Ich habe in der Sexarbeit Gewalt erfahren – warum ich mich deshalb für Sexworker und gegen Sexkaufverbote engagiere
Als Sexarbeiterin habe ich in vielen Bereichen gearbeitet – unter anderem in Bordellen, in Terminwohnungen, als Escort und als Porno- Darstellerin. Zurückgeblieben sind mehr schlechte als gute Erinnerungen.
Natürlich ist die Mehrheit der Kunden nicht gefährlich. Aber ein einziges traumatisches Erlebnis kann reichen, dass es einem den Boden unter den Füßen weg zieht.
Ich hab leider gelernt, dass es nicht nur in Billig-Bordellen zahlreiche gefährliche Kunden gibt, sondern auch beim Escort, also bei Haus- und Hotelbesuchen, sowie beim privaten Empfang. In meinem Fall waren es drei Erlebnisse, wo Gewalt vor Ort im Spiel war. Ich hab als Konsequenz meine Preise verdoppelt und mich als Escort selbstständig gemacht. Leider ist dann in meiner Anfangszeit wieder etwas vorgefallen, aber ich hatte nicht die Traute, den Mann anzuzeigen, weil ich nicht bei der Polizei als Prostituierte geoutet sein wollte. Das war ein Fehler. Außerdem musste ich lernen, dass solche negativen Ereignisse sowohl kurzfristig als auch erst viele Jahre später wirksam werden können.
Dass man körperlich und psychisch gesundheitlichen Schaden nehmen kann, der irreparabel ist.
Dies ist in meinem Fall passiert. Ich muss seit 7 Jahren und nun lebenslang Medikamente, starke Psychopharmaka, einnehmen, damit ich nicht durchdrehe, das heißt psychotisch und arbeitsunfähig werde. Meine Nerven sind immer angespannt. 24 Stunden/7 Tage die Woche. Ich fühle mich, als ob ich die ganze Zeit auf Koks bin, dabei sind es die Psychopillen, die ich schlucken muss. Diese Manie hatte ich schon vor meiner ersten Psychose und als ich noch in der Sexarbeit tätig war. Ein Kunde fragte mich damals, ob ich Kokain konsumiere, weil meine Kerze an beiden Enden brennt.
Wenn ich abscheuliche Dinge lese, triggert es immer bei mir und ich brauche eine Weile, um mich wieder zu entspannen.
Dabei helfen mir Musik und gewisse Genussmittel, die ebenfalls gesundheitsschädlich sind. Ich bin nämlich seit 7 Jahren Kettenraucherin und meine Lunge extrem geschädigt. Noch 30% Lungenvolumen. Die vielen Stigmata – als Frau und Prostituierte, Kettenraucherin mit Psychiatrie-Erfahrung, Gewaltopfer – beschmutzen mich in gewisser Weise. Klar, dass man mit einer unbehandelten Psychose gelegentlich Amok gegen sich selbst läuft oder Schaden bei anderen verursachen kann. Das weiß auch die Gesellschaft, wie gefährlich Schizophrenie auch für andere sein kann, weshalb es sich mit solidarischer Unterstützung für Menschen mit Psychiatrie-Erfahrung arg in Grenzen hält. Und ich habe auch schon sehr viel Ausgrenzung erlebt, wenn ich mich getraut habe, offen darüber zu sprechen. Allerdings will ich nicht schweigen.
Seit meinem Ausstieg aus der Sexarbeit bin ich weiterhin der Szene verbunden geblieben und arbeite seit mittlerweile 15 Jahren als politische Aktivistin für Rechte, Gesundheit und gute Arbeitsbedingungen für Sexworker.
Durch meine Arbeit als Autorin und Redakteurin für ein Erotik Portal werde ich täglich mit dem Thema Prostitution und den Erfahrungen meiner Kolleg:innen konfrontiert. Seit 9 Jahren administriere ich ein von mir aufgebautes Sexworker only-Forum mit mittlerweile mehr als 16.000 Sexworkern, davor habe ich bereits 2 Jahre das Sexworker Forum sexworker.at moderiert. Als Vorstandsmitglied des BESD-Berufsverbands und als Mitglied des Lenkungsausschusses bei TAMPEP setze ich mich heute auch gezielt politisch für die Rechte und bessere Arbeitsbedingungen für Sexworker ein. Ich stelle heute auf vielfältige Weise Ressourcen her, damit Sexworker und ihre Kunden informiert und aufgeklärt werden. Damit sichere und keine gefahrvollen Begegnungen die Regel sind.
Die Hemmschwelle, Tabubrecher unter den Kunden anzuzeigen ist hoch, insbesondere für jene Sexworker, die nicht als Prostituierte angemeldet sind.
Von den Fakern, die Escorts ins Blaue schicken, Online-Belästigungen und Grenzüberschreitern spreche ich erst gar nicht. Das ist der Normalzustand für viele Escorts. Doch auch Kunden die Gewalt ausüben, sexuell nötigen, oder vergewaltigen, müssen kaum mit strafrechtlichen Folgen rechnen. Solche Kunden werden zwar für erneute Anfragen blockiert oder auf die Warnliste geschlossener Sexworker-Gruppen gesetzt, aber sie werden kaum angezeigt, da Sexworker oft in der schwächeren Verhandlungsposition sind.
Je privilegierter eine Sexarbeiterin ist, desto seltener wird sie Opfer von Grenzüberschreitung und Gewalt.
Selbstbewusste starke Persönlichkeiten treffen im Regelfall respektvolle Männer – das ist zumindest meine Lebenserfahrung. Als ich begonnen habe hohe Preise zu verlangen und nur noch Hotelbesuche im 4-5 Sterne Segment angeboten habe, ist mir persönlich nichts mehr passiert. Ich plädiere immer, dass die SSC-Regel (safe – sane – consensual) aus dem BDSM-Bereich auch im Vanilla-Bereich angewendet werden sollte. Vor jedem Date, vor allem in der Sexarbeit, sollten hohe Sicherheitsstandards gelten: ein mehrstufiges Kundenscreening per Telefon und Mail, Referenzen von anderen Sexworkern, ein Cover der oder die Bescheid weiß, wen man wo trifft.
Ich halte es für wichtig, sich in der Sexarbeit frühzeitig zu professionalisieren.
Täter suchen sich gerne weniger professionell auftretende Damen aus, die das „nur nebenbei“ machen. Hier vermuten die Täter nämlich Frauen, die illegal arbeiten und sich nicht wehren können und/oder wollen. Über dieses Risiko sollten sich alle „Hobbyhuren“, die ihre Unprofessionalität in ihrer Werbung hervorheben, im klaren sein. Aber das Risiko Gewalt ausgesetzt zu werden besteht auch sonst – dessen sollte man sich bewusst sein.
Jedes Opfer ist eines zuviel – deshalb müssen Sexworker insgesamt in eine stärkere Verhandlungsposition kommen und in ihren Rechten gestärkt werden.
Es kann nicht sein, dass Kunden, nur weil die das Geld haben, die Spielregeln bestimmen. Es kann nicht sein, dass Sexworker durch das „Prostituiertenschutzgesetz“, wie in Deutschland, oder durch ein Sexkaufverbot wie in Schweden, in ihren Rechten noch weiter beschränkt werden und damit noch größerer Gefahr ausgesetzt sind. Zahlen über das Ausmaß von Gewalt in der Branche oder die Höhe der Zwangsprostituierten sind für mich persönlich nicht wirklich relevant – es passiert und allein das zählt. Ich erkenne die vielfältige Realität der Sexarbeit an – und genau deshalb setze ich mich für eine Stärkung der Rechte von Menschen in der Branche ein und kämpfe gegen Verbotsphantasien rund um das schwedische Modell, die Sexworker in ihrer Entscheidungsfreiheit und Menschenrechten beschränken anstatt unterstützen wollen.
Dieser Text stammt aus der Feder der ehemaligen Sexarbeiterin Susanne, die unter anderem beim BesD e.V. als Vorstandsmitglied und in der Pressearbeit tätig ist.
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