusern und Terminwohnungen ein Gewerbe angemeldet haben. Zum ‚Dunkelfeld‘ zählen jene, welche der Gelegenheits- und Beschaffungsarbeit nachgehen, ihre Dienstleistungen im Internet anbieten oder illegalisiert arbeiten (vgl. ebd. S.9). Die Schätzungen bezüglich der Anzahl der Sexarbeiter*innen im ‚Dunkelfeld‘ erklären hier also die großen Schwankungen in den Annahmen über die Anzahl der aktiven Sexarbeiter*innen.

Von diesen zwischen 50.000 und 400.000 Sexarbeiter*innen stammen ca. 60% nicht aus der EU. Im Norden Deutschlands – z.B. in Hamburg mit 65% – ist der Anteil noch höher. Von diesen migrierten Sexarbeiter*innen in Deutschland stammten laut einer Einschätzung aus dem Jahr 2004 50% aus Osteuropa, 21% aus Südostasien, 16% aus Lateinamerika und 13% aus Afrika (vgl. TAMPEP zit.n. Mitrovic 2007:22, Howe 2012:38f.).

Bei Schätzungsweise 1,2 Mio. Inanspruchnahmen von sexuellen Dienstleistungen täglich (vgl. Schwethelm 2006:20f.), wird etwa ein Umsatz von 14,5 Mrd. Euro im Jahr generiert, was in etwa dem Umsatz der MAN AG (15,0 Mrd. Euro/Jahr) oder der damals noch nicht konkursen Karstadt Quelle AG (15,2 Mrd. Euro/Jahr) im Jahr 2003 entspricht (vgl. Aufklärung und Kritik zit.n. Mitrovic 2006:9).

Durch Auswertungen des Beratungsaufwandes kam das Gesundheitsamt Nürnberg im Jahr 2009 zu dem Schluss, dass sich „die Anzahl der Prostituierten und der Bordellbetriebe […] in den letzten 20 Jahren verdoppelt, möglicherweise sogar mehr als verdreifacht“ (Weppert 2009:261f.) habe. Dieser Anstieg sei Weppert zufolge auch für ganz Deutschland anzunehmen (vgl. ebd.).

QUELLEN:

Albert, M. (2015): Soziale Arbeit im Bereich Prostitution – Strukturelle Entwicklungstendenzen im Kontext von Organisation, Sozialraum und professioneller Rolle, in: Albert M.; Wege, J. (Hrsg.): Soziale Arbeit und Prostitution. Professionelle Handlungsansätze in Theorie und Praxis. Wiesbaden: Springer VS Verlag, S. 9 – 26

Howe, C. (2012): Struktureller Wandel in der Prostitution. Zwischen Hurenbewegung und Sozialer Arbeit, in: standpunkt sozial, 3/2012, S. 35 – 47

Löw, M.; Ruhne, R. (2011): Prostitution. Herstellungsweisen einer anderen Welt. Berlin: Suhrkamp Verlag

Mitrovic, E. (2006): Die Spitze der Doppelmoral. Der gesellschaftliche Umgang mit Prostitution in Deutschland und die aktuelle Situation in Europa, in: Mitrovic, E. (Hrsg.): Prostitution und Frauenhandel. Die Rechte von Sexarbeiterinnen stärken! Ausbeugung und Gewalt in Europa bekämpfen! Hamburg: VSA-Verlag, S. 9 – 19

Mitrovic, E. (2007): Arbeitsplatz Prostitution. Ein Beruf wie jeder andere? Hamburg: LIT Verlag

Schwethelm, J. (2006): Prostitution als soziale Realität, in: Mitrovic, E. (Hrsg.): Prostitution und Frauenhandel. Die Rechte von Sexarbeiterinnen stärken! Ausbeutung und Gewalt in Europa bekämpfen! Hamburg: VSA Verlag, S. 20 – 25

Weppert, A. (2009): Beratung von Prostituierten unter veränderten gesetzlichen Voraussetzungen. Ein Bericht aus dem Gesundheitsamt Nürnberg, in: Kavemann, B.; Rabe, H. (Hrsg.): Das Prostitutionsgesetz. Aktuelle Forschungsergebnisse, Umsetzung und Weiterentwicklung. Opladen & Farmington Hills: Verlag Barbara Budrich, S. 253 – 263