Wie ich mir gute Pressarbeit wünsche – Vermeintliche oder gefühlte Wahrheiten
Ein persönlicher Kommentar von Johanna Weber, politische Sprecherin des BesD
Mit Mitte 50 gehöre ich zu der Generation, die durchaus schon mal von „früher“ sprechen darf. Früher gab es eigentlich nur zwei Arten von Medien mit unterschiedlichem Informationsgehalt. Zum einen die Bild-Zeitung. Da wusste man irgendwie, dass das alles nur so halb stimmt oder sehr vereinfacht ist. Es gab den Spruch: „Frau durch Fleischwolf gedreht – Bild sprach als erstes mit der Bulette.“ Und die anderen Zeitungen – naja das stimmte dann so, was da so drin stand.
Heute kann man sich auf diese Bauernweisheiten nicht mehr verlassen. Es scheint Gang und Gebe geworden zu sein, dass schlecht recherchierte Halbwahrheiten sogar von vermeintlich seriösen Medien verbreitet werden. Man muss sich nicht mal mehr dafür entschuldigen.
Ich weiß aus vielen Gesprächen mit Pressevertretern, dass diese nicht zu faul geworden sind oder ihnen das Basiswissen fehlt, sondern dass der Zeitdruck enorm zugenommen hat. Die Gelder sind knapp und so wurden vielen Stellen gestrichen. Die verbleibenden Journalisten müssen nun wesentlich mehr Texte liefern und das auch noch parallel für Print und Online. Gerade bei Online-News geht es oft darum wer zuerst den Bericht online hat mit der knackigsten Überschrift, denn weiter liest ja eh keiner.
Und so wird unglaublich schnell einfach mal irgendwas gegoogelt, um in kürzester Zeit einen Artikel fertig zu haben.
Ich verstehe die Problematik, aber das muss doch einen Weg der Mitte geben.
Zumindest die Verlage, die sich als seriös einstufen, sollten sich etwas mehr Mühe geben.
Aber auch dort wird schlampig recherchiert und zum Teil mit populistischen Überschriften Klickraten zu erzielen versucht.
Bezogen auf unsere Branche heißt das leider was Fatales.
Es tauchen immer wieder die selben Zahlen auf, die noch nie irgendjemand wirklich ermittelt hat.
Seit Jahrzehnten wird von 400.000 Prostituierten in Deutschland gesprochen – ohne jeden wissenschaftlichen Nachweis. Interessanterweise wird seit Neuesten nun vermehrt von 200.000 gesprochen – auch wieder ohne jeglichen Nachweis.
Gleichbleibend ist immer die Zahl von 1,2 Millionen Freiern täglich. Auch dafür gibt es keinen Nachweis.
Wenn man kurz inne hält und mal überlegt wie viele Menschen in Deutschland leben (84Mio), und dass sie Hälfte davon Frauen sind, und dann noch viele unter 18 Jahre alt sind und etliche vielleicht zu alt sind um noch regelmäßig in den Puff zu gehen, einige auch kein Interesse haben oder krank sind usw. Also, da müßte dann jeder der verbleibenden Menge an Männern mindestens 1x pro Monat ins Bordell gehen….
Aber sowas muss einen Journalisten ja nicht stuzig werden lassen,
denn weltweit fallen ja bekanntlich Horden von Männern nach Deutschland ein,
nicht nur um unbegrenzt auf den Autobahnen zu rasen,
sondern auch um unbegrenzt in den Puffs zu vögeln.
Die These von „Deutschland als das Bordell Europas“ findet sich in fast jedem Pressebericht zu unserem Thema.
Ja, stimmt das denn überhaupt? Darf man als Pressemensch einfach so die die Schlagworte übernehmen ohne sie zu hinterfragen?
Ebenso unhinterfragt wird dauernd von hundertausenden junger Frauen aus Osteuropa berichtet, die in Deutschland zur Prostitution gezwungen werden.
Dies und andere vermeintliche Wahrheiten oder gefühlte Wahrheiten.
Umso dankbarer bin ich für jeden Artikel, bei dem tatsächlich genauer nach Quellen geschaut wird und ein ausgewogenes Verhältnis der unterschiedlichen Meinungen dargestellt wird.
Hier ein Paar gute Beispiele:
Print des Deutschlandfunks
Prostitution
Brauchen wir ein Sexkaufverbot?
https://www.deutschlandfunk.de/sex-prostitution-sexkaufverbot-nordisches-modell-100.html#z3
Gut gefällt mir, dass die übliche Frage nach der Zahl der Prostituierten in Deutschland nicht mit den allseitszitierten aber ohne jeden Beleg seienden 400.000 beantwortet wird. Hier wird aufgezeigt, dass es keine konkreten Zahlen gibt und die verschiedenen Einschätzungen dazu.
Gut wird die große Bandbreite in der Prostitution dargestellt, und so läßt sich auch das im Artikel beschriebene „Elend“ als einen – wenn auch sehr unschönen – Aspekt einordnen.
Bei der Diskussion um das Für und Wider des Sexkaufverbotes, werden alle Seiten gut verständlich und sachlich dargestellt und so kann sich der Leser ein eigenes Bild machen.
Frankfurter Allgemeine von Anna-Lena Ripperberger
Eine Debatte der Extreme
Sollte der Kauf von Sex in Deutschland verboten werden?
https://zeitung.faz.net/faz/politik/2023-11-14/ed6ef9f89b842f6e5c3eae2c98f682de/?GEPC=s5
Frau Ripperberger beginnt mit einer Darstellung der unterschiedlichen Meinungspole beim Thema Prostitution. Sie faßt beide Seiten sehr gut zusammen ohne eine Wertung reinzubringen.
Dann kommt sie zum Thema Zahlen und Studien zum nordischen Modell. Sie hat sich nicht auf die üblichen Zitate verlassen, sondern selber recherchiert und weist gleich darauf hin, dass die Ergebnisse nicht eindeutig sind. Ebenso geht sie mit Frage nach der Zahl der Prostituierten um. Sie listet verschiedene Schätzungen wertfrei auf und überläßt die Bewertung den Lesern.
Redaktionsnetzwerk Deutschland von Jonathan Josten und Markus Decker
„Situation von Prostituierten in Deutschland ist dramatisch“
Deutschland als „Puff Europas“: Kommen nach der Debatte um Prostitution Strafen für Freier?
Ein ausgewogener Artikel. Leider sind die schwierigen Botschaften alle zu Beginn. Nicht jeder liest weiter.
Gut gefällt mir wie die beide Autoren die Gesetzgebung zu Prostitution in Deutschland herleiten und so auch den themenfremden Leser ins Boot holen.
Frankfurter Allgemeine von Alexander Wulfers
Ein Sexkaufverbot hat düstere Folgen
Dorothee Bär und das EU-Parlament fordern, Freier zu bestrafen. Darunter würden vor allem Frauen leiden.
https://zeitung.faz.net/fas/wirtschaft/2023-09-17/14976e6bdc595a4a11fa271b4d4f7fea?GEPC=s1
Hier wurden die verschiedenen Aspekte der kontroversen Debatte um Sexarbeit/Prostitution sehr gut gegenübergestellt.
Alex Wulfers hat sehr professionell recherchiert.
Interessant finde ich seine Methode, durch kritische Zwischenfragen die Themen auf den Punkt zu bringen aber dennoch nicht zu bewerten.
rbb Panorama von Anna Bordel
Zwangsprostitution
Der schwierige Weg raus aus Angst, Sex und Gewalt
Hier ein sehr gutes Beispiel, über Schicksale in der Prostitution zu berichten ohne dabei theatralisch zu werden.
Einfühlsames Interview nicht mit einer Prostitutionsgegnerin, sondern einer Beratungstelle für Menschenhandelsopfer.
Statt Aufschrei und Skandale folgt eine Beschreibung und Bewertung der Möglichkeiten welche funktionieren könnten. Auch der Info-Kasten ist sehr sachlich und gut gemacht.