Aktenzeichen XY über Prostitution: Journalismus oder Stimmungsmache?
Mitglieder-Blog von Lola Anders
Aktenzeichen XY widmet sich in einer Doppelfolge seines Podcasts dem Thema Prostitution.
Unter dem Titel „Ein Geschäft, das Opfer schafft“ lässt sich bereits erahnen, welches Framing die Autorin und die Redaktion setzen möchten.
Schauen wir uns an, welche Inhalte der Podcast in diesen zwei Folgen mit insgesamt 100 Minuten Audioproduktion vermittelt::
Einleitung und erster Eindruck
Schon die Einleitung beginnt mit einer klaren Haltung: Die Redaktion zuckt wie sie selbst sagt beim Begriff Sexarbeit zusammen, da dieser den Eindruck vermittele, es handle sich um eine ganz normale Arbeit. Anschließend wird das Thema Prostitution in einem Atemzug mit Raub, Menschenhandel, Vergewaltigung und Mord genannt. Die Einordnung erfolgt mit der Ankündigung, dass es in dieser Folge um mehrere Kriminalfälle geht – ein geneigter Hörer könnte den Eindruck gewinnen, dass Sexarbeit zwangsläufig in Kriminalität mündet.
Es folgt das übliche Zahlen-Bingo: Die Zahl der offiziell angemeldeten Prostituierten wird den Schätzungen von „Hilfsorganisationen“ gegenübergestellt, wobei eine Zahl zwischen 200.000 und 400.000 genannt wird. Eine kurze Recherche zeigt jedoch, dass die oft zitierte Zahl von 400.000 keine wissenschaftliche Grundlage hat. Erstmals nannte ein EMMA-Artikel von 1986 diese Zahl – allerdings ohne wissenschaftliche Quelle.. Im Jahr 2020 tauchte in EMMA dann die Zahl 250.000 auf. Verschiedene Studien der letzten Jahre lassen darauf schließen, dass es in Deutschland vermutlich etwa 200.000 nicht angemeldete Prostituierte gibt. Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass auch ein Teil der Sexarbeitenden männlich ist.
Verzerrte Darstellung in den Medien
Die Einleitung setzt sich mit dem hohen Anteil von Migrantinnen und nicht-deutschen Sexarbeiterinnen fort – wobei sich der Bericht ausschließlich auf weibliche Sexarbeitende konzentriert. Danach behauptet der Podcast, dass die Medien ein verzerrt positives Bild der Prostitution zeichnen. Als Beispiel erwähnt er einen Bericht einer nicht näher benannten großen Tageszeitung, die über eine Studentin berichtet, die als Escort arbeitet. Dieser Bericht wird mit den Worten „Ja, schwer vorstellbar, dass auch das Realität sein kann … Wir haben da ein etwas anderes Bild.“ abmoderiert.
Einseitige Expertenauswahl
Im weiteren Verlauf wird der ehemalige Kriminaloberrat Helmut Sporer als Experte vorgestellt. Er ist ein Aktivist, der sich seit Jahren für das „Nordische Modell“ einsetzt. Sporer darf zunächst einen Fall aus seiner 30-jährigen Dienstzeit erzählen. In dem Fall geht es um Frauen durch die sogenannte Loverboy-Methode in die Prostitution genötigt wurden. Zweifellos eine Straftat, die verfolgt werden muss. Seine Erzählung macht jedoch auch deutlich, dass solche Verbrechen nur dann effektiv bekämpft werden können, wenn die Polizei über ausreichendes Personal und Ressourcen verfügt.
Anschließend werden weitere Experten*innen eingeführt, darunter Huschke Mau, Staatsanwalt Peter Holzwart und Dr. Ingeborg Kraus. In den Fallbeschreibungen geht es ausschließlich um grausame Verbrechen an Prostituierten sowie um Menschenhandel und Ausbeutung. Von Beginn an vermischen Experten und Redakteure diese Straftaten mit Prostitution, sodass sie den Eindruck erwecken, die Straftaten seien eine direkte Folge der Prostitution oder einer ‚zu liberalen‘ Prostitutionspolitik.
Fehlende journalistische Neutralität
Argumente gegen das Nordische Modell werden in der gesamten Sendung lediglich als Stichworte für die „Experten“ aufgegriffen, ohne ihnen Raum zur Entfaltung zu geben. Eine kritische Einordnung, wer diese Experten sind, fehlt gänzlich: Alle geladenen Experten setzen sich aktiv für das Nordische Modell ein und sprechen Prostituierten, die sich als selbstbestimmt betrachten, die Fähigkeit zur eigenen Lagebewertung ab. Sie pathologisieren sie stattdessen.
Mit journalistischer Sorgfalt haben diese beiden Podcast-Folgen wenig zu tun. Sie sind eine Mischung aus True Crime und gezielter politischer Stimmungsmache gegen die Selbstbestimmung von Frauen. Denn was die Prostitutionsgegner – und auch dieser Podcast – völlig ausblendet, ist die Existenz nicht-weiblicher Sexarbeiter.
Es ist wünschenswert, dass die Verantwortlichen bei der Auswahl der Experten mehr Sorgfalt an den Tag legen. Insbesondere bei Produktionen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wie dem ZDF.
Ein notwendiger Perspektivwechsel
Berichte über Menschenhandel und Ausbeutung sind wichtig – aber wir müssen sie im richtigen Kontext betrachten. Sexarbeit stellt nur einen Bereich dar, in dem Menschen von Ausbeutung und Menschenhandel betroffen sein können. Die Behörden können diese Straftaten bereits verfolgen, ahnden sie jedoch oft nicht konsequent, weil ihnen Personal und Ressourcen fehlen.
Dass es auch andere Positionen gibt, zeigt zum Beispiel die Stellungnahme der Gewerkschaft der Polizei (GdP), die sich gegen ein generelles Verbot der Prostitution ausspricht. Sie plädiert für eine klare Abgrenzung zwischen legaler, freiwilliger Sexarbeit und illegaler Zwangsprostitution und fordert – analog zum Nordischen Modell – eine breite gesellschaftliche Aufklärung sowie finanziell abgesicherte Ausstiegsprogramme für Prostituierte. Die Politik muss den Opferschutz grundlegend stärken.
Auch das Bündnis der Fachberatungsstellen für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter (bufaS e.V.), dem bundesweit 40 Beratungsstellen angehören, lehnt ein Sexkaufverbot ab. In seiner Stellungnahme heißt es:
„Es braucht eine detaillierte Debatte und keine generelle Vermischung von Prostitution mit Gewalt und Menschenhandel, um Ursachen zu bekämpfen und dort zu schützen, wo es notwendig ist.“
Die Diakonie Deutschland, die bundesweit Fachberatungsstellen für Frauen in der Prostitution sowie für Opfer von Menschenhandel betreibt, betont:
„Prostitution ist ein vielschichtiges Thema. Prostitutionsgesetzgebung hat Auswirkungen auf eine sehr heterogene Personengruppe. Grob vereinfachende Lösungsansätze wie ein Sexkaufverbot werden der komplexen Wirklichkeit von Prostitution nicht gerecht.“
Fehlende Stimmen aus der Branche
Diese Liste ließe sich weiter fortführen. Nicht zuletzt könnte man auch mit Sexarbeiter*innen sprechen, die aktiv in der Branche tätig sind. Der Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen (BesD e.V.) vertritt über 1.000 Mitglieder. Doch im Podcast werden alle Gegner*innen des Sexkaufverbots pauschal als Lobby diffamiert, die von Zwangsprostitution und Menschenhandel profitieren würden.
Die Realität sieht jedoch anders aus: Sowohl Fachberatungsstellen als auch die Polizei und der Berufsstand selbst formulieren nachvollziehbare Argumente gegen das Nordische Modell und für eine legale Prostitution. Diese fundierten Stellungnahmen bieten klare wissenschaftliche Evidenz und können nicht einfach als Lobbyismus oder gar Täterschaft abgestempelt werden.
Fazit
Die Podcast-Doppelfolge von Aktenzeichen XY verfolgt eine klar voreingenommene Perspektive auf das Thema Prostitution. Anstatt eine ausgewogene und differenzierte Diskussion zu führen, wird Prostitution pauschal mit Kriminalität und Ausbeutung gleichgesetzt. Kritische Stimmen, die sich für eine selbstbestimmte Sexarbeit und gegen das Nordische Modell aussprechen, kommen nicht zu Wort oder werden als Lobby diffamiert.
Diese einseitige Darstellung ignoriert wissenschaftliche Erkenntnisse, die zeigen, dass ein Sexkaufverbot nicht automatisch zu mehr Schutz für Betroffene führt, sondern im Gegenteil die Bedingungen für Sexarbeiter*innen verschlechtert. Wichtige Stimmen aus Beratungsstellen, der Polizei und dem Berufsstand selbst belegen, dass eine klare Trennung zwischen legaler, freiwilliger Sexarbeit und Zwangsprostitution notwendig ist – anstatt Prostitution pauschal als Problem darzustellen.
Ein öffentlich-rechtliches Medium wie das ZDF sollte hier mehr journalistische Sorgfalt walten lassen, eine differenzierte Debatte fördern und verschiedene Perspektiven angemessen zu Wort kommen lassen. Menschenhandel und Ausbeutung müssen bekämpft werden – aber mit realistischen und evidenzbasierten Maßnahmen anstatt mit vereinfachenden, moralisch aufgeladenen Narrativen.
*
Quellen:
Aktenzeichen XY… Unvergessene Verbrechen: #66 Prostitution – Ein Geschäft, das Opfer schafft (1/2), 15. Jan. 2025 und Aktenzeichen XY… Unvergessene Verbrechen: #67 Prostitution – Ein Geschäft, das Opfer schafft (2/2), 15. Jan. 2025. Via: https://open.spotify.com/episode/7gXkL4l95tbhMQs2f0wsI6?si=931eb947a32e42a9.
GESA-Studie „Psychische Gesundheit von Sexarbeiterinnen in der Covid-19 Pandemie“ von Anna Mühlen, Janette Rudy, Anna Böckmann und Daniel Deimel vom Oktober 2021.
Sex Work Among Students of Higher Education: A Survey-Based, Cross-Sectional Study – 2015 Betzler, Köhler, Schlemm DOI:10.1007/s10508-014-0476-y.
Stellungnahme der Frauengruppe (Bund) der Gewerkschaft der Polizei (GdP) 2024. Via: https://www.bundestag.de/resource/blob/1018534/ad524c960f220726e6ec1d82ce270063/20-13-123b.pdf
Angeforderte schriftliche Stellungnahme des bufaS e.V. 2024. Via: https://www.bundestag.de/resource/blob/1018532/b24ab30a254149c0b264907a08cc3d34/20-13-123c.pdf
Stellungnahme der Diakonie Deutschland 2024, Via: https://www.bundestag.de/resource/blob/1017244/4c25d67f0c1171dd3dc541061a519d67/20-13-124j.pdf
*
Beitragsbild: cottonbro studio