Neuer KOK Bericht zu Menschenhandel und Ausbeutung in Deutschland
Der Bundesweite Koordinierungskreis gegen Menschenhandel (KOK) e.V. veröffentlichte die ersten Ergebnissen seines neuen Daten-Tools, das die Situation von Betroffenen von Menschenhandel aus Sicht der Praxis von Fachberatungsstellen darstellt und dabei umfassenden Datenschutz gewährleistet.
Teilnehmende Beratungsstellen können darin Daten der von ihnen betreuten und von Menschenhandel betroffenen Klient*innen eingeben. So will man einerseits die bestehende Praxis abbilden aber auch mehr über das tatsächliche Ausmaß und die Ausprägungen von Menschenhandel und Ausbeutung in Deutschland erfahren sowie Hürden bei der Unterstützung und der Durchsetzung der Rechte von Betroffenen aufdecken.
Im Zeitraum zwischen 01.01.2020 bis 30.06.2021 wurden von insgesamt 16 kooperierenden Fachberatungsstellen 820 Fälle angelegt, von denen 714 zur Datenauswertung freigegeben wurden.
In der Auswertung wurden insbesondere folgende Fragen in den Blick genommen:
- Inwieweit haben Betroffene in Deutschland tatsächlich Zugang zu den ihnen zustehenden Opferrechten?
- Welche Unterstützungsmöglichkeiten stehen Betroffenen zur Verfügung und werden in Anspruch genommen?
- Wie kommen die Betroffenen zu den Fachberatungsstellen?
- Welche Straftatbestände liegen besonders häufig vor; in welchen Bereichen findet am häufigsten Ausbeutung statt?
Im Folgenden werden einige wichtige Ergebnisse aus dem Bericht hervorgehoben:
- Fast ausschließlich Frauen und Mädchen (94%) wurden als Betroffene von Menschenhandel und Ausbeutung gelistet
- Die meisten Klient*innen waren in den Alterskategorien 22-29 (42%) und 30-39 (31%)
- Die meisten Klient*innen stammten aus afrikanischen Ländern, insbesondere aus Nigeria (44%)
- Nur 5% der Klient*innen verfügten über die deutsche Staatsangehörigkeit
Hier ist eine große Abweichung von den Ergebnissen des Bundeslagebildes Menschenhandel (2019) des BKA festzustellen, in dem 22% der Betroffenen mit deutscher Staatsangehörigkeit angegeben wurden. - Erstkontakt zwischen Klient*innen und Beratungsstellen wurde am häufigsten über eine Asyl- und Integrationsberatung vermittelt (20%).
- Die Aussagebereitschaft von Betroffenen ist noch sehr niedrig. Die Gründe:
- oft müssen die Betroffenen selbst Strafverfahren befürchten (wegen illegalen Aufenthalts oder wegen Verstößen gegen die Residenzpflicht oder steuerrechtliche Vorschriften)
- die meisten Betroffenen sind nicht mit dem deutschen Strafrecht vertraut und wurden von den Täter*innen mit der Gefahr der eigenen Strafbarkeit unter Druck gesetzt
- Aus Sicht der Fachberatungsstellen erfüllen 81% der Fälle den Straftatbestand der Zwangsprostitution (§232a StGB).
- Für die 532 Fälle, in denen Ausbeutung festgestellt wurde, wurde ersichtlich, dass am häufigsten eine Ausbeutung im Bereich sexuelle Dienstleistung ohne Anmeldung nach dem ProstSchG registriert wurde (82%), wohingegen 9% der Fälle dem Bereich sexuelle Dienstleistungen mit Anmeldung nach dem ProstSchG zugeordnet wurden.
Das letzte Ergebnis hat besondere Relevanz für den Zusammenhang zwischen der Regulierung der Sexarbeit durch das Prostituiertenschutzgesetz und der Bekämpfung von Menschenhandel und (sexueller) Ausbeutung.
Es unterstützt die These des BesD und seiner Alliierten lange vor der Verabschiedung des Gesetzes, dass die Registrierungspflicht nach dem ProstSchG die Identifizierung von Betroffenen nicht unterstützen wird.
Außerdem wird in dem Bericht deutlich, dass Menschenhandel nicht alleine durch strafrechtliche Maßnahmen bekämpft werden kann. Viele Betroffene kommen nicht mit Strafverfolgungsbehörden in Kontakt oder wollen nicht mit ihnen kooperieren. Wenn Betroffene selber Strafen auf Grund ihres nicht-dokumentierten Aufenthalts in Deutschland oder wegen Aktivitäten, zu denen sie durch ihre Täter*innen gezwungen worden sind, befürchten müssen, ist es kein Wunder, dass die Kooperationsbereitschaft mit der Polizei niedrig bleibt.
Eine Anmeldung nach dem ProstSchG stellt nur eine weitere Hürde zur Aussagebereitschaft für Betroffene dar, die in Deutschland für die Erbringung sexueller Dienstleistungen ausgebeutet werden. Es braucht eine Politik, die die Sensibilisierung von Behörden für die Situation Betroffener unterstützt und deren Rechte besser gewährleistet.
Die Zusammenfassung stammt von Nadine, BesD-Beirätin für Forschung und Internationales, die hier im Blog auch schon von der letzten Fachtagung des KOK („Datenpolitik & Menschenhandel“) berichtete.