Vorschläge für Corona-Regelungen in der Sexarbeit
Die zur Eindämmung der Pandemie getroffenen Maßnahmen der letzten zwei Jahre werden aktuell von der Politik bewertet. Welche Verordnungen waren sinnvoll und welche sollten im nächsten Winter nicht mehr oder anders angewendet werden?
Bezogen auf die die Sexarbeitsbranche sind leider aus Unwissenheit viele Fehlentscheidungen getroffen worden, die die Branche nachhaltig geschädigt haben und in keiner Weise zur Eindämmung von Corona geeignet waren.
Unsere Vorschläge für den Umgang mit Corona im Bezug auf Sexarbeit/Prostitution, falls Maßnahmen im nächsten Winter stattfinden müssen:
- Einordnung von Sexarbeit als körpernahe Dienstleistung. Gleiche Corona-Regelungen wie Tattoo-Studios, Kosmetiksalons, usw.
- Keine Schließung von Bordellen außerhalb von Komplett-Lockdowns, stattdessen Anwendung der Hygienekonzepte, die sich bewährt haben. Es wurde seit Beginn der Corona-Pandemie kein Super-Spreader-Event in einem Bordell verortet.
- Anwendung der Hygienekonzepte, die der BesD in Zusammenarbeit mit Gesundheitsämtern ausgearbeitet hat – auch für Straßenstrich, Wohnwagen, Escorts und Terminwohnungen.
Bisherige Fehlentscheidungen und ihre Konsequenzen
Deutschlandweit waren Prostitutionsstätten im Lockdown und eigenständige Sexarbeitende durften nur in sehr wenigen Bundesländern arbeiten. Dies war zunächst ebenso sinnvoll wie in anderen Branchen, da es bei der Sexarbeit für gewöhnlich um eine Tätigkeit mit sehr engem Körperkontakt geht.
Doch im Gegensatz zu anderen körpernahen Dienstleistungen, musste die Sexarbeitsbranche sich in jedem Bundesland die Wiederaufnahme der Arbeit gerichtlich einklagen. Der große Teil der Sexarbeitenden erhielten keine oder nur sehr geringe Coronahilfen.
Somit waren viele Sexarbeitende gezwungen, illegal weiter zu arbeiten. Da alle Prostitutionsstätten geschlossen waren, wurden Hausbesuche gemacht, Hotelzimmer angemietet oder das eigene Zuhause genutzt. Das Geschäft wurde mühsamer, die Umstände gefährlicher und die Preise fielen in den Keller.
Die Kund*innen zeigten wegen Corona große Zurückhaltung. Auch die Illegalität schreckte viele. Es gab wesentlich mehr Nachfragen nach Sex ohne Kondom. Es fanden mehr Sperrgebietsverstöße statt. Sexarbeitende mussten in der Not auch Kund*innen annehmen, die sie sonst abgelehnt hätten. Die Gewalt nahm zu. Für Sexarbeitende die nicht ausreichend Deutsch oder Englisch sprechen und somit ihre Kundentermine schwer ganz alleine machen können, stieg die Gefahr in Abhängigkeiten zu fallen.
Und dies Monate nachdem Tattoo-Studios oder Kontakt-Sportarten wieder zugelassen waren und trotz des sogar von Mediziner*innen gelobten Hygienekonzepts, das unser Verband 2020 entwickelte.
Corona zeigt, welche Folgen Verbote in der Sexarbeit haben
Beratungsstellen für Sexarbeitende sprechen davon, dass durch die Corona-Krise eine „Milieuverschiebung“ stattgefunden hat. Damit ist gemeint, dass seit der Krise viel mehr Sexarbeitende außerhalb von Bordellen arbeiten. Daran hat sich auch nach der Wiedereröffnung der Bordelle nur wenig geändert – viele Sexarbeitende sind bei ihrer „neuen“ Art zu arbeiten geblieben.
Für Beratungsstellen und Gesundheitsämter mit aufsuchender Beratung ist es wesentlich schwerer geworden, Sexarbeitende bei Bedarf zu erreichen und zu unterstützen. Unser Verband spricht dabei von „Vereinzelung“. Bei ihrer hochstigmatisierten Tätigkeit erhöht es für die meisten Sexarbeitenden die Lebensqualität und auch die Sicherheit, wenn sie (die Möglichkeit zu) Kontakt zu Kolleg*innen haben, zum Beispiel durch das gemeinsame Arbeiten im Team oder in Prostitutionsstätten.
Dieser Austausch wird besonders wesentlich, wenn zum Beispiel der private Freundeskreis oder die Partner*innen gar nicht eingeweiht sind oder die betreffenden Personen nirgends sonst Verständnis erfahren.
Gerade für Neueinsteiger*innen oder noch Unerfahrene ist der Kontakt zu erfahreneren Kolleg*innen auch deshalb wichtig, weil das erfolgreiche Anbieten von erotischen Dienstleistungen nicht „einfach so“ gelingt, sondern gelernt sein will. Es geht dabei nicht nur um die „praktischen Handgriffe“ sondern auch um das richtige Haushalten mit den eigenen Energie-Ressourcen, Grenzsetzung, Umgang mit Kund*innen, Selbstmarketing etc.
„Beschissen. Wenig Arbeit, wenig Geld, frechere Gäste.“
So lautet ein Zitat aus der GESA-Studie „Psychische Gesundheit von Sexarbeiter*innen in der Covid-19 Pandemie“* vom Oktober 2021. Die Studie hält berufliche Einschränkungen, erlebte Ungleichbehandlung und finanzielle Einschränkungen fest – es wurde ein Rückgang von mehr als 50% an Kund*innen pro Woche festgestellt.
Darüber hinaus enthält die Studie Berichte von mehreren Sexarbeitenden im Bezug auf psychische Gesundheit : Genannt wurden Belastungen durch die wegfallenden sozialen Kontakte, Sorgen in Bezug auf die Zukunft, depressive Verstimmungen bis hin zu Essstörungen und suizidale Gedanken. Besonders hervorgehoben wurde die erlebte Einsamkeit während der Covid-19 Pandemie.
-> GESA-Studie: https://www.researchgate.net/publication/355544704_GESA-Studie_Psychische_Gesundheit_von_Sexarbeiterinnen_in_der_Covid-19_Pandemie
„Wenn es das Ziel des Verbotes war, sexuelle Kontakte im Sexgewerbe zu reduzieren, wurde genau das Gegenteil erreicht.“
Die Zürcher Hochschule veröffentlichte im Dezember 2021 den sehr lesenswerten Schlussbericht des Forschungsprojekts „Auswirkungen der Maßnahmen gegen die Covid-19-Pandemie auf Sexarbeit und Sexarbeitende in Zürich“. Wenig überraschend: Die negativen Effekte der Maßnahmen überwogen laut Schlussbericht die positiven.
Es wurde festgestellt, dass die Sexarbeitende aufgrund der Pandemie mit einem kombinierten „Opfer-Narrativ“ und „Superspreader-Narrativ“ bedacht wurden. Sexarbeitenden wären als „willensschwach, bildungsfern und ausgebeutet“ eingeschätzt worden und wären „sowohl aus persönlichen als auch strukturellen Gründen nicht fähig, Hygienemaßnahmen durchzusetzen“. Dies wurde als Argument herangezogen um das Verbot von Prostitution durchzusetzen.
Im Fazit der Studie heißt es: „Es wäre sinnvoller, Maßnahmen zu entwickeln, die auf die Situation im Sexgewerbe abgestimmt sind und darum auch umgesetzt werden können. Dazu bedarf es einer ernsthaften Auseinandersetzung der zuständigen Behörden mit Lebenslage, Lebenswelt und Lebensbewältigungsfähigkeiten von Sexarbeiter*innen.“