Wie steht die neue Bundesregierung zum Thema Sexarbeit? 

Bewertung von Johanna Weber, der politischen Sprecherin des BesD

Die Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP ist für Sexarbeitende ein  Lichtblick. Gerade diese Legislaturperiode ist besonders wichtig für unsere Branche, denn die Evaluation des ProstituiertenSchutzGesetzes (1) steht an. Selbst in politischen Fachkreisen gibt es viele Stimmen, die das Gesetz schon jetzt für gescheitert halten. Klar ist, dass es große Nachbesserungen geben muss. Hier ist eine Regierung wichtig, die sachlich mit dem Thema umgeht. Eine Regierung, die nicht alle Probleme in der Sexarbeit durch die Bestrafung von Freiern und die Abschaffung von Bordellen beiseite schieben will.

Alle drei Parteien positionieren sich gegen das sogenannte „nordische Modell“, das Sexkaufverbot.

CDU

Eine Regierung unter Beteiligung der sich konservativ besinnenden CDU wäre eine Katastrophe für unsere Branche gewesen. Die Frauenunion fordert das nordische Modell (2).

Dankend anzuerkennen ist  Frau Pantel aus NRW, die zeigt, dass es auch  in der CDU aufrechte Menschen gibt und gab, die sich gegen diese moralgeprägte Rettungspolitik von Sexarbeitenden aussprechen. Ebenfalls Silvia Breher, die sich der Meinung der Frauenunion nicht anschließt und wieder im für uns zuständigen Bundestags-Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sitzt (7). 

Bitte weiter so.

 

SPD

Die Sozialdemokraten schließen das nach zähen Ringen entstandenen Positionspapier zum Thema Sexarbeit (3) mit folgenden Worten 

„Ein Sexkaufverbot lehnen wir derzeit ab.“ 

Bemerkenswert ist, dass das Wort „Sexkaufverbot“ verwendet wird und nicht „nordisches Modell“, welches Parteigenossin, Leni Breymaier (4) bevorzugt. Die Württembergerin ist eine vehemente Befürworterin dieser einseitigen Kriminalisierung, bei der die Freier aber nicht die Sexarbeitende bestraft werden sollen. Breymaiers langfristiger Wunsch ist eine Welt ohne Prostitution. Mittlerweile ist sie in der SPD allerdings isoliert und ihre Ansicht entspricht nicht der Parteilinie.

Über die in dem Positionspapier (3)  vorgeschlagene Anhebung der Altersgrenze für Sexarbeitende von 18 auf 21 Jahren, wird hoffentlich noch einmal verhandelt werden.  Zu diesem Thema wurden schon in der Vorbereitung des ProstSchG Experten befragt, welche überwiegend die Anhebung der Altersgrenze in Frage stellen.
Hier sind Ausschnitte aus diesen Stellungnahmen aufgelistet (5)

Ebenso muss mit der SPD noch mal über ihren  Vorschlag, dass Schwangere nicht in der Sexarbeit tätig sein dürfen, geredet werden. Auch hier würde ein Verbot die Betroffenen nur in die Illegalität treiben. Helfen täte das niemandem.

Herausragend ist die Besetzung des Generalsekretärpostens mit Kevin Kühnert. Der homosexuelle Ex-Juso-Chef spricht sich auf twitter gegen das nordische Modell aus:

„Sollte ich Delegierter sein, werde ich ebenfalls nicht für das Nordische Modell stimmen.“ (6)

Für uns ist der Bundestagsausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (7) der relevanteste.

Den Vorsitz hat die SPD-Frau, Ulrike Bahr, die sich schon seit langer Zeit mit dem Thema Prostitution/Sexarbeit beschäftigt. Ihr ist daran gelegen, „die Debatte zu versachlichen. Es gilt, legale und damit freiwillige Prostitution ganz strikt von Straftaten wie sexueller Ausbeutung und Zwangsprostitution zu trennen.“ (8)

 

FDP

Die wiedergeborene FDP ist bezogen auf unser Thema gut mit der Materie vertraut und ganz eindeutig gegen das Nordische Modell.

„Eine effektive Verbesserung der Zustände braucht nicht mehr Verbotsgesetze“, sagt die frauenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion, Nicole Bauer. Die FDP unterstütze „nach wie vor die Entkriminalisierung von freiwilliger Prostitution“ (9)
Ihrer Position entsprechend sitzt Frau Bauer ebenfalls  im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. (7)

Positiv überraschend waren Medienauftritte einiger FDP-Politikerinnen in 2021, die sich dort wacker gegen hardcore Prostitutionsgegnerinnen behaupteten. Einen solchen wunderbar unaufgeregten Auftritt legte die Bundestagsabgeordnete Judith Skudelny im Mai 2021 bei der SWR-Talkshow „Mal ehrlich…“ hin. (10)

„Es hilft nicht die Prostitution insgesamt zu verbieten, sondern wir müssen schauen, wie kommen wir an die Menschen ran, die wirklich Hilfe brauchen.“

Das ProstituiertenSchutzGesetz (1) wurde von der FDP schon von Anfang an kritisiert.

Hier die Beisitzerin des FDP-Bundesvorstandes, Sylvia Bruns im Jahre 2016:

„Gut gemeint ist eben nicht gleich gut gemacht“, und „Für die betroffenen Frauen wird es zu zahlreichen Verschlechterungen kommen.“ (11)

 

GRÜNE

Lange Jahre die Bundestagsabgeordnete  Ulle Schauws  gegen die beiden Regierungsparteien für unsere Rechte gekämpft. Ihre beruhigenden Worte vom Sommer letzten Jahres klingen mir noch in den Ohren:

„Mit uns in der Regierung wird es kein Sexkaufverbot geben.“

Das war immer die Linie der Bundes-Grünen. Sie stehen für die Verbesserung der rechtlichen und sozialen Situation der Prostituierten und ihren größtmöglichen Schutz. (12)

In Baden-Württemberg jedoch ticken die grünen Uhren anders. Dort glauben nicht nur die Grünen, dass der Prostitution nicht freiwillig nachgegangen werden kann und fordern daher  rigoros eine prostitutionsfreie Gesellschaft.  Zum Glück haben diese Impulse so gut wie keinerlei Einfluss auf die Bundespolitik.

Bundespolitikerin Ulle Schauws wird nicht müde, auf den Unterschied zwischen Menschenhandel und Sexarbeit hinzuweisen und sachliche Betrachtung zu fordern. Hier ein Ausschnitt aus einer Rede im Bundestag  (13):

„Und es gibt im Bereich der Prostitution Kriminalität und Ausbeutung. Wer diese bekämpfen will, muss differenzieren.

Wer das nicht macht – und das machen Sie von der Union tatsächlich nicht -, der bedient konstant nur das Klischee der Prostituierten. Sie vermischen dies wieder und wieder mit Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung. Das kann nicht zielführend sein.

Sie zeichnen permanent Bilder der Gegensätze von der selbstbestimmten Edelprostituierten zur Zwangsprostituierten. Und wenn Sie über Prostituierte aus Osteuropa reden, unterstellen Sie auch gern einmal einer Mehrheit der Frauen, sie seien minderbemittelt, Analphabetinnen, schwanger, drogen- oder alkoholabhängig oder alles gleichzeitig.“

Es lohnt sich die ganze Rede mal anzuhören -> (13)

Das für uns zuständige Ministerium ist das mit der unaussprechlichen Abkürzung BMFSFJ versehene Familienministerium.

Es ist nun in grüner Hand.

Die neue Ministerin  Anne Spiegel  stammt aus Rheinland-Pfalz und hat sich dort schon sehr für die Belange der Sexarbeitenden eingesetzt.

Hier ihre sachliche Einschätzung in einem WELT-Interview: „Das Prostituiertenschutzgesetz hat nach Ansicht der rheinland-pfälzischen Frauenministerin Anne Spiegel (Grüne) für viele Sexarbeiterinnen die Lage verschlechtert.“ Zur Meldepflicht für Sexarbeitende sagt sie im selber Interview. «Das leistet schlimmstenfalls einer Stigmatisierung Vorschub» (14)

Für unsere Branche freuen wir uns sehr, dass es zum ersten Mal einen Familienministerin gibt, die das Thema Prostitution nicht ausschließlich an ihre Mitarbeitenden delegiert, sondern selber mit Materie vertraut ist und sich stark macht.

Die Frauenpolitische Sprecherin der Grünen, Ricarda Lang, positioniert sich ausführlich zum Thema Sexarbeit auf Abgeordnetenwatch (15). Sie lehnt das „nordische Modell“ ab und erklärt dies sehr anschaulich:

„Das führt zu einer stärkeren Abhängigkeit von Dritten, da es schwieriger für Prostituierte wird, direkten Kundenkontakt herzustellen. Das Risiko für Prostituierte ist höher. Prostitution im Unsichtbaren, verhindert auch Hilfe wie z.B. Notfallknöpfe bei Bedrohung oder Beratung z.B. im Hinblick auf sexuelle Praktiken und Schutz vor sex. übertragbaren Krankheiten. Hilfe und Rechte können nicht eingeklagt werden. Geschäfte müssen schneller verhandelt werden (aus Angst entdeckt zu werden), Kund*innen, die sonst abgelehnt worden wären, werden akzeptiert .“

Weiterhin merkt sie dort an:

„Zur Wirksamkeit des Verbots, also ob die Prostitution zurück gegangen ist, oder nur ins Dunkelfeld gedrängt wurde gibt, es keine verlässlichen Studien.“

„Menschen, die in der Prostitution arbeiten, brauchen Rechte und Schutz – auch vor Stigmatisierung und Kriminalisierung. Das Prostituiertenschutzgesetz werden wir dementsprechend evaluieren und überarbeiten mit dem Ziel, die Arbeitsbedingungen in der legalen Prostitution zu verbessern.“


Quellen:

(1) ProstituiertenSchutzGesetz, ProstSchG -> https://www.gesetze-im-internet.de/prostschg/

(2) Frauenunion fordert Verbot der Prostitution (nordisches Modell) -> https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/prostitution-verbot-cdu-101.html

(3) Positionspapier der SPD zu Prostitution: „Mehr Schutz, Beratungs- und Ausstiegeshilfen in der Prostitution“ -> https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Beschluesse/Matrix_2021/SPD_Beschluss_Familienpolitik_Prostitution.pdf

(4) Leni Breymaier zum Umgang mit Prostitution -> https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/sexarbeit-stuttgart-100.html

(5) Ausschnitte aus den Stellungnahmen zum Thema Anhebung der Altergrenze in der Prostitution bei der Anhörung zum ProstSchG  -> https://www.berufsverband-sexarbeit.de/index.php/2021/03/17/argumente-gegen-eine-anhebung-der-altersgrenze-auf-21-fuer-prostituierte/

(6) Twitterpost von Kevin Kühnert gegen das nordische Modell -> https://twitter.com/kuehnikev/status/1183509976083513346

(7) Besetzung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im BMFSFJ -> https://www.bundestag.de/webarchiv/Ausschuesse/ausschuesse19/

(8) Ulrike Bahr zu Prostitution und Menschenhandel -> https://spd-lkharburg.de/termine/informationsveranstaltung-zum-prostitutionsgesetz-mit-ulrike-bahr-mdb

(9) FDP-Frau, Nicole Bauer, zu Sexarbeit -> https://www.welt.de/politik/deutschland/article202000418/Prostitution-Vorstoss-fuer-Nordisches-Modell-ist-umstritten.html

(10) SWR Talkshow „Mal ehrlich…“ Thema Prostitution -> https://www.swr.de/unternehmen/kommunikation/pressemeldungen/swrfernsehen-mal-ehrlich-sex-gegen-geld-2021-100.html

11) Kritik der FDP am ProstSchG -> https://www.liberale.de/content/neues-gesetz-treibt-prostituierte-die-illegalitaet

(12) Fraktionsbeschluss der Grünen zum Thema Prostitution in 2014 (noch gültig) -> https://www.gruene-bundestag.de/files/beschluesse/beschluss-prostitutionsgesetz.pdf

(13) Bundestagsrede von Ulle Schauws zum Thema Prostitution ->  https://ulle-schauws.de/2016/07/rede-zum-prostituiertenschutzgesetz/

(14) Anne Spiegel – Kritik am ProstSchG -> https://www.welt.de/regionales/rheinland-pfalz-saarland/article203884902/Prostituiertenschutzgesetz-Spiegel-fordert-Nachbesserungen.html

(15) Ricards Lang, Grüne, auf Abgeordnetenwatch zu Sexarbeit -> https://www.abgeordnetenwatch.de/profile/ricarda-lang/fragen-antworten/sehr-geehrte-frau-ricarda-lang-werden-sie-im-neuenbundestag-fuer-das-nordischemodell-stimmen-bestrafung-der