Briefe an Frau Bär und CDU/CSU-Spitze: Sexarbeiterin wehrt sich gegen Bevormundung durch Bundestagsabgeordnete

Als direkt vom einem Sexkaufverbot betroffene Person war Vollzeit-Sexarbeiterin Nicole Schulze  zum Thema Freierbestrafung zu  Gast bei Stern TV.

Als jedoch die CDU/CSU-Bundestagsabgeordnete Dorothee Bär aus Berlin zugeschaltet wurde, wurde aus einem Mit-Betroffenen-reden ein Über-Betroffene-hinwegreden.

Mehr noch, die anwesende Kollegin, die seit mehr als 15 Jahren ihren Lebensunterhalt mit Straßensexarbeit verdient und sich aus einer langjährigen Loverboy-Beziehung den Weg in die Selbstständigkeit freigekämpft hat,  erlebte Ignoranz und wurde als „Ausnahme“ verhöhnt.

Wir teilen hier Nicoles öffentliche Briefe in denen sie auf den Vorfall im Detail eingeht, wovon einer sich persönlich an Frau Bär richtet und einer an die Chefs der Unions-Parteien.

Beide Texte wurde zuerst auf ihrer Website sexpertin-nicole.de veröffentlicht.


Sehr geehrte Frau Bär,

Ich schreibe Ihnen, weil ich enttäuscht bin. Ich war am 16. Oktober 2024 bei Stern TV, um über Sexarbeit zu sprechen und warum das Sexkaufverbot die falsche Lösung ist. Sie waren aus Berlin zugeschaltet.

Ihr Auftreten und Ihre Aussagen haben mich tief getroffen.

Sie haben über mich und andere Sexarbeitende gesprochen, als wären wir nicht anwesend. Selten habe ich mich so verachtet gefühlt. Meine Kunden verhalten sich hier deutlich respektvoller.

Es war hart zu hören, dass Sie uns als krank und geschädigt bezeichnen. Sie haben nicht mit mir und mit uns gesprochen, sondern über mich und über uns – und das in unserer Anwesenheit. Ein respektloseres Verhalten kann ich mir kaum vorstellen!

Sie sagten, dass Sie sich seit zwei Jahren mit dem Thema beschäftigen. Ich denke: nur zwei Jahre? Und schon halten Sie sich für die Oberexpertin? Zwei Jahre haben offenbar nicht gereicht, um zu verstehen, dass das Nordische Modell, das Sie fordern, gescheitert ist.

In zwei Jahren haben Sie offenbar nur mit denen geredet, die Ihnen nicht widersprechen.

Was Sie gesagt haben, fühlte sich an, als hätten Sie etwas auswendig gelernt. Mir scheint so, als würden Sie nicht begreifen, was hinter der Arbeit steckt, die wir tun, dass wir auch ganz normale Menschen sind, die durch harte Arbeit ihr Geld verdienen.

Zu mir sagen Sie, ich sei eine Ausnahme.

Zu den zigtausenden Sexarbeitenden, die hier legal arbeiten, sagen Sie, dass sie nicht wissen, was sie tun.

Besonders von den Rumäninnen und Bulgarinnen sagen Sie, dass sie das doch eigentlich nicht wirklich wollen.

Sie stellen uns hin, als könnten wir nicht denken oder für uns selbst entscheiden. Sie wollen plötzlich für zigtausende, ja, angeblich hunderttausende von Sexarbeitenden sprechen, aber von der Sexarbeit scheinen Sie keine Ahnung zu haben.

Im Prinzip sagen Sie, wir sind wie kleine Kinder. Dabei steht im Grundgesetz, das Sie ja so oft zitieren, dass ich und Sie, Frau Bär, exakt gleich viel wert sind. Doch Sie, Frau Bär, wollen meine Arbeit verbieten. Sie wollen also, dass es mir schlechter geht.

Warum? Weil es offenbar nicht in Ihren Kopf geht, dass Sexarbeit vielfältig ist und Sie in den zwei Jahren vielleicht noch nicht viel davon wirklich verstanden haben.

Ich komme aus einer Loverboy-Beziehung. Es hat mich Jahre gekostet, mich daraus zu befreien, und Ihre Worte haben sich angefühlt wie ein Schlag ins Gesicht.

Meine Geschichte wurde nicht gehört, und meine Arbeit wurde von Ihnen nicht resSexarbeiterin wehrt sich gegen Bundestagsabgeordnete Bärpektiert.

Und noch etwas: Warum waren Sie nicht persönlich da? Haben Sie Angst, einer echten Prostituierten gegenüber zu sitzen? Keine Sorge, wir beißen nicht, und wir sind, anders als oft vermutet, auch nicht ansteckend.

Es wäre gut gewesen, sich auf Augenhöhe zu begegnen und eine echte Diskussion zu führen.

Ich erwarte von Ihnen eine Entschuldigung. Es ist in Ordnung, anderer Meinung zu sein, aber man muss sich gegenseitig respektieren. Sexarbeit ist ein wichtiges Thema, und wir verdienen es, dass man uns ernst nimmt.

Sie haben mir das Gefühl gegeben, dass meine Arbeit nichts wert ist. Das Grundgesetz sagt etwas anderes. Im Januar 2021 war ich als Expertin im Landtag bei der Frauenunion der CDU NRW.

Dort wurde ich mit Respekt behandelt. Ihre Art bei Stern TV war das genaue Gegenteil.

Ich fordere, dass Sie Verantwortung für Ihre Worte übernehmen.

Wir verdienen es, dass man mit uns spricht und uns zuhört.

Mit freundlichen Grüßen,
Nicole Schulze


Sehr geehrter Herr Söder,
sehr geehrter Herr Merz,

ich wende mich an Sie mit der dringenden Bitte um Unterstützung, Klärung und Untersuchung der Angriffe, die von Ihrer Parteikollegin Frau Dorothee Bär gegen mich gerichtet wurden.

Am Mittwoch, den 16. Oktober 2024, war ich als Studiogast bei „Stern TV“ (RTL) eingeladen, um über das Thema Prostitution (konkret: das von Ihren Parteien geplante „Sexkaufverbot“) zu diskutieren. Frau Bär war live aus Berlin zugeschaltet.

Es war das erste Mal, dass ich auf Ihre Parteikollegin traf.

Frau Bär trat in der Diskussion aggressiv und beleidigend auf und verbreitete falsche Informationen über mich sowie über den Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen (BesD).

Sie diskriminierte sowohl meine Kollegin im Publikum als auch mich persönlich, indem sie uns stigmatisierte und als „krank“ bezeichnete.

Zudem hat sie uns das Wort abgesprochen und sich nicht auf einen respektvollen Dialog eingelassen; stattdessen sprach sie über meine Person, ohne mir die Möglichkeit zu geben, selbst Stellung zu beziehen.

Ein solches Verhalten ist inakzeptabel und unvereinbar mit der Verantwortung eines Politikers oder einer Politikerin.

Dass die CDU es besser kann, zeigte die Frauenunion der CDU NRW. Die hatte mich z.B. am 14. Januar 2021 als Expertin in den Landtag eingeladen; dort wurde ich respektvoll behandelt.

Im Gegensatz dazu hat Frau Bär durch ihre Äußerungen nicht nur meine Integrität verletzt, sondern mich auch öffentlich denunziert.

Anstatt die Existenz eines Verbands zu würdigen, der alle Facetten der Sexarbeit – von Straßenprostitution bis hin zu High-Class-Escort – vertritt, verhöhnte sie diesen Zusammenschluss und unterstellte uns, von Zuhältern und Betreibern finanziert zu werden.

Dieser Verband zählt über 1.000 Mitglieder und ist der größte seiner Art in Europa.

Sexarbeit ist ein bedeutendes gesellschaftliches Thema, das eine respektvolle Diskussion erfordert.

Unterschiedliche Meinungen sind legitim; jedoch sollte der Austausch stets auf Augenhöhe stattfinden.

Politiker*innen sollten in der Lage sein zuzuhören – insbesondere wenn es um Menschen geht, die täglich stigmatisiert, diskriminiert und ausgegrenzt werden.

Ich bin entsetzt über den Umgang von Frau Bär mit mir.

Können Sie nachvollziehen, wie verletzend dieser ist, nicht nur wenn man, wie ich, aus einer Loverboy-Beziehung kommt?

Frau Bär zeigte keinen Respekt vor meiner Person und führte keine Diskussion auf Augenhöhe.

Ich bitte Sie daher eindringlich, sich ein Urteil über das Verhalten Ihrer Parteikollegin Frau Bär zu bilden und sicherzustellen, dass sie sich offiziell entschuldigt.

Darüber hinaus möchte ich betonen, dass eine solche Diskriminierung nicht nur individuelle Betroffene schädigt, sondern auch das gesellschaftliche Klima vergiftet.

Es ist entscheidend für unsere Demokratie, dass alle Stimmen gehört werden – insbesondere die von marginalisierten Gruppen.

Ich hoffe auf eine ernsthafte Auseinandersetzung mit respektvollem Umgang in politischen Diskursen.

Es ist an der Zeit, dass die Politik uns endlich zuhört – nicht nur über uns spricht, sondern mit uns.

Bitte beachten Sie, dass dieser Brief öffentlich ist. Ich hoffe auf eine zeitnahe Antwort sowie Ihre Unterstützung dafür, dass Frau Bär die notwendigen Konsequenzen aus ihrem Verhalten zieht.

Eine öffentliche Entschuldigung wäre ein guter Anfang.

Mit freundlichen Grüßen
Nicole Schulze