Stadtratshearing in München zum Thema „Lockerung des Sperrbezirks“

Aus dem Einladungstext zur Veranstaltung am 30.11.2023 im Rathaus München:
Das Hearing dient dazu das Thema Prostitution in all seinen Facetten wieder in den Fokus des gesellschaftlichen und politischen Blickfeldes zu rücken und ausführlich über die Situation in München zu informieren.
Dies alles soll die Grundlage bilden, gemeinsam weitere Optimierungsmöglichkeiten zum Schutz von in der Prostitution Tätigen zu identifizieren, um deren Umsetzung durch den Stadtrat entsprechend zu unterstützen.

Daneben gilt es eine mögliche Lockerung der Sperrbezirkverordnung zu Gunsten der Bewohner*innen von Alten- und Pflegeheimen sowie von Einrichtungen für Menschen mit Behinderung zu bewerkstelligen. Die Verordnung muss dabei sowohl den heutigen geänderten politischen Sichtweisen wie auch der stark veränderten Stadtentwicklung angepasst werden.
Laut Protokoll des runden Tisches Prostitution in München vom 07.07.2023:
„Die Stadt ist bis an die äußersten Grenzen der Ermächtigungsnorm gegangen. Eine zukünftige Erweiterung der Sperrbezirke ist nur gegen die Freigabe bisher gesperrter Gebiete zulässig“.

TAGESORDNUNG:

Themenblock 1
Vollzug des ProstSchG in München
– Adina Schwarz (Leiterin der Menschenhandelsberatungsstelle Jadwiga)
– Maria, Betroffene von Menschenhandel
– Michael Fröhlich (Beratungsstelle Mimikry)
– Givanna Gilges (Gesellschaft für Sexarbeit und Prostitutionsforschung)
– Johanna Weber (Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen)

Themenblock 2
Sperrbezirk
– Kriminaldirektor Falk von Usslar (Polizei München)
– Siegfried Benker (ehem. Geschäftsführer Münchenstift GmbH)
– Stephanie Klee (BSD)
– Robert Reuss (Beratungsstelle Marikas)
– Rodica Knab (Sovodi)

Themenblock I: Vollzug des ProstSchG in München

Rednerin: Johanna Weber, Sexarbeiterin und politische Sprecherin des Berufsverbandes für Sexarbeitende, BesD

ÜBERNACHTUNGEN

Zunächst möchte ich ein Lob aussprechen. Es hilft uns Sexarbeitenden sehr, dass in München Übernachtungen in den Prostitutionsstätten zugelassen werden, und wir somit die Hotelkosten sparen. Ich selber habe gerade 3 Tage hier in München gearbeitet und auch im Studio übernachtet.

ANMELDUNGEN

Die Anmeldungen und gesundheitlichen Beratungen laut ProstSchG 1) sollten kostenlos sein.
Beispiel Berlin, Hamburg und andere Bundesländer.
Es gibt Fälle, dass Sexarbeitende sich nicht anmelden, wegen der Kosten.

KONTROLLEN

Wir haben das Gefühl, dass ständig irgendeine Kontrolle vorbeikommt. Für uns ist nicht zu unterscheiden ob Sitte 2) oder KVR 3).
Die Betreibenden nötigen uns, dass wir für die Kontrollen immer die Zimmertür aufmachen – auch während der Session springen wir dann nackt im Strapshalter an die Zimmertür. Die Betreibenden wollen verständlicherweise jeglichen Ärger mit der Sitte oder KVR vermeiden, um eine möglichst geringe Anzahl an Kontrollen im Hause zu haben. Dies nicht, weil sie etwas zu verheimlichen haben, sondern weil häufige Kontrollen eine erhebliche Störung des Arbeitsalltages sind. Gerade die Kundschaft nimmt das als sehr negativ wahr.

Und warum lassen wir Sexarbeitenden uns das gefallen?
Die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes schwingt immer mit. Denn in München verdient man sehr gut, und es gibt nicht viele alternative Arbeitsplätze, wohin wir wechseln könnten.
Warum?

SPERRBEZIRKE

Die wenigen bestehenden Bordelle und Studios haben fast Monopolstellung. Es würde der Branche sehr gut tun, wenn mehr verschiedene Arbeitsplätze gäbe und besonders kleine Wohnungsbordelle oder Massagesalons. Die Sexarbeitenden, die Haus- und Hotelbesuche machen, sind fast gezwungen illegal tätig zu werden, denn die Kunden wohnen überwiegend im Sperrbezirk und die Hotelgäste sind oft in den 5*-Hotels in der Innenstadt.
Fast alle Escorts-Services vermitteln in den Sperrbezirk hinein – zum Teil ohne die Frauen darüber zu informieren.

ERREICHBARKEIT IM DUNKELFELD

So wie die Kontrollsituation jetzt ist, nehmen wir die Polizei und KVR als eher lästig wahr. Jede ist froh wenn sie wieder weg sind.
Ich wünsche mir eine Polizei als Freund und Helfer. Als eine Instanz, der man vertraut und an die man sich wendet, wenn man Probleme hat. In Hamburg z.B. hängt in sehr vielen Bordellen an der Pinnwand die Visitenkarte der Sitte mit dem Namen des Zuständigen. Einige Kolleginnen tragen die Visitenkarte sogar im Portemonnaie.
In München wurde mir bei den unzähligen Kontrollen, die ich in 12 Jahren schon erlebt habe, noch nie eine Visitenkarte angeboten.

Und wie erreicht man die Kolleg*innen außerhalb der Bordelle?
Die arbeiten üblicherweise im Sperrbezirk und haben natürlich kein Interesse an Kontrollen.
Die Entscheidung, dass sie keine Scheinfreier einsetzen wollen, halte ich für sehr sinnvoll. Sonst ist das Vertrauen komplett hinüber und das Versteckspielen geht erst richtig los.
Der sinnvollste Weg, diese Kolleg*inne zu erreichen ist aufsuchende Beratung der Beratungsstellen. Da darf auch keinen Fall gespart werden.


1) ProstSchG ist die Abkürzung für das Prostituierten Schutz Gesetz -> https://www.gesetze-im-internet.de/prostschg/

2) Sitte ist die umgsangssprachliche Abkürzung für das Sittendezernat der Polizei in München

2) KVR ist die Abkürzung für das Kreisverwaltungsreferat, welches für die Umsetzung des Prostituierten Schutz Gesetzes in München zuständig ist