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Dieser Beitrag wurde von unserem Mitglied Kristina Marlen verfasst; wir wünschen viel Genuss beim Lesen:
Das Schweizer Fernsehen, SRF , hat sich in einem philosophischen Stammtisch der Frage angenommen, ob man für Sex zahlen dürfe .
Erstmal Dank an die Kollegin und einzige Sexarbeiterin am Tisch Salome Balthus, dass Du die Fassung gewahrt hast, obwohl du ja sogar angekündigt hast, im Laufe des Gespräches vielleicht ausfallend zu werden. Chapeau, nicht geschehen.
Ich wäre an der ein oder anderen Stelle vermutlich ausfallend geworden. Die reaktionäre und moralische Agenda zeigte sich in ihrem stilistisch formvollendeten Gewand (philosophisch), was sie nicht weniger ätzend macht. Ich verlaute ungern, dass mir vor allem die zweite Frau am Stammtisch ein paar Mal fast die Gebärmutter hat wandern lassen. Sandra Konrad trifft verheerende Aussagen über Sexarbeiter*innen, die anmassend sind und jeder breiteren empirischen Grundlage entbehren. Sie eliminiert damit alle anders lautenden Erfahrungsberichte, die Sexarbeiter*innen je formuliert haben und erklärt so auch die der einzigen Hure am Tisch als unglaubwürdig. In ihrem mahnend humorlosen Tonfall, als Therapeutin die absolute und bedingungslose Vertrauenswürdigkeit für immer gepachtet, holt sie jedoch die Masse der besorgten Bürger*innen ab, die sich auf ihrem Mitleid für „die Anderen“ (Huren und andere lose Subjekte) in, wie ich vermute, beinahe sexueller Erregung ergehen.
Mitleid ist die perfideste Form der Arroganz. Die effektivste Form, strukturelle Ungleichheit festzukleistern – die, die von oben herab blicken, haben sich ihren Platz im Gefüge am Besten gesichert, ohne sich die Finger schmutzig zu machen.
Es mag nicht wundern, dass Sandra Konrad so gut Bescheid weiss über das Problem aller #Huren, auch wenn sie der am Tisch nicht zuhört; denn sie hat Mitleid mit allen Frauen. Die Verfasserin des Buches „Das beherrschte Geschlecht – Warum sie will, was er will” hält die sexuell selbstbestimmte Frau (also nicht nur die selbstbestimmte Hure) für eine „Fata Morgana“ (Quelle: s.u.). Well then. Nichts hinzuzufügen. Oder doch?
Kurz eingeschoben: das Buch enthält eine umfangreiche Darstellung der weiblichen #Sexualität in Geschichte und Gegenwart – auch aus ihrer Perspektive als Therapeutin. Ich schätze das Buch über viele Kapitel und viele Thesen sind schlichtweg Teil eines feministischen Allgemeinwissens, das als Basis dienen muss, wenn wir Befreiung der Geschlechter heute weiter umsetzen wollen. Also danke dafür.
Wer sich intensiv mit menschlicher Sexualität befasst, wird um einige Erkenntnisse nicht herumkommen: Menschen kommunizieren zu wenig in Sexualität und tauschen im Bett alles mögliche, auch sexuelle Gefälligkeiten, und ums Fühlen geht es dabei häufig nicht in erster Linie; weibliche Sexualität ist in der Geschichte und bis heute unterdrückt und häufig ausgebeutet; wir leben in einer Welt der engen Geschlechterstereotypen, die traurig limitierend sind und Männern meistens mehr Handlungsspielraum lassen als Frauen.
All das, Dáccord. Aber wie ist es möglich, in einem so umfassenden Buch um all die Frauen* (und Männer*) herumkommen, die es anders machen und gerade mit und in dieser Geschichte umschreiben, aneignen, querleben? Die Frauen*, die ihren Sex fühlen und leben inmitten all der Klischees, Normen und Tabus, die um weibliche Sexualität aufgestellt sind wie schrankförmige SecurityCops? Wie kommt man auch um die Partner*innen dieser Personen herum, die andere Beziehungsformen, andere Kommunikationsweisen entwickeln, um Beziehung und Sex zum echten Erlebnis für alle zu machen? Wo sind überhaupt die #Lesben in diesem Buch, hat Frau Konrad schonmal davon gehört, dass Menschen jenseits heterosexueller Vorgaben leben? Und sollten wir Frau Konrad vielleicht mal ein paar Freikarten für das Pornfilmfestival Berlin geben, damit sie ihren Horizont über explizites filmisches Schaffen erweitern kann?
Dass Menschen häufig nicht über den eigenen Erfahrungsschatz hinausdenken können, ist nicht per se verwerflich, auch wenn es schade ist. Wenn man aber Bücher schreibt, die einen gewissen Wahrheitsanspruch erheben, dann geht das so leider nicht.
Wer verheerende Buchtitel in die Welt setzt, die unwahr und beleidigend sind, muss sich fragen lassen, was sie damit bewirken will. Ist “Das beherrschte Geschlecht” ein Titel, der in die #Freiheit führt und warum löscht er die Kämpfe und Existenzen wichtiger Menschen?
Mich zum Beispiel und den Grossteil meiner weiblichen* Freund*innen, Liebhaber*innen, Kolleg*innen, meine wilden Kund*innen und ihre Gespiel*innen, Porn- und Popstars, Diven, Dominas, grosse Frauen* der Geschichte, die sich nicht drum geschert haben, wie “Frau” sich verhalten sollte, und deshalb ein sehr fröhliches Leben haben oder hatten, die gibt es dann wohl einfach nicht.
BUFF – ich verschwinde dann mal. Ich bin nur ein Gespenst. So wie es auch alle Huren tun sollten. Vom Erdboden verschwinden.
Aber wartet. Wir kommen wieder. Immer und immer wieder. In Euren Träumen. In Euren Betten. Wir sprechen, wir stöhnen und wir holen uns gnadenlos unsere Orgasmen, wir sitzen auf Euren Gesichtern und kommen direkt auf Euren plattgedrückten Nasen. Es gab uns immer schon, auch wenn ihr uns bis in 21. Jahrhundert totreden wollt. Wir sind unsterblich. Wir sind und bleiben die Hexen. Verbrennt uns doch. Wir haben Wunderkräfte und kochen Zaubertränke direkt aus dem eigenen Ejakulat.
Es lebe die sexuell selbstbestimmte Frau.
PS. wie wäre es mit einem Hashtag? #Fatamorgana ….???
Faehe Michelina, Maggie Tapert Serena Laura Kristina Marlen Mareen Scholl Ruby May Henrike Iglesias Susanne Wendel Ilan Stephani Mithu Melanie Sanyal Laura Méritt Josefa Nereus Deva Bhusha Yella Cremer Rubia Bright Iva Samina and all the witches around, please share before you disappear
Quellen:
der Philosophische Stammtisch im SRF mit Salome Balthus, Sarah Konrad, Dominique Kuenzle, Peter Schaber
Sandra Konrad: Das beherrschte Geschlecht. Warum sie will, was er will. Piper 2018.
Hier eines der unzähligen Interviews, alle mit dem selben trostlos besserwisserischen Duktus -Hier die FATA MORGANA: https://m.tagesanzeiger.ch/articles/5a510090ab5c373370000001
Danke De Paul, nochmal für den Anstoß, einen Kommentar dazu zu verfassen. Es gäbe noch mehr zu sagen. Dies ist nur das Wort zum Mittwoch, das bereits eine Weile in der Gruft meines Gespenstinnendaseins gewütetet hat.
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