Programmbeschwerde wegen diskriminierender 3-sat Doku über Sexarbeit


Der BesD e.V. sieht im Rahmen der am 04.03.2021 auf 3sat.de veröffentlichten Sendung
Prostitution: Kein Job wie jeder andere“, eine Verletzung der in den Grundsätzen für die Zusammenarbeit im ARD-Gemeinschaftsprogramm beziehungsweise im ZDF-Staatsvertrag genannten Richtlinien, insbesondere in den folgenden Zusammenhängen.


1. Betreffend Unparteilichkeit
und Meinungsvielfalt:

ARD 1. (3) Die ARD hat bei der Erfüllung ihres Auftrags die Grundsätze der Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung, die Meinungsvielfalt sowie die Ausgewogenheit der Programme und Angebote zu berücksichtigen.

Das sogenannte „nordische Modell“ wird in der Sendung als Lösung für Probleme in der Sexindustrie dargestellt, während Stimmen, die die massiven Probleme und Gefahren dieses Ansatzes aufzeigen kein entsprechendes Gehör finden. Die Interviews und Statements jener Befragten in der Sendung, die sich klar gegen das Nordische Modell und für andere Lösungsansätze aussprechen, wurden in einer Weise geschnitten bzw. gesendet, die deren Aussagen unterminiert (siehe Punkt 4).

Zu den Organisationen, die seit vielen Jahren gegen das „nordische Modell“ und für den umgekehrten Weg einer Entkriminalisierung plädieren, gehören Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch und Amnesty International, Organisationen gegen Menschenhandel wie GAATW und La Strada International, UNAIDS, Die Deutsche Aidshilfe, Medicines du monde, sowie sämtliche Sexworker-Organisationen in Europa (ICRSE, NSWP, u.a.).

Die unter der Rubrik „Wissenschaftsdokumentationen“ im Web-Programm des Senders 3Sat veröffentlichte Sendung bietet damit unserer Ansicht nach einen unwissenschaftlichen und parteilichen Blick auf Sexarbeit in Deutschland.

2. Betreffend Diskriminierungsfreiheit:

ZDF §5 (3) Das Geschehen in den einzelnen Ländern und die kulturelle Vielfalt Deutschlands sind angemessen in den Angeboten des ZDF darzustellen. Die Angebote sollen dabei auch die Zusammengehörigkeit im vereinten Deutschland fördern sowie der gesamtgesellschaftlichen lntegration in Frieden und Freiheit und der Verständigung unter den Völkern dienen und auf ein diskriminierungsfreies Miteinander hinwirken.

Die Sendung bedient weit verbreitete Klischees, die Sexarbeitende in ein stigmatisierendes Licht rücken. Die Sprecher:innentexte bedienen sich einer Sprache, die es den Zuschauenden unmöglich macht, die Betroffenen als selbstbestimmte Bürger:innen und den Beruf aus einer nicht abwertenden Perspektive zu sehen. Auch die Bildsprache sowie die Untertitulierung von (migrantischen) Sexarbeitenden zeichnen ein stigmatisierendes Gesamtbild von Sexarbeiter:innen als machtlose Opfer.

Diese Praxis führt erwiesenermaßen dazu, dass Sexarbeitende „mundtot“ gemacht werden, ihnen nicht zugehört und sie in ihren Anliegen und ihrem Kampf um Rechte nicht ernst genommen werden. Die Sendung trägt dadurch zur gesellschaftlichen Stigmatisierung und strukturellen Diskriminierung von Sexarbeiter*innen und Sexarbeit in Deutschland bei.

3. Betreffend Objektivität:

ZDF §5 (1) In den Angeboten des ZDF soll ein objektiver Überblick über das Weltgeschehen, insbesondere ein umfassendes Bild der deutschen Wirklichkeit vermittelt werden.

In der Sendung werden wissenschaftlich nicht belegbare Zahlen verbreitet – es seien 360.000 von schätzungsweise 400.000 Sexarbeitenden in Deutschland Zwangsprostituierte. Beide Zahlen sind nicht belegt. Tragische Leidensgeschichten Einzelner werden uneingeordnet als alltägliche Realität dargestellt.

4. Betreffend des Umgangs mit mitwirkenden Personen:

ARD 2. (3) c) Bei der Wiedergabe von Interviews und Statements darf der Sinn der Aussage nicht verändert oder verfälscht werden. (…) Personen, die um Mitwirkung an einer Sendung gebeten werden, dürfen über Art und Zweck ihrer Mitwirkung nicht getäuscht werden.

Die Sendung bat verschiedene Expert:innen, deren Aussagen nicht der sexarbeitsfeindlichen Stoßrichtung der Sendung entsprechen, zum Interview. In der Sendung wurde der Sinn ihrer Aussagen jedoch durch Schnitt, Bildsprache, Untertitulierung und Sprecher:innen-Texte in einen falschen Kontext gerückt, auf unzulässige Weise verkürzt und gegen deren Intention verwendet.

Diese Vorwürfe werden zum Beispiel von der, in der Doku vorkommenden, Wissenschaftlerin und Expertin zum Thema Sexarbeit Elfriede Steffan erhoben: (https://www.stiftung-gssg.org/wp-content…teffan.pdf). Gleiches erlebten zwei Mitarbeiterinnen einer Beratungsstelle für Sexarbeitendedie ebenfalls eine Gegenstellungnahme veröffentlichten: https://www.cse.ruhr/aktuell/nachricht/2…st-arbeit/.

Die beiden aktiven Sexarbeitenden, die in der Sendung vorkommen, wurden über eine falsche Darstellung des Vorhabens zu Interviews überredet. Ihnen wurde eine ausgewogene Berichterstattung über das Thema versprochen, in der verschiedene Seiten gleichberechtigt angehört würden. Tatsächlich wurden aus ihren mehrere Stunden dauernden Interviews am Ende wenige Sätze geschnitten, die Sendung stellte sie als irrelevante Ausnahmen dar. Beide machten ihren Unmut darüber öffentlich verlautbar:
Johanna Weber: https://berufsverband-sexarbeit.de/index…er-andere/
Kristina Marlen: https://twitter.com/KristinaMarlen_/stat…7511641089

Wir bitten die Verantwortlichen aus diesen Gründen um eine inhaltliche Prüfung der Sendung Prostitution: Kein Job wie jeder andere“ nach §5 des ZDF-Staatsvertrags sowie um eine neutrale, faktenbasierte und an den Aussagen und Bedürfnissen der Betroffenen orientierte Gegendarstellung nach §9.

1 Kommentar

Trackbacks & Pingbacks

  1. […] massenhaften Beschwerden bei 3Sat und dem ZDF geführt. Mittlerweile gibt es eine offizielle Programmbeschwerde des BesD, die bereits vom Vorsitz des ZDF Medienrates beantwortet wurde. Er wird nun als […]

Kommentare sind deaktiviert.