Warum eine Welt ohne Prostitution keine bessere Welt ist … Gedanken einer Berliner Sexarbeiterin
Dieser sehr persönliche Blogbeitrag wurde uns von einer Berliner Kollegin zur Verfügung gestellt.
Als ich im vierzigsten Lebensjahr wieder angefangen habe mit der Sexarbeit, las ich überall die Berichte in den Zeitungen von den ganzen Menschenhandelsopfern in Deutschland. Das verunsicherte mich sehr. Ich saß zwar selber im Bordell und habe dort gearbeitet, aber ich dachte, dass diese schlimmen Sachen ja wo anders gang und gäbe sein müssten. Ich fragte mich sogar, ob ein Verbot der Sexarbeit nicht vielleicht gut wäre und ich nicht meinen Job aufgeben sollte um den anderen zu helfen. Es dauerte eine Zeit, bis mir klar wurde, dass ich damit niemandem helfen würde.
Ich kam immer mehr rum in Deutschland und arbeitete in verschiedenen Bordellen und Studios. Ich traf überall ganz verschiedene Frauen, ganz verschiedene Schicksale, ganz verschiedene Herangehensweisen an den Job. Ja, ich traf auch etliche Kolleginnen, denen ich wirklich einen anderen Job anraten würde. Ja, ich traf in den letzten 10 Jahren sogar zwei, die einen Loverboy hatten. Das wirkliche Problem dabei ist, dass es gerade für Migrantinnen in der Sexarbeit keine ernstzunehmende Alternative gibt.
Es wird immer gerne vom Abschaffen der Prostitution gesprochen und von großangelegten „Ausstiegsprojekten“. Wie diese aussehen sollen und wer die enormen Kosten tragen soll, darüber findet sich nichts. Ich hörte sogar schon verhaltene Stimmen, dass es doch am besten wäre, wenn die betroffenen Migrant*innen wieder in ihre Heimat zurückgingen. Da würden sie sich doch zu Hause fühlen und könnten ihre Traumen viel besser verarbeiten. So viel zur heiligen Vision von einer Welt ohne Prostitution.
Was ist denn eigentlich so schlimm an der Prostitution? Gerne liest man ja, dass Prostitution nur unter Zwang erfolgen kann, und dass Prostitution gleichzusetzen sei mit Gewalt. Oft wird sogar von Vergewaltigung gesprochen. Das sind mächtige Bilder, die sich in die Köpfe einbrennen. So leicht ist es, sich vorzustellen, wie die arme junge Frau aus Osteuropa als hilfloses Opfer täglich von brutalen Puffgängern missbraucht wird. So schwer ist es, sich vorzustellen, dass Sexarbeit wirklich ein Job sein kann, und dass sich das Anbieten von sexuellen Dienstleistungen professionalisieren lässt.
Natürlich weiß ich, dass nicht alle Kolleginnen den Job gerne machen, aber in meinem Bekanntenkreis habe ich durchaus auch Menschen in „normalen“ Tätigkeiten, die auch nicht jeden Morgen jauchzend zur Arbeit gehen. Ich habe ganz allgemein den Eindruck, dass viele Menschen sich gar nicht vorstellen können, ihre Berufstätigkeit könne ihnen Erfüllung bringen. Gerade in der Sexarbeit scheint mir dieser Ansatz leider sehr weit verbreitet, denn die Branche ist dermaßen stigmatisiert, dass es schwer ist, einen positiven Bezug zur eigenen Arbeit zu entwickeln.
Zurück zu der Frage, was denn so schlimm an der Prostitution ist. Wenn man in der Lage ist, Prostitution als erotische Dienstleistung zu sehen, die professionell von Menschen angeboten wird, die sich bewusst für diesen Job entschieden haben, dann ist daran eigentlich nichts schlimm. Ich will das jetzt nicht thematisieren, denn die gesellschaftlichen Konventionen sprechen eine andere Sprache. Wir werden immer noch erzogen und geprägt vom Modell der Zweierbeziehung, die bis der Tod uns scheidet halten soll. Dieses Zweierkonstrukt teilt sich nicht nur ein Ehebett mit Nachtischen, sondern verbringt jeden Tag gemeinsam. Und von dieser wunderbaren Symbiose, die im Alltag durchaus hervorragend funktioniert, wird dann auch noch toller Sex erwartet.
Während Frauen oft ihren sexuellen Bedürfnissen nicht so viel Wichtigkeit beimessen, oder sie ignorieren oder nicht wahrnehmen, denken viele Männer eher pragmatisch. Mit ihrer Frau sind sie zufrieden und wollen das auch gar nicht ändern. Eine Sexarbeiterin aufzusuchen sehen sie nicht als Infragestellung ihrer Ehe oder Ablehnung ihrer Frau gegenüber. Frauen hingegen würden sich – wenn überhaupt – eher einen Liebhaber nehmen, denn ohne Liebe geht es doch nicht. Dies ist dann oft das Ende der Ehe. Man verzeihe mir die Schubladentheorie.
Wäre es nicht schön, wenn sowohl Männer als auch Frauen sexuelle Dienstleistungen als selbstverständlich betrachten würden und je nach Neigung nutzen oder eben auch nicht. Nach wie vor gibt es nur wenige Frauen, die erotische Dienstleistungen in Anspruch nehmen, aber es werden mehr. Ein sehr lesenswerter Beitrag zu diesem Thema stammt aus der Feder des Tantra-Masseurs Michael König -> https://berufsverband-sexarbeit.de/index…ls-kundin/.
In den Köpfen der Prostitutionsgegner ist die Welt viel einfacher: Frau=Opfer/Mann =Täter, und sie wünschen sich eine andere Welt. Eine Welt ohne Prostitution.
Ja, ich wünsche mir auch eine andere Welt, aber nicht eine Welt ohne Prostitution. Ich wünsche mir eine offenere und freudvollere Gesellschaft. Eine Gesellschaft, in der Erotik kein Tabuthema ist, sondern eine lustvolle Bereicherung. Eine Gesellschaft, die über Erotik spricht und eigene Bedürfnisse erlaubt. Eine Gesellschaft, in der Paare in Beziehungen die eigene und auch die gemeinsame Lust thematisieren, statt totzuschweigen – und wo gleichzeitig auch andere Lebensmodelle möglich sind.
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