Was wäre wenn – Sexarbeits-Alltag in Deutschland unter dem Nordischen Modell

Persönlicher Blogbeitrag von Johanna Weber, politische Sprecherin des BesD

Beim Nordischen Modell findet ein juristischer Spagat statt – eine einseitige Kriminalisierung. Vereinfacht gesagt bedeutet es: Menschen, die Sexarbeit in Anspruch nehmen, machen sich strafbar. Menschen die Sexarbeit anbieten, machen sich nicht strafbar. Dies soll bewirken, dass die Nachfrage sinkt und somit langfristig die Sexarbeit abgeschafft ist.

Die Bezeichnung „Nordisches Modell“ ist dabei eigentlich irreführend, denn nicht alle nordischen Länder  wenden diese Methode im Umgang mit Sexarbeit an. Zum Beispiel Finnland und Dänemark haben sich explizit dagegen ausgesprochen. Stimmiger ist die Bezeichnung: „Sexkaufverbot“.

Diskussionen um das Thema Sexkaufverbot arten in der Regel komplett aus, und es kommt förmlich zu einem Kampf zwischen zwei scheinbar unversöhnlichen Fronten.

Auf der einen Seite stehen Menschen, die in der Sexarbeit viel Elend erlebt haben, teilweise auch traumatisiert sind, und deren Unterstützende. Auf der anderen Seite stehen Sexarbeitende, die in ihren Freiheitsrechten eingeschränkt werden und Gleichbehandlung mit anderen Berufen fordern.

Für sinnvolle politische Entscheidungen zur Verbesserung der Sexarbeitsbedingungen ist es wichtig, sich die Gedanken beider Seiten anzuhören.

Doch was Lösungsansätze anbelangt scheiden sich die Geister.

Der verbindende Faktor ist dabei: Beide Seiten setzen sich gegen Missstände in der Sexarbeit und gegen missbräuchliche Verhältnisse ein. Doch was Lösungsansätze anbelangt scheiden sich die Geister.

Menschen die Sexarbeit generell als missbräuchlich wahrnehmen, setzen sich für Sexkaufverbote, Hilfe und Unterstützung beim Ausstieg und gesellschaftliche Ächtung des Gewerbes ein.

Menschen, die Sexarbeit generell als Arbeit wahrnehmen, setzen sich für mehr Rechte und berufliche Gleichstellung, gesellschaftliche Entstigmatisierung des Gewerbes und Empowernment ein.

Was wären die Folgen, wenn Deutschland das Sexkaufverbot nach dem schwedischen Vorbild einführen würde?

ÜBER DIE KUND*INNEN

Vor ewiger Zeit sagte eine schwedische Kollegin zu mir: „Die guten Kunden sind weg – die schlechten bleiben.“ Jede Sexarbeiter*in weiß, was sie damit meint. Denn welche Kunden bleiben denn, wenn es verboten ist Kunde zu sein? Diejenigen, die es mit Recht und Ordnung eh nicht so genau nehmen.

Diese Kunden haben wir aber nicht so gerne. Das sind die Kunden, die leicht übergriffig werden, immer noch etwas mehr fordern, immer zu wenig bezahlen wollen, nie zum Ende kommen, usw. Wenn in unserem Arbeitsalltag ab und zu einer von dieser Sorte dabei ist, dann ist das für die meisten Sexarbeitenden machbar, und das Geld nehmen wir gerne mit. Wenn wir jedoch nur noch solche Kunden haben, dann wird die Arbeit unerträglich.

ÜBER UNSERE ARBEITSPLÄTZE

Unter dem Sexkaufverbot würden Bordelle, Massagesalons usw. als Stätten der Ausbeutung und Zuhälterei gelten und somit verboten werden.

Die Arbeitsplätze für Sexarbeitende wären damit weg. Sagen wir es genauer – die sicheren Arbeitsplätze sind weg.

Bei uns in Deutschland sind Prostitutionsstätten seit 2002 legal, und mit dem ProstSchG wurde auch eine Konzessionierung eingeführt. Das heißt alle Betreibenden müssen beim Gewerbeamt ein Betriebskonzept einreichen, und die Beamten kommen dann persönlich vorbei und schauen sich den kompletten Laden in der Praxis an.

Da ist noch lange nicht alles optimal, aber ich finde, wir sind da auf einem guten Weg.

ÜBER DEN ARBEITSALLTAG

Damit unter dem Sexkaufverbot überhaupt noch einer kommt, müssten Sexarbeitende sich verstecken und dafür sorgen, dass die Kundschaft nicht entdeckt wird. Dies kennt unsere Branche schon von Corona.

Damals war die Sexarbeit extrem und unverhältnismäßig lange verboten. Die Bordelle, Clubs, usw. waren geschlossen. Viele Kolleg*innen waren aus finanzieller Not gezwungen, illegal tätig zu werden und sich trotz Verbot mit Kundschaft zu treffen.

Somit entstand ein illegaler Parallelmarkt an Haus- und Hotelbesuchen, der sich bis heute nicht wieder aufgelöst hat. Was waren die Folgen? Preisverfall, vermehrte Nachfrage nach unsafen Praktiken, Zunahme von Gewalt!

ÜBER HILFSANGEBOTE

Die einzeln tätigen Sexarbeitenden nur noch sehr schwer für Hilfsangebote zu erreichen, denn sie arbeiten immer an anderen Orten und zu flexiblen Zeiten.

Prävention kann aber nur direkt vor Ort erfolgen. Prävention funktioniert nicht, wenn die Sozialarbeitenden in der Beratungsstelle sitzen und warten bis die Klient*innen vorbeikommen. Beratungsstellen grübeln deshalb schon über neue Konzepte für aufsuchende Beratung, welche jetzt schon sehr schwer geworden ist.

ÜBER DIE POLIZEI

In den deutschen Medien sind immer die selben zwei oder drei Polizisten, die das Nordische Modell fordern. Von vielen anderen höre ich Gegenteiliges: „Dann müssen wir unsere Arbeitszeit dafür verwenden, die Freier aufzuspüren, anstatt uns um Menschenhandel zu kümmern.“

In Schweden werden die Telefone von Sexarbeitenden abgehört, und dann an der entsprechenden Adresse aufgelauert.

ÜBER DEN STRASSENSTRICH

Viele Menschen verbinden Prostitution zuerst mit Straßenstrich. Dass der größte Teil der Sexarbeit in Wohnungsbordellen stattfindet ist oft nicht bekannt. Der Straßenstrich macht 8-12% aus mit abnehmender Tendenz.

Dass es in Ländern mit Nordischem Modell überhaupt noch Straßenstriche gibt, erscheint mir fast wie ein Wunder, denn wer geht denn da noch hin, wo er doch öffentlich eine Straftat begeht.

Welche Auswirkungen Verbote auf Straßenstriche haben, zeigt sich in Hamburg St.Georg, wo die neuen Sperrgebietsregelungen den dortigen Straßenstrich illegal gemacht haben.

Natürlich ist er nicht verschwunden. Die dort tätigen Sexarbeiter*innen können aber zum Beispiel keinen „Kundencheck“ mehr vornehmen. Was ist ein Kundencheck? Man lehnt sich zunächst ins Fenster des Autos und redet mit dem Kunden. Oft wird sogar aus Sicherheitsgründen oder Bequemlichkeit nicht mehr ins Fenster reingelehnt. Und erst wenn die Kolleg*in ein gutes Gefühl hat, dann steigt sie ein. Das fällt nun mit dem Verbot weg. Aus Angst, von der Polizei erwischt zu werden, wird sofort eingestiegen.

Wie die dortige Beratungsstelle Ragazza berichtet, sind die Umsätze zurückgegangen und die Gewalt hat zugenommen.

ÜBER AUSSTIEG/UMSTIEG

Mit dem Konzept des Sexkaufverbots geht ja einher, dass für Sexarbeitende „Ausstiegsangebote“ gemacht werden, damit sie alle aufhören (können).

Wenn wir nach Frankreich blicken, wo vor kurzem das Nordische Modell eingeführt wurde, dann zeigt eine Untersuchung von 2016, dass in fast zwei Jahren nur 395 Personen die Ausstiegs-Angebote genutzt haben. Was nicht mal heißt, dass alle davon auch mit der Sexarbeit aufgehört haben. Bei einer geschätzten Anzahl von 40.000 bis 100.000 Sexarbeitenden in Frankreich ist das nicht sonderlich viel.

In Deutschland gibt es bereits heute viele Möglichkeiten für Sexarbeitende, Unterstützung oder Begleitung beim Umstieg zu erhalten. Jede Beratungsstelle für Sexarbeitende bietet das an, das gehört zu deren täglicher Arbeit dazu.

Auch das Familienministerium hat sich mit dem Thema Ausstieg/Umstieg beschäftigt. Es gab ein Modellprojekt mit der Laufzeit November 2011 bis Mai 2015. Aktuell läuft seit dem 01. August 2021 ein zweites Modellprojekt mit 6 Städten in Deutschland. Das erste Projekt ist natürlich ordnungsgemäß evaluiert worden, ein Zitat daraus lautet:

„Geschätzt wird, dass jede 10. Sexarbeiter*in im Rahmen eines Ausstiegs auf Beratung und Unterstützung angewiesen ist.“ (Quelle, S.173)

Das heißt, dass es für jede zehnte Umstiegswillige zwar sehr wichtig ist, dass es diese aufwendige und auch sehr speziell auf Sexarbeitende zugeschnittene Begleitung gibt. Aber auch, dass 9 von 10 Sexarbeitenden den Umstieg alleine hinbekommen haben oder ihn doch nicht wollen. Das zeigt, dass Sexarbeit nicht zwangsläufig eine Sackgasse sein muss.

Mehr rund um das Thema Nordisches Modell/Sexkaufverbot sowie alternative Lösungsansätze lesen Sie hier.