Sexarbeit während Corona: Die politischen Positionen und Forderungen des Berufsverbands
In der Sexarbeit arbeiten viele vulnerable Gruppen, die besonders schutzbedürftig sind: Migrant*innen, alleinerziehende Mütter, Rom*nja, queere und Trans- Personen, People of Color, von Armut betroffene oder verschuldete Personen, suchtkranke Menschen und wohnungs- oder obdachlose Personen. Diesen Menschen ist es bisher gelungen, durch Sexarbeit für sich selbst zu sorgen. Gerade sie sind von einem Arbeitsverbot extrem betroffen. Sie fallen oft durch die Maschen des staatlichen Hilfesystems durch, können sich einen Arbeitsausfall nicht leisten und müssen illegal weiter arbeiten.
In den letzten Monaten haben wir wenige Versuche der Bundesregierung und Landesregierungen beobachtet, diese Gruppen adäquat zu schützen und im Lockdown zu unterstützen. In diesem Positionspapier möchten wir die aktuelle Situation schildern und unsere Forderungen für eine Verbesserung der Umstände vorstellen.
So sieht die Situation seit dem Lockdown im März aus:
– Einem großen Teil der Sexarbeiter*innen ist der Zugang zu Hilfeleistungen erschwert oder unmöglich.
- viele haben keine Meldeadresse, sind wohnungs- oder obdachlos
- durch Sprachbarrieren
- viele haben keine Ausweisdokumente
- Fehlinformationen über das „Düsseldorfer Modell“ sorgen dafür, dass viele keine Steuernummer erhalten haben, welche für die Beantragung von staatlichen Hilfeleistungen notwendig ist.
– Viele haben vor Corona in Terminwohnungen oder in separaten Zimmern gewohnt, die während des Berufsverbotes geschlossen sind. Es fehlen immer noch Unterbringungsplätze für wohnungslose Sexarbeiter*innen.
– Die (finanzielle) Notsituation fördert Abhängigkeiten und (sexuelle) Ausbeutung.
- Es werden auch Kund*innen angenommen, die der*die Sexarbeiter*in normalerweise nicht annehmen würde, weil sie weniger vertrauenswürdig oder potentiell aggressiv erscheinen.
- Aufgrund des finanziellen Drucks werden Dienstleistungen bzw. Praktiken angeboten, welche mit einem erhöhten Gesundheitsrisiko einher gehen (z.B. Versicht auf ein Kondom, weil Kund*in anderenfalls droht, vom Prostitutionsvertrag zurückzutreten) bzw. welche der*die Sexarbeiter*in aus Gründen der sexuellen Selbstbestimmung nicht ausüben möchte.
- Wohnungslosigkeit begünstigt Ausbeutung durch „Loverboys“
- Prekäre Situation und Illegalität fördern ausbeutende Strukturen
– Sexarbeiter*innen, die während des Berufsverbotes Gewalt erleben, können sich keine Hilfe von Beamt*innen holen aus Angst, sich selber strafbar zu machen.
– Die Gewalt gegen Sexarbeiter*innen nimmt zu.
- Viele Beratungsstellen und Projekte melden einen Anstieg der Übergriffe gegen Sexarbeiter*innen, wie es auch aus Ländern berichtet wird, in denen es ein generelles Sexkauf-Verbot gibt.
- Stigmatisierende Gesetze, Begriffe und die Konstruktion der Prostitution als „Super-Spreader“ fördern frauenfeindliche, transfeindliche und migrant*innenfeindliche Gewalt.
– Finanzielle Schwierigkeiten:
- Die Preise sind stark gesunken auf Grund der geringen Nachfrage.
- Anhäufung von Schulden
- Pleiten von Prostitutionsstätten reduzieren die Vielfalt an Arbeitsplätzen und führen zu Monopolen. Weniger Wahlmöglichkeiten bedeuten mehr Abhängigkeit von den verbleibenden Betrieben und deren Arbeitsbedingungen.
- Vermehrte Wohnungslosigkeit, da viele ihre Miete nicht zahlen konnten/können
Wir können nicht zusehen, wie es unseren Kolleg*innen und uns immer schlechter geht. Deshalb fordern wir:
– Ermöglichung sicherer und geschützter Arbeitsplätze auch während der Corona-Krise. Wir möchten verhindern, dass Menschen, die sich nicht an das Arbeitsverbot halten können, auf unsichere, abseitige Orte ausweichen müssen.
– Kostenlose Corona Tests & Gesundheitsversorgung – auch ohne Krankenversicherung.
– Zugang zu kostenlosen Masken und weiterhin Zugang zu kostenlosen Kondomen.
– Die Gleichbehandlung mit anderen körpernahen Dienstleistungen bei den Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Krise – Sexarbeiter*innen sind keine Superspreader!
- Kriminalisierung fördert unsichere Arbeit
- keine Bußgelder für Sexarbeiter*innen, die sich aus finanziellen Nöten nicht an das Arbeitsverbot halten können.
- Abschaffung des „Düsseldorfer Modells“
– Der Zugang zu Grundsicherungsleistungen muss schneller & einfacher möglich sein.
– Unbürokratische Hilfe für alle Sexarbeiter*innen, die durch das Hilfenetz fallen (Menschen ohne Aufenthaltsstatus, ohne Anmeldung, ohne Krankenversicherung, ohne Papiere…).
- Der Nothilfefonds des BesD ist leer – der Staat soll entweder für diese Menschen aufkommen oder den Nothilfefonds finanziell ausstatten.
- Mietübernahmelösungen für Menschen, die auf Grund von Corona von Wohnungslosigkeit bedroht sind. Aussetzung von Zwangsräumungen während der gesamten Corona-Krise.
- Aufstockung der Sozialarbeiter*innen für die Begleitung zu Terminen (Jobcenter, Gericht, etc.).
Ausbau und bessere Finanzierung von Gesundheitszentren die eine kostenlose Gesundheitsversorgung für nicht-krankenversicherte Menschen anbieten.
– Akzeptierende Hilfe- und Beratungsstrukturen für Sexarbeiter*innen müssen flächendeckend ausgebaut werden.
- Die Arbeit der Beratungsstellen muss den Bedürfnissen entsprechend ausfinanziert werden.
- In Thüringen gibt es keine Beratungsstellen für Sexarbeiter*innen. Dies muss sich schnell ändern!
- Mehr Peer-to-Peer Angebote (wie z.B. das Hydra-Café in Berlin), die eine niedrigschwellige Anlaufstelle für alle bieten.
- Aufstockung der aufsuchenden Arbeit auch zu Corona Zeiten (unter Schutzmaßnahmen) am Straßenstrich und in Bordellen.
– Ausreichend Plätze in Frauenhäusern und auch eine sichere Unterbringung für Männer, trans-, inter- und nichtbinäre- Personen, die vor häuslicher Gewalt fliehen.
– Mehr Plätze in Übernachtungseinrichtungen für wohnungs- und obdachlose Menschen und spezielle Unterkünfte für wohnungslose Frauen, Jugendliche und LSBTIQ Personen (z.B in Hotel- oder Hostelzimmern). Ausbau von Unterbringungsprogrammen wie „Housing First“. Aussetzung des im ProstSchG vorgeschriebenem Übernachtungsverbots in Prostitutionsstätten: Nutzung als Wohnmöglichkeit.
– Ausbau der öffentlichen sanitären Einrichtungen (Toiletten, Waschbecken, Duschen), besonders in Nähe der Straßenstriche.
– Warme Mahlzeiten und Lebensmittelgutscheine für unterstützungsbedürftige Sexarbeiter*innen.
– Rücksprache mit Sexarbeiter*innen bei Gesetzen und Maßnahmen, die uns betreffen!
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