Sexarbeit in Corona-Zeiten: Die Krise aus der Perspektive von Selbstständigen
Die Sexarbeiterinnen Lady Giorgina, Fräulein Angelina und Phantessa haben diesen Text gemeinsam verfasst. Sie arbeiteten bis zum Arbeitsverbot wegen Corona in BDSM-Studios – als Domina, Bizarrlady und Sklavia. Ihr Text ist bei den „Geschichten von Unten“ von „Hände Weg vom Wedding“ erschienen.
Seit Ende letzter Woche habe ich Arbeitsverbot in meinem Job, um die Infektionsgefahr mit dem Corona-Virus gering zu halten. So weit verständlich und sinnvoll. „Viel Zeit, all das zu tun, was ich schon seit langem machen wollte: Lesen, Renovieren, Reparieren, Schreiben“, dachte ich am Anfang noch. Und in der Tat, mir wird vorerst nicht langweilig. Aber hauptsächlich aus dem Grund, dass ich mir überlegen muss, wo ich jetzt das Geld her hole. Jetzt, wo für mich als Selbstständige nichts reinkommt.
Ich bin Sexarbeiterin, und zwar aus Überzeugung. Und natürlich aus der Notwendigkeit, meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Ich habe auch ein Diplom und eine abgeschlossene Ausbildung, habe mich aber für diesen Beruf entschieden – weil ich ihn wichtig finde in unserer Gesellschaft. Weil das, was ich tue, anderen hilft. Das ist Psychotherapie und Körperarbeit in einem. Dass das jetzt weg fällt für meine Klient*innen, ist schon schlimm genug. Aber bei mir kommt de facto kein Geld rein. Ich muss kreativ werden, nach Online-Möglichkeiten suchen, oder nach etwas ganz anderem. Aber auch Firmen, für die man komplett aus dem Home-Office arbeiten könnte, sind momentan mit der Situation überfordert, stellen erst einmal niemanden neu ein, so die Antworten.
Webcam, Telefonsessions – das kommt prinzipiell infrage, aber auf die Idee sind natürlich auch schon andere gekommen, das Angebot ist groß. Wie sich die Nachfrage über die nächsten Wochen entwickeln wird, muss man sehen. Draußen feiern Leute Corona-Parties und ich denke mir: „Wer fest angestellt ist, kann das ja relativ leicht in Kauf nehmen und es feiern, nicht arbeiten zu müssen.“ Wir Freiberufler*innen müssen aber darauf hoffen, dass sich das Arbeitsverbot nicht zu lange hinzieht, denn Miete und Krankenkasse müssen schließlich weiterhin bezahlt werden. Und essen möchten wir auch noch.
Gleichzeitig denke ich mir auch: Ich stehe wahrscheinlich noch relativ gut da, denn ich habe immerhin noch ein Dach über dem Kopf, habe Bildung genossen und kann einigermaßen problemlos Sozialleistungen beantragen, falls es nötig wird. Sexarbeit wird aber auch von vielen Personen gewählt, die es schwer haben in Deutschland. Weil sie hier keinen festen Wohnsitz haben, weil ihr Umfeld den Job nicht akzeptieren würde, oder weil sie aus allen möglichen Gründen durch das soziale Netz fallen. Schon alleine deshalb brauchen wir jetzt schnelle und unbürokratische Hilfen, wie das bedingungslose Grundeinkommen.
Und wer weiß, wie es dann überhaupt weitergeht, in der Zukunft. Leni Breymaier (SPD) freute sich auf Twitter, dass das vorübergehende Arbeitsverbot für SexarbeiterInnen quasi ein Probedurchlauf für ein von ihr angestrebtes generelles Sexkaufverbot ist: „#Corona. Geht doch. Man(n) kann ja schon mal üben.“ (Tweet vom 14.3.20) Was üben wir denn da? Kein Geld zu haben? Hartz IV Anträge auszufüllen? Unseren Beruf in gefährlicher Illegalität auszuführen? Das Gefühl zu ertragen, nicht ernst genommen zu werden als Personen mit freiem Willen zu unserer Berufswahl, der uns immer und immer wieder abgesprochen werden soll?
Wir brauchen Unterstützung. Jetzt finanzieller Art und später, wenn es darum gehen soll, das Schwedische Modell einzuführen, dann brauchen wir politische Unterstützung. Das Schwedische Modell ist antifeministisch und entmündigend. Wir brauchen Respekt. Wir brauchen Sichtbarkeit, damit wir nicht einfach heimlich, still und leise unter den Teppich gekehrt werden.
Wir möchten nicht üben für etwas, das uns das Recht auf freie Berufswahl nimmt.
Wir möchten auch nicht dafür üben, von Sozialleistungen zu leben.
Wir möchten eine Entstigmatisierung seitens der Gesellschaft, der Behörden und der Politik.
Wir möchten, wie jeder andere Mensch auch, dass diese Krise möglichst schnell und mit möglichst wenig Verlusten vorüber geht. Und dass wir dann weder A) auf der Straße sitzen noch B) unser Beruf dann auch noch von antifeministischen Moralaposteln unter dem Vorwand, es ginge um unseren Schutz, illegalisiert wird.
Wir möchten ernst genommen werden. Wir möchten, dass uns Respekt entgegen gebracht wird und dass wir soziale und finanzielle Sicherheit haben, wie in anderen „normalen“ Berufe auch.
Bezüglich der momentanen Ausnahmesituation möchten wir, dass alle die Einschränkungen ernst nehmen, damit die Infektionskurve verflacht wird (#flattenthecurve) und die Arbeitsverbote und ggf. Ausgangssperren dann auch möglichst schnell wieder aufgehoben werden und wir wieder arbeiten können.
Und besonders wichtig: Wir sind absolut bereit, einige Zeit auf die Ausübung unseres Berufes zu verzichten, um Menschen aus Risikogruppen zu schützen und unseren Teil dazu beizutragen, das Gesundheitssystem am Funktionieren zu halten. Aber auf keinen Fall darf das ausgenutzt werden, um unter dem Deckmantel der Corona-Prävention längerfristige Berufsverbote zu erwirken!
Wir brauchen schnelle und unkomplizierte finanzielle Unterstützung (auch für nicht registrierte Sexarbeiter*innen) im Sinne von Verdienstausfall, nicht als Kredite oder Hartz4. Wir rufen alle dazu auf, mit uns solidarisch zu sein. Sich unseren Forderungen anzuschließen. Außerdem solidarisch mit all jenen zu sein, die von Corona besonders betroffen sind. Und wir hoffen, dass wir alle möglichst bald und mit so wenig Schaden wie möglich aus der Krise kommen.
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